Digitized by the Internet Archive
in 2011 with funding from
University of Toronto
http://www.archive.org/details/wibertvonravennaOOkh
WIBERT VON RAYENNA
(PAPST CLEMENS IIL).
EIN BEITRAG ZUR PAPSTGESCHICHTE
VON
OTTO KÖHNCKE.
LEIPZIG,
VERLAG VON VEIT & COMP.
1888.
l'il 'S(^
Meinem hochverehrten Lehrer und väterlichen Freunde
Herrn Friedrieh Reuter
zu Altena
in Dankbarkeit zugeeignet.
Yorbem er kling.
JJer vorliegende Versuch, das Leben Wiberts von Ravenna
darzustellen, verdankt seine Entstehung einer von Herrn Professor
Brefslau in Berlin gegebenen Anregung. Ich fühle mich ge-
drungen, demselben für die mannigfache Förderung, welche er
meinen Arbeiten hat angedeihen lassen, auch an dieser Stelle
meinen lebhaften Dank auszudrücken.
Der Verfasser.
±'19
Inhalt.
Seite
Erstes Kapitel.
Genealogisches 1
Zweites Kapitel.
Wibert als Kanzler für Italien . . 8
Drittes Kapitel.
Wibert als Erzbischof von Ravenna bis zu seiner Wahl zum Papst ... 15
Viertes Kapit el.
Der Tag von Brixen 35
Fünftes Kapitel.
Von der AVahl bis zur Inthronisation 41
Sechstes Ka23itel.
Von der Inthronisation bis zum Tode Grregors VII 52
Siebentes Kapitel.
Vom Tode Gregors VII. bis zum Tode Viktors III 64
Achtes Kapitel.
Von der Erhebung Urbans II, zum Papst bis zum Abzüge Heinrichs IV.
aus Italien im Jahre 1097 75
Neuntes Kapitel.
Vom Abzüge Heinrichs IV. aus Italien im Jahre 1097 bis zu Wiberts Tod 91
Zehntes Kapitel.
Wiberts Stellung in Italien und Deutschland 100
Elftes Kapitel.
Wiberts Stellung zu den übrigen Ländern Europas 119
YIIi Inhalt.
Seite
Zwölftes Kapitel.
Schlufs 125
Erster Exkurs.
Zu der Urkunde Wiberts vom 8. Juni 1087 130
Zweiter Exkurs.
Zu der Urkunde Heinrichs IV. vom 12. August 1092 132
Erstes Kapitel.
Greiiealogisclies.
Um die Wende des 9. Jahrhunderts siedelte sich ein angesehener
Mann ans der Grafschaft Lucca, Siegfried mit Namen, in der Lom-
bardei an und wurde in seiner neuen Heimat Stammvater eines weit-
verzweigten, mächtigen Geschlechtes ^. Von seinen drei Söhnen grün-
dete der mittlere, Adalbert, auch Atto genannt '-, Canossa und er-
warb als Anhänger Ottos I. umfangreiche Besitzungen und die Graf-
schaft über Reggio. Modena und Mantua, denen sein Sohn und Erbe
Thedald '' Brescia und Ferrara hinzufügte. Thedalds Sohn und Nach-
folger wiederum ist der aus Heinrichs III. Zeiten bekannte Mark-
graf Bonifaz von Toskana*; mit seiner Tochter zweiter Ehe aber,
Mathilde ^ der bekannten grofsen Gräfin, der unermüdlichen Yor-
kämpferin der kirchlichen Interessen, starb diese Linie, das Haus
der Markgrafen von Canossa, wie es Brefslau zuerst genannt hat,
im Jahre 1115 aus ^.
Die beiden anderen Söhne Siegfrieds von Lucca, Siegfried und
Gerard, liefsen sich in Parma nieder. Donizo berichtet " :
Est primus dictus Sigefredus et Atto secundus,
Filius et parvus vocitatur quippe Gerardus.
Und weiterhin:
Ipsius nati locupletati, falerati,
Divisi prorsus coeperunt stare seorsum.
Fiunt Parmenses duo fratres, ambo potentes,
Dat Guibertinam minimus. primus Baratinam,
Progenies ambae grandes et honore micantes.
1 Donizo 1, 96 £f. SS. XII, 354 f. ^ j)on. 1, 120 £f. SS. XII, 355.
3 Don. 1, 430 ff. SS. XII, 360 f. •* Don. 1, 452 ff. SS. XH, 361.
^ Don. 1, 1143 ff. SS. XII, 374.
^ Aufser Donizo dienen als Quellen für die Genealogie dieses Hauses neben
gelegentlichen Erwähnungen bei Schriftstellern zahlreiche Urkunden. Eine aus-
führliche Darstellung giebt Brefslau, Jahrb. Konrads II. I, 431 ff.
" Don. 1, 100 f. u. 112 ff. SS. XII, 354 f.
Köhncke, Wibert v. R. 1
2 Genealogisches.
Der älteste Sohn also ist Ahnherr der Baratt!^, der jüngste,
Gerard, Stammvater der Wiberti. Der letzteren Familie wurde der
Gegenpapst Wibert zuerst von Affo - zugewiesen , der die älteren
Meinungen bereits genügend beseitigte. Seiner Vermutung schlofs
sich neuerdings Brefslau '^ an. Was aber bisher nur Vermutung
war, läfst sich zur Gewifsheit erheben durch ein freilich schon Affo
bekanntes, aber unbeachtet gebliebenes Zeugnis '^. In den Jahren
1163 und 1164 nämlich fanden gelegentlich eines Prozesses zwischen
dem Kapitel von Parma und den Wiberti um den Besitz des Schlosses
Meletolo vor dem kaiserlichen Notar Albert mehrfache Zeugen-
verhöre statt. Eine der dabei aufgenommenen Urkunden aus dem
Jahre 1164 bietet den gewünschten Beweis in folgender Aussage
des Priesters Albert: quod vidit teuere Albertum, filium Guiberti
Meletulum, et vidit Teutum clericum de Fontanella colligere usu-
fructum per papani Guibertum, et Obicinum per illos de Baila, et
Gaudolum maleorum per Albertum filium Guiberti, et postea au-
divi dicere, quod ipsi tenebant per precarium ab ecclesia Sanctae
Maria e ....
Ohne sich erst diese sichere Grundlage für seine Arbeit ge-
schaffen zu haben, unternahm endlich jüngst Graf Riant'', nach
Mitteilungen des Grafen Malaguzzi den Stammbaum Wiberts von Ra-
venna genauer zu ermitteln. Leider ist seine Leistung durch zahl-
reiche Flüchtigkeiten und Irrtümer entstellt ^.
An die Spitze seiner Reihe stellt er als direkten Nachkommen
Gerards Wido I. „de comitatu Parmae". gestorben vor 1009, mit
seinen Söhnen Frogerius und Albert, von denen er den ersteren als
Stammvater der Herren von Correggio bezeichnet. Dafür beruft er
^ Über diese sagt einiges Affo, Storia di Parma I, 228 f.
2 Affo a. a. 0. II, 66.
^ Brefslau, Mitteilungen des Instituts für österr. Geschichtsforschung VI, 122.
•* Eine Urkunde aus dem Kapitel- Archiv von Parma (saec. XII, No. 73) von
1164. Fragmente bei Affo a. a. 0. II, 91 u. 114 Anm. (an beiden Stellen ist
No. 72 Druckfehler) und bei demselben, Memorie dei scritt. Parmig. I, 34 Anm.
^ In der Revue des questions historiques XXXIV, 247 ff. 1883.
^ Dafs in seiner Anmerkung 16 zum Stammbaum statt Wibert III. genannt
wird Wibert II., mag auf einem Druckfehler beruhen, wie vielleicht auch in
Anm. 3 das Citat Annali di Como II, 232 statt 838. Dreimal aber nennt er
den Verfasser dieser Annalen Zatti statt Tatti, beruft sich in Anm. 1 auf eine
Urkunde, die weder am angegebenen Orte steht noch den angegebenen Inhalt
hat. Kurz vorher leitet er die Wiberti von Siegfried II. her, statt von Gerard.
Übersehen hat er, dafs die in Anm. 9, 11 u. 12 angezogene Schenkungsurkunde
von 1092 bei Muratori, Ant. Ital. I, 427 und bei Affarosi, Memorie di San Pro-
spero I, 401 schon gedruckt ist. Auf sachHche Irrtümer komme ich im Text
zurück.
Genealogisches. 3
sich auf eine Urkunde von 980 bei Tiraboschi ^ und auf desselben
Dizionario topografico -. In letzterem steht eben nur, dafs Frogerius
Stammvater der Herren von Correggio gewesen ist. Das erste Citat
ist falsch und enthält auch nicht, was Riant angiebt. Es ist viel-
mehr die Urkunde bei Tiraboschi I, 173 No. 153 vom 5. Oktober
1009 gemeint, laut welcher Frogerius und Adalbert, Söhne weiland
Widos de Comitatu Regiense (nicht Parmensi) der Michaelskirche
in Correggio gewisse Güter schenken. Wie man hieraus auf einen
Zusammenhang mit den Wiberti schliefsen kann, verstehe ich nicht ;
der einzige Anhalt — ein wie schwacher aber — könnte sein, dafs
1015 ^ das Haupt der Wiberti Albert heifst, während hier ein Sohn
Widos den Namen Adalbert trägt. Indes Riant hat einfach eine
Behauptung Früherer wiederholt, ich vermute, eine Anmerkung Mu-
ratoris zu Donizo trägt die Schuld ^, dieser aber schweigt über seine
Gewährsmänner. Schon Affö hat Widerspruch erhoben ^ und auch
neuerlich ist Bigi nicht imstande gewesen , einen Zusammenhang
aufzufinden ^ Nach ihm hat zu der von mir bekämpften Annahme
der Umstand Anlafs gegeben, dafs die Gräfin Mathilde im Kriege
mit Heinrich IV. vorübergehend Correggio besetzte , damit nicht
die Herren der Stadt zum Kaiser übergingen. AVie man von da
zu den Wiberti gelangen will, ist mir erst recht unverständlich.
Kurz, wir haben es mit einer ganz unbegründeten, willkürlichen
Annahme zu thun.
Eine Prüfung des verbleibenden Teils des Stammbaums ist leider
nicht durchweg möglich, da sechs Urkunden des Archivs von San
Prospero in Reggio, auf die sich Riant stützt, nicht veröffentlicht
sind l Da es mir aber nicht angezeigt erscheint, Riant ohne wei-
teres zu folgen, will ich suchen, auch ohne dies Material zu wahr-
scheinlichen Resultaten zu kommen.
^ Tiraboschi, Cod. diplom. Moden, hinter seinen Memorie storiche Modenesi
I, 145.
2 s. V. Correggio. ^ Tatti, Annali di Como II, 838.
^ Muratori in Donizonem 1, 115 (dat Gruibertinam etc.) SS. rerum Ital. V,
346 Anm. 24: ex hac Hnea processisse Guibertum Parmensem , Ravennatem
archiepiscopum ac deinde pseudopapam famosum Gregorii VII. papae tempo-
ribus, simulque famiUam principum Corrigiensium, quae paucos ante annos, fe-
minis tantum superstitibus, omnino desiit: sunt qui scribunt, eorumque sententiae
facile me adjungerem.
'" Affö, Memorie I, 33.
* Bigi in den Atti e memorie delle deputazioni Moden, e Parm. III, 213
Anm. 2.
' Es sind das Schenkungsurkunden von 1007, 1052, 1090, 1091, 1098 (zwei). —
Taccoli, Memorie stör. Reggione, war mir nicht zugänglich.
1*
4: Genealogisches.
Im Jahre 1015 ^ schenkt Heinrich II. dem Kloster San Abondio
in Como die im Veltlin gelegenen, von ihm konfiszierten Besitzungen
Alberti Parmensis filiorumque eins scilicet Uuiborti et Sigefredi.
Im Gegensatz zu ihren canusinischen Verwandten hatten sie näm-
lich dem nationalen König Arduin angehangen. Ohne Zweifel dürfen
wir in ihnen Wiberti sehen, worauf aufser dem Zusatz Parmensis
auch der Umstand führt, dafs alle drei Namen in der Familie üblich
sind. Auf Grund einer nicht veröffentlichten Urkunde von 1007
werden bei Riant Irmgard als Alberts Gemahlin, Lanfrank als ein
dritter Sohn aufgeführt, indes fallen beide, wie auch Siegfried, aus
der weiteren Betrachtung heraus.
In zwei Urkunden von 1051 - nun begegnet Berta filia qu. Au-
berti marchioni et relicta qu. Viberti. Von ihr hat ein gewisser
Gezo einen Acker zu Gorgo und zwei Knechte gekauft, überläfst
aber beides der Abtei San Prospero. Ferner finden wir*^, dafs im
Jahre 1091 Albertus filius quondam Giberti de comitatu parmense
dersel])en Abtei Waldung und Wiesen ebenfalls in Gorgo überweist,
die das Kloster zur Befriedigung seines Bedarfs benutzen sollte.
Derselbe Albert, Sohn Wiberts, schenkt am 6. September 1100^
pro itinere Sancti Dei sepulcri, d. h. unmittelbar vor seinem Auf-
bruch in das heilige Land eben dieser Abtei eine Mühle Aviederum
zu Gorgo. Es ergiebt sicli somit, dafs Albert ein Sohn AViberts
und der Bertha aus dem Hause der Otbertiner '"^ war, dafs sein
Vater indes schon 1051 nicht mehr lebte.
Im Jahre 1092*' a])er verfügen zu Gunsten von San Prospero
auch Adelaxe filia Ugoni comes et relicta quondam Uuidonis de
comitato Parmense et Uuido filius Alberti, wohl auch guilia nurus
mea (die Urkunde ist lückenhaft veröffentlicht) für ihr eigenes Seelen-
heil wie für das ihres verstorbenen Sohnes Albert über sechs Morgen
Land in Gorgo : auch sie gehören derselben Familie an ; nicht die
schwächste Stütze dieser Behauptung ist, dafs alle bisher Genannten
über Teile stets desselben Besitztums verfügen.
Leider fehlt nun eine Urkunde für San Prospero von 1052 ',
in der vermutlich Wibert und Wido , Söhne weiland AViberts, ge-
nannt sind ^ ; hierin wird man Kiant ohne Bedenken folgen dürfen.
1 Tatti, Annali di Como II, 837 f. Stumpf 1656.
- Affarosi, Memoria di San Prospero I, 376 u. 377.
3 Aliarosi a. a. 0. I, 400. ' Riant a. a. 0. XXXIV, 252, Urk. No. 1.
^ Vgl. über dieses Haus Brefslau, Jahrb. Konrads II. I, 414 fl".
<* Affarosi a. a. O. I, 401. ' S. u. S. 7 den Stammbaum.
^ Wenn diese Urkunde Albert nicht nennt , so war er wohl damals noch
nicht mündig, was zu einem vorzeitigen Tode seines Vaters und dazu, dafs wir
ihm noch 1100 begegnen, vortreÖ'lich stimmt.
Genealogisches. 5
Ist dem aber so , so nehme ich keinen Anstand , Wido mit dem
Gatten Adelaxas, Wibert, den Vater Wiberts und AVidos, mit
Wibert, dem Vater Alberts und Gatten Berthas, zu identifizieren.
Wir sehen dann drei Brüder vor uns. Wibert, Wido, Albert : Wido
ist 1092 schon gestorben, Albert nahm 1100 an dem Nachkreuz-
zuge der Lombarden teil ^, in Wibert aber haben wir den Gegen-
papst Clemens III. (f 1100) zu erkennen.
Eine weitere Frage erhebt sich : ist der Wibert, Sohn Alberts,
von 1015 (s. o. S. 4) identisch mit Wibert, dem 1051 nicht mehr
lebenden Gatten Berthas ? Dafür läfst sich ein Beweis freilich nicht
erbringen, mit der nackten Wahrscheinlichkeit wird man sich be-
gnügen müssen , gegen die Identität spricht nichts. Da Wiberts
Vater 1015 noch lebte, er selber 1051 schon tot war, wird er ein
hohes Alter nicht erreicht haben; geheiratet hat er jedenfalls ziem-
lich viel später als 1015.
Die Genealogie von den drei Brüdern Wibert , Wido , Albert
abwärts ergiebt sich einfach. Wibert hinterliefs als Geistlicher
keine Nachkommen, die Widos bietet die schon erwähnte Urkunde
von 1092 -.
Albert hatte drei Söhne : Hildebrand , Wibert -^ und Hugo.
Hildebrand und Hugo haben die Schenkungsurkunde ihres Vaters
von 1091^ unterschrieben, Wibert nicht, da er nach einer nicht
publizierten Schenkungsurkunde seiner Gattin und seines Sohnes
Wido 1091 bereits tot war. Da unter den Zeugen der Urkunde
Alberts von 1100'^ von Söhnen nur Hildebrand erwähnt wird, ist
Hugo wohl zwischen 1091 und 1100 auch gestorben.
Endlich erfahren wir aus der bereits oben (S. 2) erwähnten Ur-
kunde von 1164, dafs Alberts Sohn Wibert wieder einen Sohn Albert
hatte ^ : Albertus, qui fuit appellatus comes Parmae, fuit pater Gui-
berti, et Guibertus pater Alberti. Diesen Albert bezeichnet Riant
als Stammvater der Familie Malapresa, allerdings ohne strikten
Beweis. Aus einer Urkunde bei Affö II, 378 ergibt sich freilich,
dafs ein Malapresa zu den AViberti gehörte, und 1134 ' wird Albert
Malapresa von dem Bischof von Reggio mit verschiedenen Gütern
belehnt. Das mag immerhin dieser Albert sein.
Die eben berührte Notiz aber nötigt uns , noch eine andere
Frage zu stellen. Der ältere Albert, der Kreuzfahrer, — denn
dieser ist zu verstehen, da er auch sonst in der Urkunde erscheint,
1 Riant a. a. 0. S. 252 ff., Urk. No. 1 ; vgl. S. 6 f.
2 Affarosi a. a. 0. I, 401. ^ Affö, Storia II, 114 Anm.
* Affarosi a. a. 0. I, 400. -^ Riant a. a. 0. S. 252, Urk. No. 1.
« Affö a. a. 0. II, 114 Anm. ' Tiraboschi, Cod. diplom. Moden. III, 6.
6 Genealogisches.
und da zeitlich sehr wohl stimmt, dafs er mindestens drei Gene-
rationen vor 1164 lebt — wurde comes Parmae genannt; nach Affö
und Riant ^ war er Graf von Parma. Dagegen spricht aber, dafs
er sich weder in einer Urkunde von 1091 noch in der vom 6. Sep-
tember 1100 selber so bezeichnet, sondern nur als de comitatu Par-
mensi -, bezw. de civitate Parme 'l In zwei Generationen nach ihm
finde ich keine Spur von diesem Titel. Auch beachte man den
Ausdruck „er wurde Graf genannt", der nicht geradezu besagt, dafs
er auch Graf war. Zudem läfst sich eine andere Familie nach-
weisen, welche den Grafentitel von Parma führte.
Am 28. Februar 1050 begegnet Jolicta comitissa filia Uberti
comitis de comitatu Parmae * ; ein Graf Arduin von Parma wohnt
am 18. Juni 1051 einem Gericht des Markgrafen Bonifaz, am 9. Fe-
bruar 1055 einem kaiserlichen Gericht in Parma bei ^ und macht
am 13. März 1058 der Kathedrale, am 21. August 1054 und am
2. November 1062 der Abtei San Prospero in Reggio Schenkungen ■'.
Von seinem Sohne vermutlich heifst es 1090 in einer Urkunde :
Ego Ubertus comes filius qu. Arduini itemque comitis de comitatu
Parmense '^. Den Grafentitel hatte somit die Familie der Wiberti
damals noch nicht.
Nunmehr erledigt sich auch leicht eine Stelle Alberts von Aachen,
die der Herstellung des Stammbaums der Wiberti entgegen zu stehen
scheint. Dieser Schriftsteller berichtet am Anfang seines 8. Buches
über den Kreuzzug der Lombarden, die am 13. September 1100
unter der Führung des Erzbischofs Anselm von Mailand aufbrachen ^
Wo er die hauptsächlichsten Teilnehmer aufzählt (8, 1), findet sich
auch: Wibertus comes civitatis Parmae. Und 8. 15 ist „Wibertus
de Parma" einer der Befehlshaber des fünften Schlachthaufens in
der Entscheidungsschlacht, welche im Sommer 1101 zum Rückzug
führte. Jene von Riant veröffentlichte Urkunde vom 6. September
1100 '^ läfst aber gerade einen Albert von Parma als Teilnehmer
1 Affü a. a. 0. 1.1, 114. Riant a. a. O. S. 251. - Affarosi a. a. O. I, 400.
3 Riant a. a. 0. S. 252 ff., Urk. No. 1.
•* Muratori, Delle anticliitä Estensi I, 24 S. 230.
" Affö a. a. 0. II, 323 u. 325. ^ ]yiuratori, Ant. Ital. I, 423 u. IV, 803.
" Margarini, BuUarium Casinense II, 114 No, 119. Vgl. noch drei Urkunden
aus demselben Jahre bei Muratori, Ant. Ital. I, 422 u. 426 (davon zwei auch
bei Bacchini, Istoria di Polirone, App. S. 33 u. 35).
^ Albertus Aquensis 8, 1 u. 15 in Historiens. occid. des croisades IV, 559
u. 568 : cfr. Ekkehardi Hierosolymita ed. Hagenmeyer 22, 3. Landulfi iun. hist.
Mediolan. c. 4. SS. XX, 22. Notae S. Mariae Mediolan. SS. XVIII, 385, welche
das Datum geben.
ö Riant a. a. O. S. 252 ff., Urk. No. 1 ; vol. auch die Urkunde vom 9. Juli
Genealogisches. 7
des Zuges erscheinen. Um Übereinstimmung herzustellen, wollte
Eiant bei Albert von Aachen an beiden Stellen mit einer aller-
dings leichten Änderung Albertus statt Wibertus schreiben. Das
wäre freilich notwendig , wenn man mit Affö ^ annehmen müfste,
dafs dieser Graf Wibert einer der Wiberti gewesen sei, da sich
sonst für die Genealogie der Familie unüberwindliche Schwierig-
keiten ergäben. Aber diese Annahme ist nicht statthaft eben wegen
des Grafentitels, und viel näher liegt die Vermutung, dafs der eben
erwähnte Graf Ubertus von Parma bei Albert von Aachen zu ver-
stehen ist, wodurch auch die Änderung im Text unnötig wird.
Über den Besitz der Familie läfst sich wegen Mangels des
Materials Genaueres nicht angeben ; hatte sie auch ihre Güter im
Veltlin 1015 eingebüfst, so war sie später jedenfalls noch in den
beiden Grafschaften Parma und Reggio angesessen.
Schliefslich gebe ich den Stammbaum und die Quellen, auf
denen er beruht, wobei ich in Klammern einschliefse, was auf un-
gedrucktes Material zurückgeht.
Albert I. [Gemahlin : Irmgard]. -
Siegfried ^ Wibert I.*, f vor 1051^, Gemahlin: [Lanfrank]^
Bertha, Tochter des Markgrafen Otbert.
I
[Wibert IL, d. i. [Wido I.] ^ f ^^or 1092, Gemahlin: Albert II. i^, der
Gegenpapst Adelaxe, Tochter^ des Grafen Hugo Kreuzfahrer, 7 nach
Clemens III., [von Sabionetta]. 1100 [Gemahlin:
t 1100] \ Guldrade].
Albert III. '^, f 1092, Gemahlin : Hildebrand ^^ Wibert LEI. ^^ Hugo "
Julia [Tochter Widos]. [t vor 1091, Ge- f zw. 1091
mahlin: Bertha, u. 1100.
Tochter Absons
von Brescia] ^^.
\ \
Wido II. »1 [Wido III] 1'. Albert IV. ^^ lebte
1134, Stammvater
der Malapresa.
1163 : Fragmente bei Affo a. a. 0. II, 159 Anm. b. vollständig bei Riant a. a. 0.
S. 254 f., Urk. No. 2.
1 Affö a. a. 0. II, 122.
- Urkunde Heinrichs II. bei Tatti, Ann. di Como II, 838 [Schenkung von
1009 bei Taccoli, Mem. stör. Uegg. II, 679].
3 Tatti a. a. 0.
* Tatti a. a. 0. [Schenkung von 1007 im Archiv von San Prospero].
^ 2 Urkunden von 1051 bei Aöarosi, Mem. di San Prospero I, 376 u. 377.
« [Schenkung von 1007, s. Anm. 3].
8 Wibert als Kanzler für Italien.
Zweites Kapitel.
Wibert als Kanzler für Italien.
Aus einer angesehenen, mit den Markgrafen von Canossa und den
Otbertinern nahe verwandten Familie stammend, ist Wibert, gleichen
Namens mit seinem Vater, wohl zwischen 1020 und 1030 in Parma
geboren ^, wo er gewifs auch seine Bildung erhalten hat. Er wurde
dem geistlichen Stande bestimmt und ist wohl identisch mit dem Pres-
byter Wibertus, den zwei undatierte Urkunden des Bischofs Cadalus
von Parma ^ als Zeugen nennen. Da Cadalus 1046 ^ Bischof wurde,
stammen sie aus den Jahren 1046 — 57. Gewifs erlangte Wibert bei
seinem Bischof, der auch einer reichen Familie angehörte ^, eine
Stellung von Einflufs, er begleitete ihn höchst wahrscheinlich mehr-
fach nach auswärts, wie wir noch sehen werden.
Nun führte in Deutschland nach Kaiser Heinrichs III. Tode
(5. Oktober 1056)^ für dessen minderjährigen Sohn Heinrich zu-
nächst die Kaiserin Agnes die Eegentschaft. Unter ihre ersten Re-
gierungshandlungen zählt die Ernennung AViberts zum Kanzler für
Italien ^. Sein Vorgänger auf diesem Posten, Günther, wurde Bischof
8 ^ [Schenkung von 1052 im Archiv von San Prospero].
ö 10 11 Schenkung von 1092 bei Affarosi a. a. 0. I, 401 und bei Muratori,
Ant. Ital. I, 427.
12 Schenkungen von 1091 bei Affarosi a. a. 0. I, 400 u. von 1100 bei Riant,
Revue des questions histor, XXXIV, 252, Urk. No. 1. Urkunde von 1164 bei
Affö, Storia di Parma II, 91 u. 114 Anm. und bei demselben, Memorie dei scritt.
Parmig I, 34 Anm. [Schenkung von 1091 u. 2 von 1098 im Archiv von San
Prospero].
1^ Schenkungen von 1091 u. 1100, s. Anm. 12.
1* Desgl. von [1090] u. 1091, s. Anm. 12. '^ Urk. von 1164, s. Anm. 12.
1« 1' [Schenkung der Witwe Wiberts III. von 1091 im Archiv von San
Prospero].
18 Affö, Storia di Parma II, 114 Anm. u. 378. Tiraboschi, Cod. dipl. Moden,
hinter den Mem. stör. Modenesi III, 6.
1 Affö, Memorie I, 35; vgl. Don. 2, 121 SS. XII, 382.
2 Gedruckt bei Affö, Storia di Parma II, 316 u. 318 No. 16 (wo Brefslau,
Mitteüungen des Inst. f. österr. Geschichtsf. VI, 122 gewifs richtig Uuibertus
für Unibertus schreibt) u. 17.
"^ Gams, Series episc. 744. ** Bonizo bei Jaffe, ßibl. II, 645.
5 Vgl. Steindorff, Jahrb. Heinrichs III. II, 356.
ö Bonizo 642. Aus ihm schöpft der früher sogen. Cardinalis Nicolaus Ara-
gonensis, jetzt bei Watterich, Vitae pontificum I, 207 ff. Vgl. über Wibert bis
1080 den kurzen Abrifs bei Martens, Die Besetzung des päpstlichen Stuhls unter
Heinrich III. etc. S. 199—203.
Wibert als Kanzler für Italien. 9
von Bamberg, wo Adalbert am 14. Februar 1057 gestorben war^,
wonach Wiberts Ernennung um Ostern (30. Märzj 1057 anzusetzen
sein dürfte. Agnes mufs Wibert bereits früher kennen gelernt haben,
auf die Gelegenheiten, bei denen dies geschehen sein kann, macht
Brefslau aufmerksam '-. Im Februar 1054 war Cadalus gewifs nicht
ohne Gefolge auf dem Hoftage von Zürich anwesend -^ ; und am
15. Juni 1055 gab Heinrich III. auf seinem zweiten Romzuge, an
dem auch Agnes teilnahm, in dem Kloster zu Borgo San-Genesio
ein Placitum für San Prospero in Reggio ab, wobei auch Cadalus
von Parma zugegen war ^.
Von Wiberts Thätigkeit als Reichskanzler geben noch 9, davon 2
im Original erhaltene Urkunden Zeugnis, welche die Rekognitions-
formel Wibertus cancellarius vice Annonis archicancellarii tragen '"*.
Vielleicht käme noch eine zehnte hinzu für den Patriarchen von
Aquileja, die verstümmelt überliefert ist^. Dies bleibt aber fraglich,
da selbst das Jahr 1060 nicht feststeht, und es sich um Güter in
Istrien handelt, eine Rekognition durch den Kanzler für Deutsch-
land also nicht ausgeschlossen ist. Eine Zusammenstellung der Ur-
kunden nach Zeit. Ort und Empfängern möge hier Platz finden:
2554. 12. Juni 1058. Augsburg; für das Bistum Padua.
2556. 1
g_„_" [ 15. Juni 1058. Augsburg; für das Bistum Cremona.
2584. 13. April 1060. Goslar; für das Bistum Novara.
2596 a. 31. Oktober 1061. Schachen bei Waldshut; für das
Kloster San Sisto in Piacenza.
2612. 24. Oktober 1062. Augsburg; für das St. Andreaskloster
in Freising betreffend Güter in Istrien.
2617. 16. Dezember 1062. Regensburg; für den Patriarchen von
Aquileja.
2621. 24. Juni 1063. Allstädt; für das Erzbistum Ravenna.
2978. 1058—1063; für das Bistum Como.
Obwohl die Stellung eines Kanzlers politisch von grofser Be-
^ Jaffe, Bibl. Y, 556. Stumpf, Reichskanzler II, 174. Giesebrecht, Deutsche
Kaiserzeit III, 60 u. 1089 ff. (stets nach der 4. Aufl. citiert).
- Brefslau, Mitteilungen des Inst, für österr. Geschichtsf. VI, 122 ff.
^ Vgl. Steindorff, Jahrb. Heinrichs III. II, 261. Ficker, Forsch, z, Reichs-
u. Rechtsgeschichte Italiens IV, 88.
* Vgl. Steindorff a. a. 0. II, 299 u. 307. Stumpf 2475.
^ Vgl. Brefslau a. a. 0. VI, 122 f. Es sind Stumpf 2551, 2556, 2557, 2584,
2596 a, 2612, 2617, 2621, 2978.
^ Stumpf 2585. Stumpf 2759 ist jedenfalls nicht in Ordnung; die Urkunde
ist aus Veriburgen vom 2. Januar 1073 datiert und hat die Rekognition: Uuic-
bertus cancellarius vice Annonis archicancellarii recoo-novi.
10 Wibert als Kanzler für Italien,
deutung war, haben wir doch nur geringe Spuren von Wiberts An-
teil an den Zeitereignissen ^. Diese zusammenzustellen, mufs ich mich
begnügen.
Wir finden Wibert zunächst als kaiserlichen missus - zu Anfang
1059 in Italien, wo er sich am Vorgehen gegen Benedikt X. beteiligte,
den Papst des römischen Adels. Der im Dezember 1058 in Siena
nach vorausgegangener kaiserlicher Zustimmung zum Papst gewählte
Nikolaus II. (Bischof Gerhard von Florenz) berief nämlich zum
Januar 1059 eine Synode nach Sutri. auf der über Benedikt ver-
handelt wurde: neben Herzog Gottfrieds, wie der tuscischen und
lombardischen Bischöfe Anwesenheit ist auch die Wiberts ausdrück-
lich bezeugt '^. Er zog mit nach Rom und verliefs die Stadt erst,
nachdem er der Inthronisation Nikolaus* II. (24. Januar 1059) bei-
gewohnt hatte. Benedikt indes leistete Widerstand, mufste in Ga-
leria belagert werden und unterwarf sich erst auf der lateranensischen
Synode vom April 1060 ^. Nach einer Synodalurkunde für die Abtei
Leno ^ war Wibert auch hier zugegen, ohne dafs wir mehr als eben
diese Thatsache erführen.
Nach zwei Einladungsschreiben zu der Synode von 1060 ^ sollte
dieselbe stattfinden post pascha (26. März 1060), genauer in tertia
septimana post pascha, d. i. in der AYoche vom 9. bis 15. April
1060". Wiberts Anwesenheit steht urkundlich fest; gleichwohl ist
eine Urkunde vom 13. April 1060 aus Goslar^ für das Bistum No-
vara von ihm rekognosziert: ein neuer Beweis, dafs der Kanzler mit
^ Die Kenntnis derselben mufs ich natürlich voraussetzen; ich verweise auf
Giesebrecht, Geschichte der deutschen Kaiserzeit, Band 3, und gebe nur kurze
Übersichten zur Orientierung.
2 Vgl. Ficker, Forsch, z. Reichs- und Rechtsg. Ital. II, 1. Derselbe weist
nach, dafs für den missus bisweilen der Ausdruck nuntius vorkomme. Dann
wird durch den gefälschten Königsparagraphen der sogenannten kaiserlichen
Fassung des Wahldekrets von 1059, wo es heifst : mediante eins nuntio Longo-
bardiae cancellario W(iberto) , bestätigt , dafs Wibert 1059 missus war. Der
Fälscher mufs ein genauer Kenner der Verhältnisse jenes Jahres gewesen sein.
(Vgl. S. 11 ff.)
3 Bonizo 642.
•* Giesebrecht III, 42 f. u. 1085 ff. läfst ihn sich schon April 1059 unter-
werfen. Entscheidende Gründe dagegen bei Scheffer-Boichorst, Die Neuordnung
der Papstwahl etc. S. 50. Vgl. Jaffe-Löwenfeld, Regesta pontificum Romanorum
I, 556 u. 563.
'" Zaccaria, Badia di Leno 104 ff. Jaffe-L. L 562. Die Urkunde nennt unter
den Anwesenden: Wiberto serenissimo imperiali cancellario.
« Jaffe-L. 4411. 4412.
' Diese Bestimmung würde auf die Synode von 1059, die am 13. April ver-
sammelt war. nicht passen, da Ostern 1059 auf den 4. April fiel.
8 Stumpf 2584.
Wibert als Kanzler für Italien. H
der Ausfertigung der Urkunde persönlich nichts zu thun zu haben
braucht. Die materielle Erledigung kann ja vor Wiberts Abreise
stattgefunden haben.
Inzwischen aber ist sein Name mit einer sehr bestrittenen An-
gelegenheit verknüpft : er findet sich in dem berühmten Wahldekret
Nikolaus' II. vom 13. April 1059 ^ ; ich mufs diese Frage hier be-
rühren, ohne dafs ich auf eine erneute Untersuchung derselben in
ihrem ganzen Umfange mich einlassen kann.
Es ist bekannt, dafs das Dekret in zwei Fassungen auf uns ge-
kommen ist, welche man als päpstliche und kaiserliche bezeichnet.
Scheffer-Boichorst hat endgültig erwiesen, dafs die päpstliche Fassung
die echte, die kaiserliche zu Parteizwecken gefälscht ist. In der
letzteren aber begegnet der Name Wiberts, während er in der ersteren
fehlt. Der Satz, auf den es ankommt, lautet in der päpstlichen
Fassung: Salvo debito honore et reverentia dilecti filii nostri Hen-
rici, qui inpraesentiarum rex habetur et futurus Imperator deo con-
cedente speratur, sicut iam sibi concessimus et successoribus illius,
qui ab hac apostolica sede personaliter hoc ius impetraverint. In
der kaiserlichen heifst es abweichend : sicut iam sibi mediante eins
nuntio Longobardiae cancellario W(iberto) concessimus, et succes-
sorum illius, qui ab hac apostolica sede personaliter hoc ius impe-
traverint -.
Dieser Satz hat nun eine verschiedene Auslegung erfahren. Auf
der einen Seite steht Scheffer-Boichorst, dem sich Grauert und
Panzer angeschlossen haben ^. Er bezieht die Worte sicut iam sibi
concessimus etc. auf eine besondere vorsynodale Verleihung an Hein-
rich, die wir nicht näher kennen, so dafs aus dem Wahldekret selbst
über den Umfang des königlichen Pechtes sich nichts ergiebt; hoc
^ Die umfangreiche Litteratur bis 1879 findet sich bei Scheffer-Boichorst,
Die Neuordnung der Papstwahl unter Nikolaus II. , Strafsburg 1879, S. 4 u. 5.
Was seitdem hinzugekommen ist, ist zusammengestellt in der jüngsten Arbeit,
welche sich mit diesem Gegenstande beschäftigt: 'Fetzer, Voruntersuchungen zu
einer Geschichte des Pontifikats Alexanders II., Strafsburg 1887, S. 3.
^ Ich erinnere auch an die in den beiden Fassungen verschiedene Stellung
dieses Satzes.
Die päpstliche Fassung ist übrigens gedruckt bei Scheffer-Boichorst a. a. 0.
S. 14 ff., die kaiserliche S. 27 ff.
Über unseren Paragraphen, den sogen. Königsparagraphen, handeln die
Neueren: Scheffer-Boichorst a. a. 0. S. 91 — 108. Grauert, Histor. Jahrbuch der
Görres-Gesellschaft I, 568—579. Martens, Die Besetzung des päpstlichen Stuhls
unter Heinrich III. und Heinrich IV. S. 98—109. Fetzer a. a. 0. S. 14-17
u. 24-31.
^ Letzterer in „Papstwahl und Laieninvestitur zur Zeit Papst Nikolaus" IL''.
Separatabdruck aus dem Histor. Taschenbuch 1885 S. 10.
12 Wibert als Kanzler für Italien.
ius geht dann wieder auf sicut iam sibi concessimus. Jeder König
hat sich von neuem um dieses Recht zu bewerben, und die Verleihung
bleibt der Kurie anheimgestellt; es hätte ebenso gut ein für allemal
bewilligt werden können, so dafs trotz Martens 107 bei Schetfer S. 41
kein lapsus calami vorliegt ^
Dieser Auslegung steht die von Martens (S. 104 ff.) und Fetzer
(S. 28 ff.) gegenüber. Sie beziehen sicut iam sibi concessimus und
hoc ius auf qui futurus imperator speratur und glauben also, dafs
Nikolaus vor dem April 1059 Heinrich schon die Kaiserkrone ver-
sprochen habe. Der honor debitus ist nach Fetzer der Patriciat.
Mir scheinen zunächst die Grründe nicht stichhaltig, aus denen
sie von Scheffers Auslegung abgegangen sind. Ich finde darin, dafs
concessimus und concedente verschiedene Objekte haben, keine Härte,
glaube auch nicht, dafs die Häufung der Ausdrücke für die Ver-
pflichtung der Kurie gegenüber dem Kaiser störend empfunden wird.
Der honor wird als debitus bezeichnet, weil er Heinrich bereits ver-
liehen ist. Und wenn sich auch die kaiserliche Partei nie auf eine
vorsynodale Verleihung, sondern stets auf das Wahldekret berufen
hat, nun, gerade durch unseren Satz wird erstere gewissermafsen zu
einem integrierenden Bestandteil des Dekrets gemacht. Wie Fetzer
an eine Bestätigung des Patriciats denken konnte, verstehe ich nicht,
diese Würde wurde Heinrich III. von den Römern verliehen und ist
von der Kirche in einem Rechtsakt nie anerkannt worden. Und be-
zieht man die Konzession auf das Kaisertum, was soll eine spezielle
Bestimmung über dieses in einer Papstwahlordnung? Endlich dürfte
sich schwerlich nachweisen lassen, dafs das imperium als ius be-
zeichnet werden kann. Diese Auslegung scheint mir zu Schwierig-
keiten zu führen -, während die Scheffersche plan ist.
Die Erteilung von Rechten bei der Papstwahl an jeden einzelnen
König steht also im Belieben der Kurie. Alles aber, was diese zu-
gestand, war ein formelles Konsensrecht nach vollzogener Wahl vor
der Inthronisation '■' ; während die kaiserliche Fassung doch Bestä-
tigung des Kandidaten fordert. In jedem Falle ist die von Hein-
rich III. durchgesetzte einfache Ernennung des Papstes durch den
Kaiser kraft seines Amtes als Patricius Roms damit abgethan, eine
grofse Minderung der kaiserlichen Rechte eingetreten.
^ Das Wort personaliter bedeutet „für ihre Person", nicht „in eigner Person".
^ Noch andere Gründe gegen dieselbe führt Scheffer-Boichorst S. 41 f. an;
vgl. aber Martens S. 103 und Fetzer S. 26.
^ S. Scheffer-ßoichorst S. 97 ff., gegen dessen Ausführungen nichts Ent-
scheidendes geltend gemacht worden ist.
Wibert als Kanzler für Italien. 13
Somit bleibt alles besteben, was Scheffer-Boichorst ^ über die
Unmöglicbkeit einer Yermitteliing Wiberts gesagt hat, der betreffende
Passus der kaiserlichen Fassung ist hineingefälscht. Heinrich IV.
selber hat nämlich stets seine mit dem Patriciat verbundenen Rechte
aufrecht erhalten ; und der Vertreter des deutschen Hofes würde
sich gewifs nicht dazu verstanden haben, die Erteilung des Konsens-
rechtes vom päpstlichen Belieben abhängig zu machen -. Ich halte
für erwiesen, dafs wir es mit einem einseitigen Vorgehen der Kurie
zu thun haben, welche vielleicht gleichzeitig mit dem Wahldekret
aus eigener Machtvollkommenheit, ohne den Kaiser oder seine Vor-
münder zu fragen, diesem in einer besonderen Urkunde die Rechte
zuwies, die er nach ihrer Anschauung in Zukunft noch ausüben sollte ;
eine Hinweisung auf diese Verleihung wurde dann in das eigentliche
Wahldekret aufgenommen. Xikolaus und sein Ratgeber Hildebrand
wufsten eben die augenblickliche Schwäche der weltlichen Macht
wohl zu nutzen. Der Umstand, dafs Heinrich weitergehende An-
sprüche erhob, als ihm auch in der kaiserlichen Passung des Dekrets
zugebilligt werden, macht es weiter unmöglich, daran zu denken, dafs
Wiberts Name offiziell hineingefälscht sei. Da aber der Fälscher
gegenüber den päpstlichen Ansprüchen die Rechte des Königs wesent-
lich ausdehnte, mochte es ihm geraten scheinen, seinem Werk einen
stärkeren Rückhalt dadurch zu geben, dafs er den Namen des da-
maligen Kanzlers und späteren Hauptes der kaiserlichen Partei gleich-
sam als Zeugen anrieft. Soviel über diese so oft erörterte Frage.
Seit dem April 1060 verschwindet Wibert für 1^ o Jahre aus
unserer Überlieferung. Unterdessen Avar Nikolaus IL am 27. Juli
1061 gestorben, und der römische Adel erbat sich einen Papst von
Heinrich IV. Das war ganz gegen Hildebrands, des leitenden Geistes
der römischen Kirche. Absichten, am 1. Oktober 1061 liefs er den
Bischof Anselm von Lucca wählen und als Alexander IL inthroni-
sieren, ohne sich um die Kaiserin zu kümmern. Darob grofse L^nzu-
friedenheit in Rom, noch gröfsere unter den lombardischen Bischöfen.
1 a. a. 0. S. 106 S. und Beilage 1 S. 119 ff.
2 Nach Scheffer-Boichorst S. 119 ff. hätte der Kardinal Stephan die Be-
schlüsse der Synode dem deutschen Hofe übermitteln sollen, wäre aber sehr un-
gnädig behandelt und gar nicht vorgelassen worden. Fetzer hat S. 43 — 51 u.
73 — 76 Scheffers Ansetzungen zu erschüttern gesucht, ohne dafs es ihm nach
meiner Ansicht gelungen ist. Leider mufs ich mir eine eingehende Erörterung
dieser Frag-e hier versao^en.
^ Fetzer a. a. 0. S. 5 ist der einzige seit Scheffer-Boichorst , der die von
mir verworfenen Worte für einen Bestandteil des Originals hält ; seine Gründe
aber stehen und fallen mit der Annahme oder Verwerfung seiner Auslegung des
Königsparagraphen.
14 AVibert als Kanzler für Italien.
die wesentlich Gegner der Kirchenreform waren. Anselm aber war
der geistige Urheber der Pataria, einer gegen Simonie und Niko-
laitismus gerichteten frondierenden Bewegung in den lombardischen
Bischofsstädten. Bei dieser Gelegenheit tritt Wibert wieder hervor.
Auf seinen Antrieb ^ nämlich fand eine Versammlung der lom-
bardischen Bischöfe statt, auf welcher beschlossen wurde, man wolle
keinen Papst anerkennen, der nicht ex paradiso Italiae, d. h. aus der
Lombardei stamme, mit anderen Worten ein Gegner der kirchlichen
Reform sei. Auch sie wandten sich an die Kaiserin und legten dar,
wie die kaiserlichen Rechte bei der Wahl Alexanders gröblich mifs-
aclitet worden seien. Ob Wibert unter den Gesandten war, ist aus
Bonizo nicht ersichtlich. So bleibt auch unsicher, ob er an jener
Synode von Basel teilnahm, auf welcher am 28. Oktober 1061
Alexander für einen Eindringling erklärt, und Bischof Cadalus von
Parma von Agnes und Heinrich zum Papst ernannt wurde. Den-
noch kann man wohl ganz eigentlich Wibert als den Vater des so
entstandenen Schismas und der Wahl gerade seines Bischofs be-
zeichnen, die wie keine andere ihm zum Vorteil gereichen konnte.
Von nun an war er im Interesse des Cadalus thätig, er begleitete
ihn auf seinem ersten Zuge nach Rom (März— Mai 1062)'-; allerdings
ist nur die Thatsache seiner Anwesenheit und zwar durch Benzo
bezeugt, dem man dies wohl glauben darf ^. Cadalus, im ganzen vom
Glück begünstigt, verfehlte sein Ziel lediglich durch das Dazwischen-
treten des kaiserlichen Statthalters Herzog Gottfried, der auf eine
kaiserliche Entscheidung verwies : dies wurde verhängnisvoll für jenen.
Denn inzwischen war gegen Pfingsten 1062 während Wiberts Ab-
wesenheit in Deutschland der bekannte Königsraub von Kaiserswert
verübt worden. An Agnes' Stelle trat zunächst ein Regiment, dessen
Seele die Erzbischöfe von Köln und Mainz Avaren, das aber schon
im Sommer 1063 durch die Reichsregentschaft der Erzbischöfe Anno
von Köln und Adalbert von Bremen ersetzt wurde. Die neue Re-
gierung war Alexander günstig, von dem die Verschworenen allein
Nachsicht erwarten konnten, und die Tage von Augsburg (Oktober
1062) und Mantua'(31. Mai 1064) vernichteten des Cadalus Hoffnungen.
Schon längere Zeit vorher hatte Wibert sein Schicksal erreicht.
Der Sturz der Kaiserin mufste auch seine Stellung stark erschüttern,
doch hielt er sich noch bis zum Sommer 1063, Avurde dann aber
^ Bonizo 645.
2 Cfr. Ann. Altah. 1062 SS. XX, 812. Benzo 2, 13 SS. XI, 612 ff. Bonizo 646.
3 Benzo SS. XI, 616. Der Jude Leo redet die Römer an: Certi sumus de
vohmtate regis per Albensem episcopum, regis silentiarium ; nunc vero cum Bar-
mensi electo audivimus esse cancellarium.
Wibert als Erzbiscliof von Ravenna bis zu seiner Wahl zum Papst. 15
seines Amtes entsetzt K Die letzte von ihm rekognoszierte Urkunde
ist aus Allstädt, 24. Juni 1063 datiert 2, schon am 27. September
begegnen wir seinem Nachfolger Gregor von Vercelli ^. Die Gründe
der Absetzung, welche Bonizo nicht angiebt, sind unschwer zu erraten.
Vermutlich hat sich Wibert nach Parma zurückgezogen, wo
auch Cadalus seit 1064 unbeachtet lebte; für 9 Jahre (1063 — 72)
ist er völlig verschollen. Schon als Kanzler aber hat er seine hervor-
ragende Anhänglichkeit an die kaiserliche Sache gezeigt, und schon
als Kanzler hatte er seinen ersten Zusammenstofs mit Hildebrand.
Drittes Kapitel.
Wibert als Erzbiscliof roii ßaYeima bis zu seiner IValil
zum Papst.
Im Winter 1071/72 starben kurz nacheinander zwei hervor-
ragende Geistliche der kaiserlichen Partei in Italien, nämlich der ehe-
malige Gegenpapst Cadalus von Parma, wahrscheinlich Ende 1071 ^,
und Erzbischof Heinrich von Ravenna, einer seiner Hauptanhänger,
am Anfange von 1072 vor dem 22. Februar '^.
Er liefs seine Diözese in grofser geistiger Bedrängnis zurück.
Seit etwa 1065 war er im Banne gewesen *' und hatte auch die Ea-
vennaten in diesen verstrickt, da sie ihn nicht verlassen wollten : er
ist dann auch im Banne gestorben '. Gleich nach dessen Tode
sandte nun Papst Alexander den Kardinal Petrus Damiani, der aus
Ravenna gebürtig war, dorthin, um die Stadt von der Exkommuni-
kation zu befreien, was der alte Mann, wie berichtet wird, zu grofser
Freude der Bürger auch ausführte ^. In diese soeben in den Schofs
1 Bonizo 647. ^ stumpf 2621. ^ Stumpf 2630.
* Bonizo 654. ^ Bonizo 654. Ann. Altah. 1072 SS. XX, 824.
^ Vielleicht war er auf der Synode gebannt worden, die nach Jaffe-L. 4565
u, 4566 im Jahre 1065 gehalten worden ist. Der Grund ist nicht recht klar;
er soll nach Griesebrecht III, 107 nicht auf dem Konzil von Mantua erschienen
sein (so auch Ewald im Neuen Archiv V, 335 Anm. 3) ; ich habe nicht ermitteln
können, worauf diese Behauptung beruht.
' Vgl. Jaffe-L. 4578 u. 4624. Ann. Altah. 1068 SS. XX, 818. Vita Petri
Damiani auct. Joanne Laudensi c. 21 u. 22 in Petri Damiani opera ed. Caietanus^
Paris 1743, I, vita, S. XVII. Petri Damiani ep. 1, 14 opp. ed. Caj. I, 11.
^ Auf dem Rückwege gelangte er nur bis Paenza, wo er am Fieber er-
krankte und am 22. Februar 1072 sein Leben beschlofs; vgl. über diese Vor-
gänge des näheren die vita Petri Damiani seines Schülers und Begleiters Jo-
hannes Laudensis c. 21 u. 22, s. Anm. 7. Als Todestag ist der 22. Februar
festzuhalten, denn Johannes, der Augenzeuge war, giebt an, Petrus sei am Tage
cathedra Petri gestorben; so auch Bernold 1072 SS. V. 429. während derselbe
16 Wibert als Erzbiscliof von Kavenna bis zu seiner Wahl zum Papst.
der Kirche zurückgekehrte Stadt sollte nun Wibert als Erzbischof
einziehen, und das kam so ^
Nach Cadalus' Tode begab er sich an den Hof und bemühte
sich eifrig um den Bischofsstuhl seiner Heimat Parma, wofür er
reichliche Bitten und angeblich auch Geschenke aufgewendet haben
soll. Er Avar zu ungelegener Zeit gekommen, denn nach Erzbischof
Adalberts am 16. März 1072 erfolgten Tode war sein Gegner Anno
wieder am Hofe; gegenüber einer starken unter Geistlichen und
Laien. Deutschen und Italienern wider ihn sich erhebenden Strömung
vermochte er sich nicht durchzusetzen, und nicht er, sondern ein
Eberhard aus Köln wurde durch Annos Einüufs Bischof von Parma ^.
Da wollte es sein Stern, dafs seine alte Gönnerin, die Kaiserin Agnes,
vorübergehend am Hofe eintraf; am 25. Juli 1072 kam sie in Worms,
wo sich Heinrich damals aufhielt, an ^. Trotz aller Wandlungen im
übrigen hatte sie ihrem früheren Kanzler die alte Gunst erhalten,
sie warf jetzt ihren Einflufs für ihn in die AVagschale und bewirkte,
dafs Wibert das erledigte Erzbistum Ravenna erhielt ^. So war ihm
eine viel bedeutendere Stellung, die nächste nach Rom, zu teil ge-
worden, als ursprünglich in seinen Gedanken lag.
Nicht lange vor der Fastenzeit 1073 hielt er mit grofser Pracht
— er war ja ein vermögender Mann — seinen Einzug in die ihm
anvertraute Metropole und begab sich dann nach Rom, um die Kon-
sekration zu erhalten •\ Am 20. Februar hatte er Ravenna noch
nicht verlassen, denn an diesem Tage stellte er daselbst eine Ur-
kunde aus ^, in der er sich electus archiepiscopus nennt, damals also
fehlte ihm die Konsekration noch. Auch kam er erst nach der
Fastensynode von 1073 in Rom an, wo er bis nach Ostern (31. März)
verweilte. In seiner Begleitung befand sich der eifrig kaiserlich
gesinnte Bischof Dionysius von Piacenza, der sich mit Gregor von
Vercelli hervorragend an der Wahl des Cadalus beteiligt hatte '.
In Rom mufste es AVibert noch schwerer werden, seine Ziele
zu erreichen, als am kaiserlichen Hofe. Alexander konnte unmöghch
den bösen Dienst vergessen haben, den ihm Wibert durch die Be-
Bernold in seinem Nekrologium (SS. Y, 391) den 21., ßerthold 1072 (SS. V, 275)
den 23. Februar verzeichnet.
1 Bonizo 655. Giesebrecht III, 187 f.
2 Adam von Bremen 3, 34 SS. VII, 348 u. Giesebrecht III, 1093.
3 Lambert 1072 SS. V, 190.
^ Bonizo 655. Ann. Augustani 1072 SS. III. 128. Ann. Altah. 1072 SS. XX, 824.
ö Bonizo 655 cfr. 681. Giesebrecht HL 188.
ö Rubens, Hist. Ravenn. 298; cfr. Amadesi, Antistites Ravennates II, 188.
" Petri Damiani epist. 1 , 20 ad Cadalum in den opera ed. Caietanus I, 19.
Vgl. Lehmgrübner, Benzo von Alba S. 4L
"Wibert als Erzbiscliof von Ravenna bis zu seiner "Wahl zum Papst. 17
günstigung des Cadalus erwiesen hatte, konnte auch eine Sinnes-
änderung nicht wohl annehmen und weigerte sich in der That lange,
die Konsekration zu erteilen ^ Aber Wibert hatte sich einen mäch-
tigen Fürsprecher in der Person des Kardinal- Archidiakonen Hilde-
brand zu erwerben gewufst. Bonizo beschuldigt ihn deshalb der
Heuchelei; und in der That erfolgte die vollständige Unterwerfung
Wiberts gewifs nicht aus innerer "Überzeugung, sondern nur unter
dem Drucke äufserer Verhältnisse. Für die Zukunft mufste er ge-
wisse Veri:)flichtungen eingehen ; noch läfst der Brief, durch welchen
ihm Gregor VII. nochmals seine Wahl zum Papst anzeigt -, an zwei
Stellen die gepflogenen Verhandlungen erkennen. Danach will sich
Wibert Eom im allgemeinen und Hildebrand insbesondere erkenntlich
zeigen, und macht allgemeine Zusagen über gesandtschaftlichen Ver-
kehr zwischen Rom und Kavenna. Kenntnis der Menschen , will
mir vorkommen, war nicht die stärkste Seite Hildebrands; wenn er
dachte, sich durch seine Handlungsweise den zweitangesehensten
Kirchenfürsten Italiens aufrichtig und dauernd verpflichtet zu haben,
so täuschte er sich, wie er wohl auch die bindende Kraft des AVibert
auferlegten, gleich zu besprechenden Eides überschätzte. Hildebrands
Drängen nachgebend, verstand sich endlich der Papst zur Gewährung
der Konsekration, nicht ohne ihn darauf aufmerksam zu machen,
dafs er die Folgen werde zu tragen haben. ,.Ego quidem iam delibor
et tempus resolutionis meae instat. tu vero eins senties acerbitatem,-'
soll er zu ihm geäufsert haben. Auch liefs er Wibert einen Eid
leisten, wie er bisher von einem Erzbischof von E-avenna noch nicht
gefordert worden war.
Allerdings war in Italien seit dem Ende des 6. Jahrhunderts
ein Eid der Bischöfe üblich -^ dessen Hauptzweck aber „nicht die
Sicherung des Gehorsams gegen den römischen Bischof, vielmehr
die Verhinderung schismatischer Bewegungen und hochverräterischer
Komplotte gegen das römische Reich'* war. Wiberts Eid aber hat
folgenden Inhalt.
Er schwört dem römischen Stuhle, dem Papst Alexander und
dessen Nachfolgern, die von den meliores cardinales erwählt sind,
Treue ; er wird sich nicht in Verschwörungen gegen sie einlassen,
Geheimnisse aber, die ihm anvertraut sind, nicht zu ihrem Schaden
verwenden. Er verspricht seine Unterstützung, um das Gebiet des
heiligen Petrus ungeschmälert zu erhalten ; römischen Legaten will
er stets die gebührende Ehre erweisen. Wenn er zu einer Synode
^ Bonizo 655.
- Gregom VII. ßegistrum 1, 3 bei Jaffe, Bibl. II, 12; Jaffe-L. 4774.
^ Ygl. Hinschius, System des katholischen Kirchenrechts III, 199 — 204.
Kühncke, Wibert v. E. 2
18 Wibert als Erzbiscliof von Raveuua bis zu seiner Wahl zum Papst.
berufen wird, gelobt er zu erscheinen, aufser wenn er eine kano-
niscbe EntschuUligung hat ; allemal aber wird er zum 29. Juni entweder
selber nach Rom kommen oder eine Gesandtschaft dahin abordnen.
Bonizo giebt den Inhalt des Eides kurz und treffend an . wie uns
die erhaltene Formel gelehrt hat^
Ein solcher Eid aber hat eine ganz andere Bedeutung, wie die
früheren, und ist in dieser Form etwas Singiilares, einer der ersten
Fälle des eigentlichen Obedienzeides, welcher Unterwerfung unter
die kirchliche Politik des jeweiligen Papstes und Unterstützung der-
selben heischt'-; feste Praxis wurde er schon im Laufe des 12. Jahr-
hunderts''. Seine Form blieb w^esentlich dieselbe, wie sie schon
bei AVibert vorliegt, sie wurde nur etwas ausgestaltet. Zum Vor-
bild hat der Lehnseid gedient, den 1059 Robert Guiscard Nikolaus IL
leistete"*.
Nun ist noch ein z\Yeiter angeblich von Wibert geleisteter Eid
anderen Inhalts überlieferte
Im Register Gregors VII. findet sich unter 3, 17tv** ein Eid.
den Bischof Robert von Chartres im April 1076 in der St. Peters-
kirche am Grabe des A])ostels vor angegebenen Zeugen abgelegt
hat. In demselben verpflichtet er sich, vorkommenden Falles, einem
])äpstlichen Ijegaten gehorchend, auf dessen Geheifs und in dem
befohlenen Zeitraum sein Amt niederzulegen ; ferner auch sein Bis-
tum gut zu verwalten, so dafs es nicht geschädigt werde.
^ Die Eidesleisiuno" ist uns ilurch Uonizo 655 bekannt.; eine irrtümliche Auf-
fassung^ der AVorte desselben, in die Stenzel, Fränkische Kaiser 1, 372 ; Gfrörer,
Gregor VII. II, 370 u. 374 ; Hefele, Konzilieutreschichte ^ IV, 897 ; Marteus, Be-
setzung des päpstl. Stuhls 277 gefallen sind, beseitigt Giesebrecht III, 1115.
Dfifs AVibert einen Eid leistete, sagen unter vielen anderen auch Donizo 2.
122 f. SS. XII, 382 (der sich aber im Papste irrt); Gcbluird von Salzburg bei
Hugo Flav. SS. VIII, 459; vita Anselmi c 18 SS. XII, 18 etc.
Die erhaltene Eidesformel ist gedruckt in Deusdedit , Collectio canonum
IV, 162 ed. Martinucci S. 503 u. Giesebrecht III, 1257.
- Die beiden anderen hervorragenden Fälle des 11. Jahrhunderts sind der
des Erzbischofs Wido von Mailand unter Nikolaus II. und der des Patriarchen
Heinrich von Aquileja 1079 unter Gregor VII., s. Hinschius III, 202.
^ Näheres bei Hinschius a. a. 0.
* Hinschius a. a. O. III, 204 Anni. 2 u. 3. .TalVc^-L. I, 561. Auch zu ver-
gleichen der Lehnseid Ilichards von Capua vom 14. September 1073 (Heg. 1, 21a
bei Jafte, Bibl. II, 36) und der Ilobert Guiscards vom 29. Juni 1080 (Reg. 8. 1 a
bei Jailc, Bibl. II, 426).
^ Vgl. zum Folgenden: Giesebrecht III, 1238; Ewald, Histor. Untersuch-
ungen für Arn. Schäfer S. 305; Ewald, Neues Archiv III, 156; PlUigk-Harttung,
NA. VIII, 229 u. 241 u. XI, 151; Löwenfeld, NA. X, 321; Wattenbacli, Ge-
schichtsquelleu'^ II, 201.
« Jafte, Bibl. II, 232.
"Wibert als Erzbischof von Eavenua bis zu seiner Wahl zum Papst. 19
Demselben Eide begegnen wir nun bei Deusdedit ^ mit der Über-
schrift : Juramentum eins, qui deponitur, die dem Inhalt nicht ganz
entspricht, und der Bemerkung ex registro septimi papae Gregorii
cap. Xnil libri III. indes nicht ohne Veränderungen. Von un-
erheblichen Umstellungen einzelner Worte können wir absehen.
Eine andere Gruppe von Änderungen scheint aus einem und dem-
selben Gesichtspunkt vorgenommen zu sein. In dem Satze pro-
mitto .... et beato Petro apostolorum principi, [cuius corpus hie
requiescit,] fehlen bei Deusdedit die eingeklammerten Worte; weiter-
hin ist Gregors Name durch das formelhafte ille ersetzt, während am
Schlüsse die Beurkundungsformel, die Zeugen, das Datum wegge-
lassen sind. Das würde auf die Annahme führen, es sei beabsich-
tigt gewesen, die Formel unter Ausscheidung aller speziellen Be-
ziehungen zu einer allgemeinen zu machen. Dem bereiten indes
zwei Abweichungen Schwierigkeiten. Aus Robertus ist nämlich bei
Deusdedit Guibertus . aus Carnotensem episcopatum Bavennatem
archiepiscopatum geworden, und am Schlüsse folgt nach accipiant
der ihm eigenthümliche Zusatz : neque aliquo inveniam - studio, ut
Romano legato '^ resistatur. Si(c) me Dens (adiuvet etc.). Sollten
wir einen zweiten Eid vor uns haben?
Hier spielt eine gelehrte Streitfrage herein, die in den letzten
Jahren Anlafs zu Erörterungen gegeben hat, ob nämlich Deusdedit
„das päpstliche Originalregister oder einen Auszug, der reicher war
als der unsrige. oder das Register in der uns erhaltenen Gestalt
benutzt'* habe ^. Giesebrecht, Jaffe, Löwenfeld glauben an die Be-
nutzung unseres, Ewald und PÜugk-Harttung an die eines reicheren
oder des Originalregisters. Die folgende Untersuchung ist ein Bei-
trag zu dieser hier natürlich nicht zu erledigenden Frage ; unser
Eid hat in ihrer Besprechung eine Rolle gespielt.
Giesebrecht ^ meint, es sei ohne Zweifel derselbe Eid wie Reg. 3,
IJa^ die Änderungen und der Zusatz seien von Deusdedit absicht-
lich gemacht. Ahnlich Löwenfeld *^ : 3, 17a sei zuerst aller direkten
Beziehungen entkleidet, nachträglich aber habe der Schreiber des
Kodex oder Deusdedit selber seinem Hasse gegen Wibert Luft ge-
^ Deusdedit, Collectio canonum IV. 162 ed. Martinucci S. 503 f. (nach Lö-
wenfeld XA. X, 311 unter dem Pontifikat Viktors III. vollendet). Pflugk-
Harttung XA. VIII, 229.
- wofür Ewald. Histor. Untersuchungen 305 gewifs richtig inveniar schreibt.
^ Giesebrecht III, 1238 hat im cod. Vatic. 3833 Romanae legationi gelesen;
aber sowohl bei Deusdedit wie bei Pflugk-Harttung steht Romano legato.
* Eine Übersicht über die Geschichte der Frage giebt Löwenfeld XA. X,
314 ff., auch in der 2. Auflage der Reg. pont. I, 598 und Addenda II, 712.
•^ KZ. III, 1238. ^ XA. X, 321.
20 "NVibert als Erzbischof von Ravenna bis zu seiner "Wahl zum Papst.
macht. Besonders aber macht er darauf aufmerksam, dafs 3, 17a
wirklich der Nummer nach gleich 3, 19 sei, da 3, 18. der unter
6^ 17a stehende Eid Berengars von Tours, in Jaffes Ausgabe des
Begistrum nicht abgedruckt sei.
Auf der anderen Seite hält Ewald ^ Giesebrechts Bedenken
für unbegründet, ihm scheint dieser Eid Wiberts an 3, 19 als zwischen
2, 42 und 5, 13 ganz passend zu stehen. Und nach Pfiugk-Hart-
tung - habe Deusdedit sonst nicht zu so groben Entstellungen ge-
griffen, ihm als Kanonisten sei es mehr auf den Inhalt als auf die
Namen angekommen, die er deshalb auch weggelassen und verkürzt
habe. Es seien eben zwei verschiedene Eide, nach gleicher Formel
gearbeitet und nach dem Einzelfalle etwas verändert. Wenn die
von Deusdedit citierte Stelle auch diejenige unseres Registers sei.
so könnten an dieser ganz gut beide Eide auch unter derselben
Nummer gestanden haben.
Stimmt nun das Citat 3. 19 wirklich mit unserem Register, wie
Löwenfeld behauptet? Jaöe ' bemerkt, dafs zwischen 3, 5 und 6 die
Exkommunikation Heinrichs IV. vom Februar 1076 aus 3, 10a ge-
standen habe, dafs aber die Verschiedenheit von Tinte und Schrift
zeige, dafs sowohl dieses Stück wie 3, 6 später eingefügt seien.
Darf man annehmen, dafs Deusdedit diese beiden Nummern in
seinem Kodex nicht hatte, hingegen den nach 3, 17 fehlenden Eid
Berengars vorfand, so käme — da noch 3, 10a einzuiügen ist —
für 3, 17a in der That die 19., sonst aber die 21. Stelle heraus.
Diese Annahme ist aber doch zu künstlich. Immerhin ist merk-
würdig, dafs in einem codex Ottobonianus 3057 unser Eid 3, 17a
wirklich als 3, 21 citiert wird'*, sich inhaltlich mit 3, 17a deckt und
dieselben Namen (Robertus , Carnotensis) hat ^ Die Erklärung
wäre die, dafs in dem Kodex, der dem Schreiber des Ottobonianus
vorlag, die beiden eben erwähnten Stücke schon nachgetragen waren.
Nach alle diesem wird der Eid Wibert nur bei Deusdedit zuge-
schrieben. Indes lege ich auf diese Zählungen und Zahlenangaben
1 Histor. Untersuchungen für A. Schäfer 305. - NA. A^II, 241 u. XI, 151.
3 Bibl. II, 211 Anm. ^^■
4 Pflugk-Harttung NA. VIII, 229, XI, 149 und Iter Italicum 140.
•^ Giesebrecht III, 1238. Pflugk-Harttung, Iter 140. — Freilich wird auch
der Eid Berengars, dem die Stelle 3, 20 zukäme, als 8, 21 citiert. — Im NA.
III, 156 erwähnt Ewald noch eine Handschrift (Rom, Minerva, 1>. V, 17 saec. XI),
die unsern Eid auch enthält : ex registro YII. Gregorii pape cp. XVIIII, lib. III.
Er habe mit 3, 17 a der JafTeschen Edition grofse Ähnlichkeit. Es wäre wün-
schenswert, dafs Näheres darüber bekannt würde; ich kenne aufser dieser Notiz
nichts.
Wibert als Erzbischof von Ravenna bis zu seiner AVahl zum Papst. 21
SO gut wie kein Gewicht ^ ; ich betrachte lieber die Sache und frage :
Ist es überhaupt denkbar^ dafs Wibert diesen zweiten Eid geleistet
habe ?
Diese Frage kann ich nur verneinend beantworten. Ich sehe
nicht, welchen Sinn denn dieser Eid neben dem vom März 1073
haben soll. Und wenn man damals Wibert in der Lage, in die er
nun einmal geraten war, zu einem Eide nötigen konnte, nachher
ging das nicht mehr an ; und hätte man es versucht, so ist es ganz
undenkbar, dafs Wibert sollte darauf eingegangen sein.
Die Stellung solcher Stücke im Register giebt ja keinen sicheren
Anhalt für ihre zeitliche Bestimmung ; es können mehrere gleich-
artige Dokumente aus verschiedenen Zeiten unter derselben Xummer
vereinigt sein. Wir dürfen also nicht behaupten, dieser angebliche
zweite Eid sei um den April 1076 — dieses Datum würde der
Stelle im Register entsprechen — geleistet worden ; dürften wir das,
so fiele er als zu jener Zeit ganz unmöglich erst recht.
Leicht aber ist zu erklären, wie bei Deusdedit die Umwand-
lung von Robertus und Carnotensis episcopatus in Guibertus und
Ravennas archiepiscopatus vor sich gegangen ist ; wer diese Namen
eingesetzt hat, ist nach meiner Meinung dazu verleitet worden durch
den Anfang des unmittelbar vorhergehenden Treueides Wiberts : Ego
Guibertus etc., mag es nun ein Schreiber — was ich glaube — oder
Deusdedit selber gewesen sein. Auch halte ich diese Änderung gar
nicht für eine Kundgebung besonderen Hasses, sie ist unschuldig,
denn auf die Namen kam in dieser Sammlung von Kanones ja
nichts an. Was den Zusatz am Schlufs angeht, so kann die Formel
sie me Deus etc. am Ende eines Eides nicht auffallen; aber auch
die Worte neque aliquo inveniar studio, ut Romano legato resista-
tur charakterisieren sich durch den ungefügen Anschlufs an das
Vorhergehende nach Form und Inhalt als späterer Zusatz. Man
mag diese Worte hinzugefügt haben , weil man eine Bestimmung
der Art vermifste, die sonst zum eisernen Bestand römischer Eide
gehörte, und in deren Verletzung der Eidbruch Wiberts, der dem
Schreiber vorschwebte, mit beruhte ; man bedachte nicht, dafs eine
solche Bestimmung wegen der speziellen Verpflichtung des Schwö-
renden im Anfang der Formel gewissermafsen unnötig geworden war.
Danach scheint mir, dafs man die Annahme, Wibert habe je-
^ Einmal sind Scbreibfehler sehr leicht möglich; zum anderen aber, was
wichtiger ist, werden die betreffenden Autoren wohl selber abgezählt haben,
wobei erst recht Irrtümer unterlaufen konnten, zumal man unsere heutige wissen-
schaftliche Penibilität damals nicht kannte, die Zwecke der uns beschäftigenden
Sammlungen auch keine wissenschaftlichen waren.
22 Wibert als Erzbischof von Ravenna bis zu seiner Wahl zum Papst.
mals diesen zweiten Eid geleistet, von der Hand weisen mufs. Trotz
ihrer Abweichungen sind die Formeln des Registers und Deusdedits
identisch, und auf unseren Eid wird man sich nicht berufen können,
wenn man behaupten will, Deusdedit habe noch ein anderes Register
benutzt, als das uns erhaltene; er Avürde vielmehr zum Beweise des
Gegenteils beitragen.
Wir hatten Wibert in Rom verlassen, nachdem ihm die Kon-
sekration in aller Form erteilt worden war. Noch feierte er das
Osterfest 1073 (31. März) am päpstlichen Hofe, beurlaubte sich dann
und war auf der Rückreise noch nicht nach Ravenna gelangt, als
er die Nachricht erhielt, Papst Alexander sei am 21. April 1073
verschieden ^ Zu seinem Nachfolger wurde am 22. Hildebrand als
Gregor VIT. gewählt , womit das Ereignis sich vollzogen hatte^
welches dieser wohl in Rechnung gezogen hatte, als er die Weihe
Wiberts so warm befürwortete. Vier Tage darauf, am 26. April,
zeigte er diesem seine Wahl in einem uns erhaltenen Schreiben an -.
Er zweifelt nicht, dafs Wibert den Tod Alexanders bereits er-
fahren habe, und erzählt die Vorgänge bei seiner Wahl, ohne sie zu
entstellen, denn deutlich tritt hervor, dass dieselbe den Bestim-
mungen des Wahldekrets Nikolaus' II. nicht Genüge that. Er bittet
dann den Erzbischof, die Liebe, die er gerade in dieser Zeit zur
römischen Kirche, speziell zu ihm zu hegen versprochen habe, ihm
nun auch zu erzeigen, wenn nicht seiner Person, dann seiner Würde ;
er möge seine Suffragane und die Angehörigen seiner Kirche zu
Gebeten für ihn anhalten. Er fordert dieselbe ungeheuchelte Liebe
von Wibert, die er zu diesem hat, und wünscht, dafs durch den
Frieden und die Liebe zwischen den Kirchenfürsten Rom und Ravenna
einig und verbunden sein möchten. Er wiederholt endlich den schon
mündlich geäufserten Wunsch, durch häufige Gesandte Freud' und
Leid austauschen zu können.
Der Ton dieses Schreibens ist freundlich, und die enge Verbin-
dung, in welche Rom und Ravenna gebracht werden, mufste Wiberts
Eitelkeit schmeicheln. Doch läfst sich eine gewisse Unsicherheit
nicht verkennen, ob Wibert seine Zusagen wohl auch halten werde ;
die Zeit erst konnte lehren, ob er durch die Befriedigung seines
Ehrgeizes auf der einen, durch den Eid auf der andern Seite ge-
nügend gefesselt war. Schon bot ihm der letztere eine Handhabe
gegen Gregor : er hatte den successoribus electione meliorum cardi-
nalium intrantibus geschworen.
^ Bonizo 655,
2 Reg. 1, 3 bei Jaffe, Bibl. II, 12; Jaffe-L. 4774. Giesebrecht III, 240.
Wibert als Erzbischof von Ravenna bis zu seiner Wahl zum Papst. 23
Schon nach Vj^ Monaten erfuhr das Einvernehmen beider eine
Trübung: Gregor erhob Ansprüche auf die Stadt Imola. deren Bischof
zu den Suffraganen von Eavenna gehörte ^ Wibert verlangte bei
Antritt seines Amtes von der Stadt den Treueid, wogegen ein Teil
der Einwohner bei Gregor Klage erhob mit Berufung darauf, dafs
man dem heiligen Petrus Fidelität geschworen habe. Gregor ging
sofort auf die Klage ein, da es eine seiner vornehmsten Sorgen war,
den Besitz des heiligen Petrus ungeschmälert zu erhalten und dort
wiederherzustellen, wo er Einbufse erlitten hatte. In diesem Be-
streben kannte er keine Bücksichten. Er forderte den Grafen Wido
von Imola auf, den Streit, wenn möglich, friedlich und ehrenvoll
beizulegen, eventuell übertrug er ihm den Schutz der Stadt gegen
Wiberts Bestrebungen bis zur Ankunft päpstlicher Legaten. Die
Pille wird für Wibert etwas versüfst durch einige Höflichkeiten und
Schmeicheleien; er wird als tarn prudens vir bezeichnet, und seine
perspecta dudum fraterna Caritas et sacerdotalis honestas wird her-
vorgehoben. Indes die Sache blieb, wie sie war; und am Schlufs
des Briefes heifst es sehr deutlich: Nos equidem cum omnibus, si
fieri potest, pacem habere ardenter cupimus, sed eorum conatibus,
qui ad iniuriam sancti Petri cuius servi sumus extendere se moliun-
tur, divina adiuti tam virtute quam iustitia, obviare non refugimus.
Schärfe läfst sich diesem Vorgehen nicht absprechen; und ist
es schon auffällig, dafs Gregor so gegen einen Mann einschritt, der,
wie er wufste, mächtig und ein unzuverlässiger Anhänger war, so
erstaunt man geradezu, wenn man hört, dafs der Bechtsboden, auf
dem Gregor sich bewegte, ein sehr schwanker war -. Seit Karls des
Grossen Zeiten hatte nämlich der Erzbischof von Bavenna teils
allerdings durch Usurpation, teils durch päpstliche Verleihung nach
und nach den ganzen Exarchat erlangt; seit zwei bis dreihundert
Jahren hatte die Kirche keine Ansprüche mehr auf denselben er-
hoben und ruhig geschehen lassen, dafs die deutschen Kaiser wie'der-
holt dem Erzbischof diesen Besitz bestätigten. Die Grafschaft Imola
kommt dabei schon in einer Urkunde Ottos III. vom 19. Dezember
999 vor. Vordem aber hatte allerdings durch Pippins Schenkung
Rom den Exarchat besessen, und auf diese alten Privilegien ging
nun Gregor zurück, ohne auf eine mehrhundertjährige Entwickelung
Bücksicht zu nehmen, wie er es auch anderwärts versuchte. Über den
Ausgang der Angelegenheit sind wir nicht unterrichtet; schwerlich
^ Brief Gregors an Graf Wido von Imola vom 1. Juni 1073. Reg. 1 , 10
bei Jaffe, Bibl. II, 20; Ja£fe-L. 4781. Giesebrecht III, 244.
- Vgl. Ficker, Forsch, z. Reichs- und Rechtsg. Ital. I, 251 ; II, 315 u. 467.
Martens, Besetzung des päpstlichen Stuhls 200.
24 AVibert als .Erzbischof von Ravenna bis zu seiner AValil zum Papst.
wird Gregor einen Erfolg erlangt haben. Auf alle Fälle aber mufste
sich Wibert sehr verletzt fühlen.
Aufserlich schien das Verhältnis ungestört. Getreu seinem
Eide erschien Wibert auf der Fastensynode vom März 1074 \ Der
Priester Bardo, der Biograph Anselms II. von Lucca, ist Augen-
zeuge, dafs er im Lateran-Palast wohnte und in den Sitzungen nach
dem Vorrecht seiner Kirche den Ehrenplatz zur Hechten des Papstes
einnahm -. Nach Bonizo und Bardo , freilich zwei eingefleischten
Gregorianern, habe er sich geflissentlich bemüht zu zeigen, dafs er
ohne Bückhalt Gregor als Papst anerkenne 'l Als nun eine Ange-
legenheit verhandelt wurde ^, die zwischen Cremona und Piacenza
schwebte, soll Wibert die Stadt Cremona übel bezichtigt haben, aber
vor versammelter Synode von einem jungen, hervorragenden Cremo-
nesen, mit Namen Dodo, derart widerlegt worden sein, dafs er als
Lügner dagestanden habe. Panzer ^ bringt mit dieser Erzählung
eine Stelle bei Wido von Ferrara in Verbindung ^, wo dieser eine
Schandgeschichte von einem über Ehebruch ertappten Geistlichen
zu Cremona erzählt, nobis praesentibus et videntibus. Ich habe
Panzers scharfsinniger Erörterung nichts hinzuzufügen ", der diese
Stelle ohne Zweifel mit Recht dem von ihm rekonstruierten Briefe
Wiberts an Anselm von Lucca einreiht. Das heifst, Wibert ist ein-
mal in Cremona gewesen. Obwohl AVidos Stelle keinerlei Anhalt
zu chronologischer Bestimmung bietet, ist es eine ansprechende Ver-
mutung, dafs Wibert eben vor dem März 1074 in Cremona war und
1 Bonizo 656 u. 659; cfr. Jaffe-L. I, 603. Giesebrecht III, 249 f. Hefele,
Konziliengesch.^ V, 45 u. 63 scheint mir unnötigerweise von ßonizos Chrono-
logie abzuweichen, wenn er die im Text erzählten Vorgänge auf die Fasten-
synode von 1075 verschiebt.
- Bardonis vita Anselmi c. 18 SS. XII, 19.
^ Hier dürfte es am Platze sein, zu erwähnen, dafs man die synodale Ur-
kunde, durch welche das Vorrecht des Erzbischofs von Ravenna, zur Rechten
des Papstes zu sitzen, endgültig geregelt wird, früher auch Wibert-Clemens III.
zuteilte, während sie in Wirklichkeit Clemens II. gehört und vom Januar 1047
ist. Es ist Ja£fe-L. 4141 , gedruckt auch bei Cappelletti , Le chiese d'Italia II,
108, der sie wie auch Rubeus in seiner Historia Ravenn. 283 richtig Clemens II.
zuteilt. Mansi und Migne gaben sie sowohl Clemens II. als Wibert , Ughelli
und Cocquelines Clemens II., Muratori Wibert. Infolge dieser Verwirrung reihte
sie Jaffe in der 1. Aufl. seiner Regesten bei Clemens II. unter No. 3147 und
bei Clemens III. unter No. 3995 ein, ein Versehen, das Löwenfeld in der 2. Aufl.
beseitigt hat. Unter den gewifs zahlreichen Gründen, die ihn zu seiner Ände-
rung veranlafst haben, ist schon der eine durchschlagend, dafs Bischof Poppo
von Brixen , nachmals Papst Damasus II. , f 9. August 1048 , noch unter den
Lebenden weilt.
^ Bonizo 659. ^ Panzer, AVido von Ferrara, Leipzig 1880, S. 60 Anm. 1.
« Wido Ferr. 1, 10 SS. XII, 161. ' Panzer a. a. 0. S. 11 ; 23 Anm. 1 ; 59 f.
Wibert als Erzbischof von Kavenna bis zu seiner Wahl zum Papst. 25
sich an Ort und Stelle informieren konnte. Auf die Art seiner
Vorwürfe wird man auch so nicht schliefsen können, und gegen die
angeblich so glänzende Widerlegung durch Dodo mufs man bei
Bonizos Parteilichkeit vorsichtig sein ^.
Das äufserlich freundliche Verhältnis zu Gregor drückte sich
auch darin aus, dafs Wibert nach Schlufs der Synode nicht gleich
nach Ravenna zurückkehrte, sondern bis kurz vor Ostern (20. April)
in Rom blieb ^. Gregor war damals mit weitaussehenden, aber nach-
her fehlgeschlagenen Plänen gegen die Sarazenen und Robert Guiscard
beschäftigt^ und suchte Wibert zur Mitwirkung heranzuziehen. Dieser
versprach, am Zuge gegen die Normannen teilzunehmen, wollte auch
mit Gregor nach Ostern, d. i. nach dem 20. April, etwa im Juni
gegen die Grafen von ßagnorea, südlich von Orvieto in der Gegend
des Bolsener Sees, zu Felde ziehen. Man hört aber nicht, dafs er
gekommen sei, und kann aus der Art, wie Bonizo berichtet, ent-
nehmen, dafs er fernblieb, was ohne weitere Folgen für ihn verlief,
da er nicht der einzige Schuldige war, und Gregor vom Juni bis
September 1074 schwer krank lag.
Indes verweilte Wibert nicht aus Freundschaft für Gregor so
lange in Rom; nach Bonizo machte er sich gar wie Catilina Frevler
aller Art zu Freunden'^, indem er ihnen Geld gab und sie durch
einen Eid an sich fesselte. Dazu hätten ihm die Predigten Gelegen-
heit geboten , welche er in ganz Rom gehalten habe. So habe er
z. B. die Kirchendiener von St. Peter gewonnen, die sich gegen die
fremden Pilger böse Ausschreitungen erlaubt hatten, und denen ihr
schändliches Handwerk von Gregor gelegt worden war ; ferner hab-
süchtige hohe Geistliche, die in ihrem Treiben von Gregor eben-
falls gehindert worden waren. Bonizos Nachrichten tragen aber den
Stempel der Übertreibung und Unwahrhaftigkeit an der Stirn; nur
so viel wird man aus ihnen entnehmen dürfen, dafs Wibert mit all
denen Fühlung zu gewinnen suchte, die mit Gregor unzufrieden waren.
Deren gab es freilich eine grofse Zahl ^. Unter anderen näherte sich
AVibert dem Sohn des Präfekten Stephanus, Cencius, den Bonizo
als einen gefährlichen, gewissenlosen Menschen bezeichnet^; Cencius,
früher Anhänger des Cadalus, hatte sich Gregor VII. in den ersten
Zeiten seines Pontifikats angeschlossen, war aber bald wieder lau
^ Martens, Besetzung des päpstlichen Stuhls 200, hält in übertriebenem
Skeptizismus die ganze Nachricht Bonizos für unglaubwürdig.
2 Bonizo 659, 661. '^ Vgl. G-iesebrecht III, 251 ff. ^ Bonizo 661.
^ Bonizo 660 f. Giesebrecht III, 332.
^ Bonizo 646, 660 f., 662, 664. Annales Romani (1061) SS. V, 472. Paulus
Bernriedensis c. 46, 47 bei Watterich, Vitae pont, I, 498 f.
26 Wibert als Erzbischof von Ravenna bis zu seiner "Walil zum Papst.
geworden. Ende 1074 kam es zum offenen Bruch, im Februar 1075
wurde er gefangen genommen und zum Tode verurteilt, dann aber
begnadigt.
Nach seiner Rückkehr aus Rom beschäftigte sich Wibert mit
den Angelegenheiten seiner Diözese, Kunde haben wir fast nur von
der Verleihung oder Zurückstellung von Grundbesitz. Am 3. Mai
1074 werden ihm Güter refutiert^, während er am 14. Mai dem
Mönch Johannes in Vertretung des Abtes Petrus von St. Benedikt
in Alpe Bifurco die St. Clemenskirche im Territorium von Forli
mit den dazugehörigen Gütern verleiht ^. Ende 1074 und Anfang
1075 scheint er dann seine Diözese bereist zu haben, am 11. De-
zember 1074^ finden wir ihn, Güter in Erbpacht gebend, in Ar-
genta *, am 20. Januar 1075 in Aureolum bei Faenza, um die Juris-
diktion der Ravennatischen Kirche wiederherzustellen. '"*
Im Jahre 1075 schlössen sich die Gegner Gregors enger zu-
sammen, wobei Wibert als Mittelpunkt dieser Bestrebungen erscheint.
Cencius bewog zunächst den Kardinalpriester vom Titel des hei-
ligen Clemens, Hugo Candidus, zum Abfall von Gregor ^ Dieser
Hugo Candidus, ein Lothringer von Geburt und Kardinal seit 1049,
hatte eine bewegte Vergangenheit hinter sich ", war Anhänger des
Cadalus gewesen, darauf in den Schofs der Kirche zurückgekehrt
und von Alexander II. mit Legationen nach Spanien und Gallien
betraut worden. Nachher hatte er besonders zur Wahl Gregors
beigetragen, mufs aber dann Gründe zur Unzufriedenheit gehabt
haben. Ein reinlicher Charakter war er nicht, noch auf der Fasten-
synode 1073 wurde er der Simonie beschuldigt ^ Die Verleitung
zum offenen Abfall durch Cencius wird vermutlich nach jenen Fe-
bruartagen stattgefunden haben, die dem letzteren fast das Leben ge-
kostet hätten. Hugo soll dann vergebens versucht haben, Robert
Guiscard und die Normannen zu einem Zuge gegen Rom aufzuhetzen,
nach seinem Mifserfolg aber zu Wibert gegangen sein ^
^ Fantuzzi, Monumenti Ravennati IV, 224. Savioli, Annali Bolognesi I, 2, 122.
^ Mittarelli, Annales Camaldulenses II, 365 u. App. 250. Cfr. Mittarelli,
Script, rerum Faventinarum 405 u. Rubeus, Hist. Rav. 298,
^ "Wo ich hinter den Citaten Reg. = Regest notiere, giebt Fantuzzi nichts
anderes als dies; in diesen Fällen kann ich nicht dafür einstehen, dafs die Da-
tierung richtig berechnet sei.
4 Fantuzzi a. a. 0. II, 419 No. 12 Reg. ^ Rubeus a. a. 0. 299.
6 Bonizo 662. ' cfr. ßonizo 634, 644, 651, 654—656. Giesebrecht III passim.
8 Bonizo 655. Jaffe-L. I, 592.
^ Ich gebe hier Bonizo 662 vor dem späteren Paulus Bernried, c, 48
(Watterich, Vitae pont. I, 499) den Vorzug, der Hugo Candidus nicht erwähnt,
sondern auf Cencius und dessen Sohn auch das überträgt, was nach Bonizo des
Wibert als Erzbischof von Ravenna bis zu seiner Wahl zum Papst. 27
Der Kreis der Gregorfeinde schlofs sich, als Wibert Ende 1075
von Ravenna aus mit dem von Heinrich neu ernannten Erzbischof
Thedald von Mailand, dem Haupte der lombardischen Bischöfe, in
Verbindung trat^ In Mailand hatte die gregorianische Partei im
Mai eine schlimme Niederlage erlitten^, in deren Verfolg die dor-
tigen verwirrten Verhältnisse neu geordnet wurden. Zwei vorhandene
Erzbischöfe blieben unberücksichtigt, und Heinrich ernannte Ende
1075 einen neuen, dritten in der Person Thedalds, dem Investitur-
verbote zum Trotz. Der Erzbischof mufste so zu Gregor in Gegen-
satz treten 'l Gleich nach seiner Einsetzung wandte sich Wibert
an ihn, zuerst brieflich ; dann schickte er ihm den Hugo Candidus.
der von da nach Deutschland ging und, mit Wiberts Anschauungen
vertraut, auf dem Wormser Konzil (24. Januar 1076) eine Haupt-
rolle spielte*.
Gregor VII. hatte der Anfang des Jahres 1075 mit Schwierig-
keiten aller Art umgeben gefunden : die Normannen bedrohten ihn,
die lombardischen Bischöfe mufste er unter seine Gegner zählen,
im deutschen wie im französischen Klerus gab es eine starke Partei,
welche den Mafsregeln gegen Simonie und Nikolaitismus sehr abhold
war. Diese Lage der Dinge erkennt Gregor im Eingange seines
Schreibens an AVibert vom 4. Januar 1075 offen an'^ und teilt ihm
zugleich mit, es solle zur Bekämpfung der Widersacher , wie schon
seit einigen Jahren üblich, in der Fastenzeit und zwar in der ersten
Woche Ende Februar eine Synode gehalte-n werden, auf welcher
Hugo Candidus "Werk war. Cencius sei nach Unteritalien, sein Sohn zu Wibert
gegangen, um eine gelegene Zeit zur Gefangennehmung und Tötung Grregors
zu verabreden. Dies sei nach den Februartagen 1075 geschehen, in denen es
Cencius so übel erging. Fast ein Jahr sei der Plan der Tötung gehegt worden
(c. 49 , S. 500) , ehe er in dem beinahe geglückten Anschlag des Cencius vom
24. Dezember 1075 (vgl. über diesen Giesebrecht III, 350 u. 1133; Quellen bei
Jaffe-L. I, 616) zum Ausbruch gekommen sei. — Das ist wohl falscher Pragma-
tismus Pauls; die That des Cencius halte ich für eine aus persönlichem Hafs
hervorgegangene, für die er ganz allein verantwortlich zu machen ist. Wäre
ein heimlicher Anteil Wiberts irgend glaublich erschienen, so hätte uns Bonizo
davon Kunde gegeben, er spricht aber S. 665 nur vom Cencius; und dafs er
vorher (S. 660) 1074 vom Einverständnis Wiberts mit Cencius berichtet, wird
man nicht, wie Martens, Besetzung des päpstl. Stuhls 203, möchte, als eine An-
deutung der Teilnahme Wiberts am Dezember-Attentat auffassen dürfen.
^ Bonizo 664. " Giesebrecht III, 330, 344, 1133.
3 cfr. Reg. 3, 8; 9 bei Jaffe, Bibl. II, 214—218; Jaffe-L. 4968, 4969.
* Bonizo 664, 665. Giesebrecht III, 352 ff. Martens, Besetzung des päpstl.
Stuhls 201. Über den etwaigen Einflufs Wiberts auf die Wormser Ereignisse
läfst sich nichts mehr herausbringen.
^ Reg. 2, 42 bei Jaffe, Bibl. II, 155 f. ; Jafife-L. 4919. Vgl. Martens a. a. 0. 200 f.
28 Wibert als Erzbischof von Ravenna bis zu seiner Wahl zum Papst.
ZU erscheinen Wibert in durchaus freundlichem Tone gebeten und
eingeladen wird.
Die Synode war in der That vom 24.-28. Februar 1075 ver-
sammelt ^^ und viele Strafen wurden auf ihr verhängt ; von Wibert
aber schweigt das Registrum.
Indes weifs Bonizo- zu melden, dafs AYibert entgegen seinem
Eide nicht erschienen und deshalb vom Amte suspendiert, über
Hugo Candidus aber die Exkommunikation verhängt worden sei.
Gegen diese Nachricht dürfte das Schweigen des Registers nicht
beweisend sein, denn in der betreffenden Nummer ist einleitend be-
merkt : inter cetera decreta quae ibi gesta sunt, und auch Berichte
über spätere Synoden (November 1078, Februar 1079) werden sich
als unvollständig erweisen. Aber die noch vorhandenen Spuren
lassen erkennen, dafs die Bestrebungen Hugos, welche die Exkom-
munikation veranlafsten, nach dem Februar 1075 fallen^. Wibert
wird allerdings der Synode ferngeblieben sein , Gregor aber dies
Vergehen zunächst nicht bestraft haben. Als nun bald darauf die
Verbindung zwischen Cencius, Hugo Candidus und AVibert deutlicher
wurde, da wird er vorgegangen sein, den einen gebannt, den anderen
suspendiert haben, bei letzterem auf das unzweifelhafte Delikt zurück-
gehend , dafs er auf der Synode nicht erschienen sei. Die Strafe
mag, wie Giesebrecht annimmt, im Sommer 1075 ausgesprochen sein.
Sie blieb ohne Wirkung, denn wir sehen Wibert nach wie vor sein
Amt verwalten, hören auch nicht, dafs ihm Schwierigkeiten dabei
erwachsen wären. Aus der nächsten Zeit wissen wir von Urkunden
vom 20. (Rubens) oder 22. (Fantuzzi) November 1075"* und vom
8. März 1076 '^ durch welche er Güter in Russi und Ravenna ver-
schenkt oder in Erbpacht giebt.
Wir sahen, wie Ende 1075 in Norditalien ein antigregoriani-
scher Ring geschlossen war, kurz bevor die Katastrophe, der offene
Bruch zwischen Heinrich IV. und Gregor VII. , eintrat. Das ge-
schah schon Anfang 1076. Durch ein Schreiben Gregors^, der ge-
rade anläfslich der Einsetzung Thedalds schärfer vorging, und durch
die mündlichen Erklärungen der dasselbe überbringenden päpstlichen
Gesandtschaft aufs schwerste gereizt, liefs Heinrich am 24. Januar
1076 durch ein Konzil der deutschen Bischöfe zu Worms Gregor
absetzen. Dieser antwortete alsbald auf der Fastensynode von 1076
1 Reg. 2, 52 a bei Jaffe, Bibl. II, 170; Jafife-L. I, 612. Giesebrecht III, 266.
- Bonizo 663. « yg-i Giesebrecht KZ. III, 332, 334, 1131.
■* Rubeus, Hist. Ravenn. 299 Reg. Fantuzzi, Monum. Ravenn. 1, 394 Xo. 67 Reg.
^ Fantuzzi a. a. 0. I, 394 No. 68 Reg.
® Jafife-L. 4972; vgl. über diese Vorgänge Giesebrecht III, 345 — 368.
Wibert als Erzbischof von Ravenna bis zu seiner Wahl zum Papst. 29
(14. — 22. Februar)^ damit, dafs er Heinrich exkommunizierte, ihm
die Ausübung der königlichen Gewalt untersagte (d. h. ihn vom Amt
suspendierte) und alle Unterthanen des ihm geleisteten Eides ent-
band. Die Folgen sind bekannt ^ Nachdem sich in Deutschland
anfänglich die Dinge für Heinrich günstig gestaltet hatten, trat ein
Umschwung ein, der zu den Tagen von Tribur-Oppenheim (Oktober
1076) und Canossa (Januar 1077) führte.
An dieser Niederlage des Kaisertums konnte nichts ändern, dafs^
wie vorauszusehen, Norditalien sich Heinrich in demselben Mafse
freundlich erwiesen hatte , wie Deutschland feindlich gesinnt war.
Nach dem Wormser Konzil, aber vor der römischen Synode hatten
die lombardischen Bischöfe zu Piacenza '^ den Wormser Beschlüssen
beigestimmt, wofür sie auf der Fastensynode wegen Konspiration
exkommuniziert wurden. Von einer Wirksamkeit Wiberts ist zwar
nicht ausdrücklich die Rede, doch ist sie wahrscheinlich, und Wibert
als in die Exkommunikation eingeschlossen zu betrachten aus fol-
genden Erwägungen.
Bonizo * erzählt S. 673 den zu Pavia 1077 erfolgten Tod des
Cencius und fügt hinzu: cuius funus Guibertus cum aliis excommu-
nicatis mirabili pompa celebravit. Diese Stelle genügt Martens ^
schon, sich für die Exkommunikation Wiberts im Februar 1076 zu
erklären, sie wird aber durch andere gestützt. Am 28. Januar 1078
erliefs Gregor eine Aufforderung ^ an Wibert, seine Suffragane und
andere, sich auf der nächsten Fastensynode zur Verantwortung zu
stellen : den Angeredeten wird der apostolische Grufs verweigert,
was darauf hinweist, dafs sie sich im Banne befanden. Entscheidend
aber ist der Wortlaut der auf der Fastensynode 1078 gegen Wi-
bert gefällten Sentenz ' : Tedaldum dictum archiepiscopum Mediola-
nensem et Bavennatem Guibertum .... ab episcopali omnino sus-
pendimus et sacerdotali officio ; et olim iam factum anathema super
ipsos innovamus. Es ist ganz klar, dafs hier von der Erneuerung
eines schon früher geschleuderten Bannfluches die Bede ist. Meiner
^ Ich schliefse mich in der Datierung- derselben den Regesten von Jaffe-L.
I, 616 gegen Giesebrecht III, 359, 1134 an.
2 Vgl. Giesebrecht III, 369—404.
^ Vgl. Giesebrecht III, 357, 360, 1134. Aufser den dort angeführten Zeug-
nissen für Piacenza noch Arnulf, Gesta archiepp. Mediolan. 5, 7 SS. VIII, 30.
* Bonizo 673. Martens, Besetzung des päpstl. Stuhls 203, giebt irrig an, das
Begräbnis habe in Bavenna stattgefunden; Cencius blieb nach seinem mifs-
glückten Attentat vom 24. Dezember 1075 zunächst in der Umgegend von Rom
und kam erst 1077 nicht zu Wibert, sondern zu Heinrich.
ö a. a. O. 201. « Reg. 5, 13 bei Jaffe, Bibl. II, 303; Jaffe-L. 5063.
^ Reg. 5, 14 a bei Jaffe, Bibl. II, 305.
30 Wibert als Erzbischof von ßavenna bis zu seiner AValil zum Papst.
Annahme scheint indes ein Brief des Erzbischofs Gebhard von Salz-
burg an Bischof Hermann von Metz ^ aus dem Jahre 1084 entgegen
zu sein, in welchem es von Wibert heifst: Wibertus quondam Ra-
vennas archiepiscopus .... in Bomana synodo inrecuperabiliter de-
positus et anathematizatus est . . . . ; nee hoc semel in una synodo,
sed in omnibus synodis, quotquot iam septennio Bomae celebratae
sunt. Nach dieser Stelle wäre die erste Exkommunikation Wiberts
erst im Jahre 1078 erfolgt, und das ist insofern ganz richtig, als
damals zum ersten Male nominatim der Bann über Wibert verhängt
wurde. Auf diesen besonders markanten Vorgang beruft sich natur-
gemäfs Gebhard, während er den Umstand, dafs sich die Censuren
vom Februar 1076 gegen die lombardischen Bischöfe auch auf Wi-
bert bezogen, übersehen hat, er widerspricht meinem Ergebnis also
nicht. An Gregors eigenem Zeugnis zumal wird man nicht rütteln
können -.
Die lombardischen Bischöfe und Abte beantworteten ihre Ex-
kommunikation mit einem neuen, Heinrich freundlichen Schritt. Sie
traten auf Betreiben Wiberts, der hier zuerst genannt wird ^, nach
Ostern, d. h. nach dem 27. März 1076 in Pavia zusammen und
bannten ihrerseits den Papst *.
Auch die Bannung Wiberts blieb zunächst ohne Folgen, sein
Sprengel stand zu ihm. Doch suchte er sich in der nächsten Zeit,
die er in Bavenna zubrachte , des Beistandes der Grofsen durch
neue Verleihungen und Bestätigungen von Gütern auf alle Fälle
zu versichern. So bestätigte er am 11. August ^ im Kloster St. Apol-
1 bei Hugo Flav. SS. VIII, 459 und im codex Udalrici 69 bei Jaffe, Bibl.
V, 141.
" In derselben "Weise erledigt sich Bernold 1080 SS. V, 436, wo Wibert an-
läfslich der Wahl von Brixen als seit drei Jahren unwiderruflich abgesetzt und
exkommuniziert bezeichnet wird ; Bruno de hello Saxonico c. 126 SS. V, 381 f. u. a.
3 Bonizo 670.
* Bonizo 670. Arnulf, Gesta archiepp. Mediolan. 5, 7 SS. VIII, 30, ohne
Wibert zu nennen. Gieseb recht III, 365 u. 1135.
"'' So Amadesi, Antistites Ravenn. II, 330. Fantuzzi, Monum. Rav. IV, 208.
Rubens, Hist. Rav. 299 (aus ihm Mittarelli, Ann. Camald. III, 329) giebt fälschlich
den 2. August an. Diese Urkunde hat früher Schwierigkeiten gemacht, Ama-
desi a. a. 0. II, 175 — 180 hat eine lange Auseinandersetzung über sie. Sie ist
in einer beglaubigten Abschrift vom August 1174 erhalten und dort vom 11. Au-
gust 1043 datiert, während als Aussteller Erzbischof Wibert genannt wird. So
geben auch die Drucke bei Amadesi und nach diesem bei Fantuzzi. Am 11. Au-
gust 1043 regierte aber Erzbischof Gebhard (1027 — 15. Februar 1044) (Gams,
Series episc. 717). Ferner hat das Jahr 1043 nicht die Indiktion 14, die in der
Urkunde angegeben ist, sondern 11. Offenbar ist bei der Abschrift ein Ver-
sehen vorgefallen ; man hat die Wahl anzunehmen, entweder dafs zweimal statt
Wibert als Erzbischof von Kayenna bis zu seiner Wahl zum Papst. 31
linaris in Classe eben südlich von Ravenna dem Grafen Gerhard
und dessen legitimen Söhnen die Stadt Bertinoro und anderes, wobei
dessen Verpflichtungen gegen ihn, namentlich auch die militärischer
Natur, aufs genaueste geregelt werden. Noch Ende 1076 finden wir
ihn in seiner Metropole, am 24. November erhält er vom Abt Man-
fred von St. Hilarius in Galliata zwei Burgen im Gebiet von For-
limpopoli zu zeitweisem Besitzet
Da erschien zu Anfang des Jahres 1077 König Heinrich unter
seinen getreuen Norditalienern, aber nur, um sich in Canossa vom
Banne lossprechen zu lassen. Dadurch fühlten sich seine Anhänger
l^reisgegeben , und wenig fehlte, so hätten sie sich von ihm abge-
wendet. Bald aber wurden sie durch einige Zwischenfälle belehrt
auf wie schwachen Füfsen das Einvernehmen zwischen Papst und
König stand, und wie sie sahen, dafs sich die eben Versöhnten täg-
sich mehr voneinander entfernten, näherten sie sich dem Könige
wieder.
Auch Wibert ist damals zu ihm geeilt, er befindet sich nach-
weislich in Heinrichs Umgebung in Pavia Ende März oder Anfang
April 1077. Neben zahlreichen anderen geistlichen und weltlichen
Herren erscheint er nämlich als Intervenient in einer königlichen
Urkunde für den Patriarchen Sigehard von Aquileja^, die demselben
die Grafschaft Friaul verleiht und zu Pavia 1077 ausgestellt ist.
Die nähere zeitliche Bestimmung ergiebt Stumpf 2799, aus Pavia
vom 3. April 1077 datiert. Ferner berichtet Bonizo^, wie schon
berührt, dafs Wibert und die anderen Exkommunizierten dem Cencius,
jenem Attentäter von AVeihnachten 1075, der 1077 in Pavia gestorben
sei, ein prächtiges Leichenbegängnis ausgerichtet hätten. Cencius
Gebhard Wibert und statt ind. 11 ind. 14, oder dafs statt 1076 oder 1091 : 1043
verschrieben worden ist ; letzteres dürfte mehr für sich haben. In Wiberts erz-
bischöfliche Zeit fallen nämlich 2 Jahre, auf welche die Indiktion 14 passen
würde: 1076 u. 1091. Ich entscheide mich für 1076, einmal, weil jeglicher Bezug
auf die päpstliche Würde Wiberts fehlt (etwa tempore domini Clementis papae
oder dergleichen) , dann , weil Rubeus auffailenderweise den Vorgang richtig
zum Jahre 1076 erzählt. Sollte 1590, wo das Buch desselben gedruckt wurde,
das Original der Urkunde noch vorhanden gewesen sein, 1783, als Amadesi
herauskam, nicht mehr?
1 Fantuzzi, Mon. Rav. II, 349 No. 11 Reg. u. 371 No. 59 Reg., hier irrig
zu 1070. Rubeus, Hist. Rav. 300, irrig zu 1077, die Indiktion führt auf den
November 1076. — Eine Urkunde bei Fantuzzi a. a. 0. I, 394 No. 69 Reg. lasse
ich beiseite, sie ist angeblich vom 5. Februar 1077, während das 22. Jahr Hein-
richs auf 1078 schliefsen läfst; Ausstellort fehlt.
^ Stumpf 2800; denn archiepiscopus Umbertus Ravennas ist natürlich Wibert
(Uuibertus).
3 Bonizo 673; cfr. Berthold 1077 SS. V, 290 f.
32 AVibert als Erzbiscliof von Ravenna bis zu seiner AValil zum Papst.
aber war nach Pavia gekommen, um mit Heinrich in Verbindung
zu treten, was ihm nicht gelang. Durch seinen Verkehr mit den Ge-
bannten konnte Heinrich natürlich Gregors Mifstrauen nur steigern,
aber er verfiel nicht in neue Exkommunikation, da Gregor ihm nur
den kirchlichen Verkehr mit den lombardischen Bischöfen untersagt,
Annahme von Hofdiensten seitens derselben aber gestattet hattet
Noch ist ein Wort von der angeblichen zweiten Zusammenkunft
Heinrichs mit Gregor und Mathilde zu Bianello (Anfang Februar
1077) zu sagen-. Nach Donizo soll dort Heinrich auf Wiberts Rat
den Vorschlag gemacht haben, einen Tag zu Mantua anzusetzen, zu
welchem Zwecke, erfahren wir nicht. Die Absicht dabei soll ge-
wesen sein* den Papst zu fangen ; das erfuhr aber Mathilde noch im
letzten Augenblick, und der Tag kam nicht zustande. Ich halte
diese Erzählung für gang unglaubwürdig, sie soll nur Mathildes
Klugheit in das gebührende Licht setzen; es scheint mir auch ein
fruchtloses Bemühen, einen Kern aus der Sache herauszuschälen und
zu verwerten, wie es Giesebrecht thut. Höchstens wird man Donizo
zugeben können, dafs Wibert unter den zu Reggio versammelten
hohen Geistlichen war, um dort Heinrichs Rückkehr aus Canossa
zu erwarten'^.
Vom Banne war Heinrich in Canossa losgesprochen worden,
seine Suspension und die Lösung seiner Unterthanen vom Eide war
gar nicht zur Sprache gekommen^. Hier setzte die fernere Aktion
Gregors ein : er beanspruchte die Entscheidung über das Deutsche
Reich ; um diese und ihre Verhinderung drehten sich die Dinge von
1077 bis 1080. Die am 15. März 1077 in Anwesenheit päpstlicher
Legaten vollzogene Wahl Rudolfs von Rheinfelden zum König ver-
ursachte dreijährige innere Kämpfe in Deutschland. Bald zerfiel
Heinrich auch wieder mit der Kirche, schon am 12. November 1077
schleuderte der pästliche Legat, Kardinal Bernhard, in Goslar aufs
neue den Bann gegen ihn. Gregor benahm sich zweideutig, lange ver-
weigerte er die Anerkennung dieser Mafsregel, schwankte zwischen
Heinrich und Rudolf, verhandelte mit beiden, sah sich aber im Laufe
des Jahres 1079 veranlafst, engeren Anschlufs an Rudolf zu suchen,
und trat endlich 1080 aus seiner zuwartenden Stellung herauB, da
er Gefahr lief, es mit beiden Parteien zu verderben, gewifs auch des
ewigen Hinhaltens, der Täuschungen und Mifserfolge müde, während
das ersehnte Ziel, die päpstliche Entscheidung über das Deutsche
' Giesebrecht III, 402 u. 1140.
2 Bericht bei Donizo 2, 125 ff. SS. XII, 382; vgl. Giesebrecht III, 423 u. 1144.
^ Vgl. Stenzel, Geschichte Deutschlands unter den fränkischen Kaisern I, 414.
^ Vgl. Giesebrecht III, 431—498.
Wibert als Erzbischof von B-ayenna bis zu seiner Wahl zum Papst. 33
Reichj nicht näher rückte. Die Fastensynode von 1080 brachte am
7. März den entscheidenden Schritt: Gregor stellte sich offen auf
Rudolfs Seite; Heinrich wurde von neuem exkommuniziert und förm-
lich abgesetzt, wieder wurden die ünterthanen ihres Eides entbunden.
Sehen wir uns nun nach Wiberts Thaten während dieser Zeit
um, so bemerken wir, dafs wir in den ganzen drei Jahren nichts
anderes von ihm erfahren, als dafs er fortwährend exkommuniziert
wurde. Von neuen Vergehungen gegen Rom hören wir nichts, die
gegen ihn verhängten Strafen bestanden fort; Gregor aber sah sich
veranlafst, gegen die Anhänger Heinrichs in Italien eher schärfer
vorzugehen, als gegen die deutschen und gegen Heinrich selber.
Am 28. Januar 1078 erliefs er an Wibert, dessen Suffragane
und eine ganze Reihe anderer Bischöfe und Abte Norditaliens eine
Aufforderung \ auf der nächsten Fastensynode zu erscheinen, die in
der ersten Fastenwoche stattfinden solle. Den i^ngeredeten wird
der apostolische Segen vorenthalten wegen der temeritas, durch die
sie die römische Kirche beleidigt hätten. Dennoch erwarte diese
immer die Rückkehr in ihren Schofs. Daher ergehe jetzt diese Ein-
ladung zur Synode an sie, bei Versprechen der Sicherheit Leibes
und Gutes und mit der Zusicherung, er, Gregor, werde möglichst
Milde walten lassen und nie ungerecht gegen die Angeredeten sein,
denn ihr und ihrer Ünterthanen Heil liege ihm mehr am Herzen,
als sein eigener Vorteil.
Diese verhältnismäfsig milde gehaltene Aufforderung begegnete,
wie vorauszusehen war, tauben Ohren, daher denn der Papst auf der
Synode zu Zensuren gegen die Übelthäter schritt. An der Spitze
der langen Reihe der am 3. März 1078 mit Strafen Belegten '^ stehen
Erzbischof Thedald von Mailand und Erzbischof Wibert von Ravenna,
die hervorragendsten Vertreter der kaiserlichen Partei. Wegen un-
erhörter Ketzerei und tlberhebung gegen die katholische Kirche
werden sie aller bischöflichen und priesterlichen Funktionen ent-
hoben und verfallen von neuem dem schon einmal über sie ausge-
sprochenen Kirchenbann 'l Dies war die erste namentliche Ex-
kommunikation AViberts, rasch folgten ihr andere, und es bestätigt
sich für diese Jahre die Aussage Gebhards von Salzburg aus dem
1 ßeg. 5, 13 bei Jaffe , Bibl. II, 803; Jaffe-L. 5063. Giesebrecht III, 458
u. 1149.
2 Ja£fe-L. I, 625. Acta bei Jaffe, Bibl. II, 305 (Reg. 5, 14 a). Cfr. Berthold
1078 SS. V, 308. Giesebrecht III, 459 u. 1149.
^ Petrus Pisanus, Vita Greg. VII., bei Watterich I, 298, wiederholt wörtlich
die Registerangabe und giebt aus eigenem "Wissen nach anathema super ipsum.
renovavit als Grund an: eo quod vocatus ad synodum venire contempsit.
Kühncke, W^ibert v. E. 3
34 Wibert als Erzbischof von Ravenna bis zu seiner Wahl zum Papst.
Jahre 1084, Wibert sei seit 1078 auf allen römisclien Synoden mit
dem Banne belegt worden.
Freilich findet sich in den Akten der nächsten Synode, der vom
November 1078, davon nichts \ doch scheint seine Angelegenheit
vorgekommen zu sein. Es ist nämlich ein Brief Gregors vom 25. No-
vember 1078 erhalten ^, in welchem er allen Einwohnern von Ravenna
anzeigt, dafs Wibert, dem nunmehr der Buin Bavennas und unheiliger
Lebenswandel vorgeworfen werden, auf einer römischen Synode un-
widerruflich abgesetzt worden sei, weil er sich wider den heiligen
Petrus erhoben habe und in seinem Ungehorsam beharre. Den
Bavennaten wird geboten, ihm keinen Gehorsam mehr zu leisten,
was allerdings nicht gefruchtet zu haben scheint. Der Suspension
vom März wird im November die förmliche Absetzung gefolgt sein,
wobei wohl der Bannfluch wiederholt wurde; denn es wäre doch
wunderlich, wenn man diese Anzeige vom November auf die März-
synode beziehen wollte ^. Auch der Synodalbericht vom Februar
1079 * tliut Wiberts keine Erwähnung. Für ihn tritt das Zeugnis
des sehr glaubwürdigen Berthold ^ ein , gestützt durch Gebhards
wiederholt berührte Aussage und in etwas durch den Wortlaut der
Sentenz vom 7. März 1080: sententia depositionis et excommuni-
cationis iam plerumque data. . . . Um so besser sind wir durch die
Acta von der Fastensynode 1080 unterrichtet, derselben, auf der
Heinrich IV. zum zweiten Male gebannt wurde. Am Schlufstage,
dem 7. März, wurde unter vielen anderen auch das schon oft gegen
Thedald von Mailand und Wibert von Ravenna ergangene Urteil
der Absetzung und Exkommunikation bestätigt ^. Dies war die letzte
Exkommunikation Wiberts, bevor er Gegenpapst Gregors wurde.
Indes erwiesen sich diese wiederholten Verdammungen als wir-
kungslos. Er waltete seines Amtes nach wie vor, was wir aus den
freilich geringen Spuren, die auf uns gekommen sind, ersehen können :
^ Reg. 6, 5b bei Jaffe, Bibl. II, 330.
2 Reg. 6, 10 bei Jaife, Bibl. II, 339; Ja£fe-L. 5091.
^ Auch Petrus Pisanus, Vita Greg. VII., bei Watterich I, 299, dem dieser
Brief offenbar vorlag, bezieht ihn auf die Novembersynode 1078 und erschliefst
aus ihm eine neue Exkommunikation.
Dafs die Suspension Wiberts auf der Fastensynode nicht gleich der Ab-
setzung war, scheint mir aus dem Wortlaut der Akten hervorzugehen. Es heifst :
Ravennatem Guibertum . . . . ab episcopali omnino suspendimus et sacer-
dotali officio; und unmittelbar darauf: Arnulf um Cremonensem ... . ab omni
episcopali officio absque spe recui^erationis deponimus.
* Reg. 6, 17 a bei Jaffe, Bibl. II, 355. ^ Berthold 1079 SS. V, 317.
6 Jaflfe-L. I, 634. Acta bei Jaffe, Bibl. II, 399 (Reg. 7, 14a) (ebenso bei
Petrus Pis., Vita Greg. VII., bei AVatterich I, 302). Giesebrecht 111, 492.
Der Tag von Brixen. 35
sie bestehen in nur drei Urkunden, durch welche Güter und Rechte
an Private verliehen werden, bezw. vom 17. Januar 1079 ohne Aus-
stellort K vom 2. März 1079 aus Cesena ^ und vom 20. Mai 1079 aus
Ravenna ^.
Im ganzen sind wir imstande, uns von dieser Periode Wiberts
ein deutlicheres Bild zu machen, als von seiner Kanzlerzeit. Wir
sehen, dafs es ihm durch Stellung, Fähigkeiten und rasches, ent-
schlossenes Handeln gelang, eine führende Rolle in der kaiserlichen
Partei Italiens zu spielen, was uns die Gegner durch die Schärfe
und Häufung ihrer Strafen nur bestätigen.
Viertes Kapitel.
Der Tag von Brixen.
Der Bannfluch, den Gregor am 7. März 1080 gegen Heinrich
geschleudert hatte, that seine Wirkung nicht.
Für Italien war dies vorauszusehen gewesen; hier unterliefsen
überdem die Anhänger Heinrichs nichts, um Stimmung für ihn zu
machen. Aus Wiberts Kreise ging zu diesem Zwecke und um diese
Zeit jene merkwürdige Flugschrift des Petrus Crassus hervor'^, der
mit einem grofsen Aufwand theologischer und juristischer Kennt-
nisse nachzuweisen sucht, dafs Gregor unrechtmäfsig gehandelt habe,
und dafs es jetzt Heinrich zustehe, ein Konzil zu berufen, um über
jenen Gericht zu halten.
Aber auch in Deutschland blieb Heinrichs Partei unerschüttert ;
1 Fantuzzi, Mon. Rav. I, 394 No. 70 Reg.
" Fantuzzi a. a. 0. I, 395 No. 71 Reg.
3 Fantuzzi a. a. 0. II, 422 No. 4 Reg. u. Y, 162 No. 23 Reg. Die Orts-
angabe lautet: in domo Tricollis prope ecclesiam archiepiscopatus , das wird
in Ravenna sein. Übrigens bestätigt Wibert in dieser Urkunde seinen Bann
über einen Bezirk in Cervia.
Durch einen späten Lokal-Berichterstatter, den Kanonikus Tolosanus zu
Faenza (f 1226), haben wir Kunde von Kämpfen zwischen Ravenna und Faenza,
es werden namentlich zwei Kriegszüge von 1075 und 1080 erzählt. Für Wibert
ergeben aber diese Nachrichten nichts. Cfr. Tolosani chron. c. 18 u. 43 bei
Mittarelli, Script, rerum Favent. S. 27 u. 45. Rubens, Hist. Rav., 299 u. 306 f.
^ Gedruckt bei Sudendorf, Registrum I, 22 — 50, besser bei Ficker, Ital.
Forschungen IV, 106—124; vgl. III, 112. Vgl. namentlich AVattenbach, Gre-
schichtsquellen II, 203 und Griesebrecht III, 499 u. 1153 f. Entgegen Meltzer,
Gregor VII. und die Bischofswahlen- S. 236 und Panzer, "Wido von Ferrara
S. 44 halte ich daran fest, dafs die Schrift kurz vor dem Konzil von Brixen
entstanden sei; an einem anderen Orte werde ich vielleicht nächstens Gelegen-
heit haben, diese Ansicht ausführlicher zu begründen.
3*
36 Der Tag von Brixen.
der König konnte kräftig vorgehen. Am 31. Mai 1080 beschlofs
eine Versammlung von 19 deutschen Erzbischöfen und Bischöfen
in Mainz im Einverständnis mit Heinrich und den Fürsten^ Gregor
für abgesetzt zu erklären und an seiner Stelle einen neuen Papst
zu wählen ^. Um dem weitere Folge zu geben , wollte man am
25. Juni 1080 in Brixen zusammenkommen, wohin ein königlicher
Befehl die geistlichen und weltlichen Grofsen berief.
Da uns das von dieser Versammlung beschlossene Absetzungs-
dekret Gregors vorliegt, so können wir über entgegenstehende An-
gaben betr. Zeit, Ort und dergleichen hinweggehen -. Zur vorher
bestimmten Zeit (25. Juni) trat man in Brixen in der bischöflichen
Kirche zusammen ^.
Das Dekret ^ trägt 29 Unterschriften, an letzter Stelle die König
Heinrichs, an erster die des einzigen anwesenden römischen Kar-
dinals '^, unseres Hugo Candidus, der sich aber anmafslich genug im
Namen aller unterschreibt. Drei Erzbischöfen begegnen wir , aus
Italien Thedald von Mailand und dem Patriarchen Heinrich von
Aquileja, aus Deutschland Liemar von Bremen. Unter 24 Bischöfen
sind 17 norditalienische, darunter Dionysius von Piacenza, Milo von
Padua, Eberhard von Parma, Boland von Treviso, ein burgundischer,
Burchard von Lausanne, und 6 deutsche : Konrad von Utrecht,
Diedo von Brandenburg, Rupert von Bamberg, Meginward von Frei-
sing, Norbert von Chur, Altwin von Brixen. Aufser diesen hohen
Geistlichen waren noch Erzbischof Wibert von Ravenna^ der als
designierter Papst nicht unterschrieben hat, und Bischof Benno von
Osnabrück anwesend. Mit diesem hat es eine besondere Bewandt-
nis ' : er versteckte sich nämlich während der entscheidenden Ver-
handlungen in einer Altarnische, deren Vorhang er zuzog, und kam
so um die Unterschrift herum ; er wählte diese goldene Mittelstrafse,
^ Vgi. Giesebreclit III, 501, die Quellen 1153. — Für die ganze Zeit von
1080-1100 sind die ßegesten von Jaffe-L. I, 649—655 und IL 713 u. 751 f. zu
vergleichen.
" z. ß. über eine Stelle in Norberti vita Bennonis c. 22 SS. XII, 72, an der
die Versammlung nacli Pavia verlegt wird, während Marianus Scottus 1079 SS.
V, 561 Wiberts Wahl auf den 24. Juni ansetzt.
3 Norbert! vita Bennonis c. 22 SS. XII, 72 f.
* Die Druckangaben s. bei Stumpf 2821 (Reichskanzler II , 235 u. 535) ;
Schlufs auch bei Ekkehard 1080 SS. VI, 203 f. Ich benutze: cod. Udalr. 64
bei Jaffe, Bibl. V, 133.
Über die Vorgänge auf der Versammlung vgl. Giesebrecht III, 502—504
u. 1153 f.
•^ bestätigt durch Bonizo 676 u. 681; vita Anselmi c. 19 SS. XII, 19.
« Cfr. Benzo 1. 6 praef. SS. XI, 656. Urkunde Stumpf 2822 vom 26. Juni 1080.
"' Norberti vita Bennonis c. 22 SS. XII, 72 f.
Der Tsicr von Brixen. 37
um es mit keiner Partei zu verderben, denn er war ein vorsichtiger
Mann. Sonach wären 1 Kardinal, 4 Erzbischöfe, 25 Bischöfe oder
im ganzen 30 hohe Geistliche anv^resend gewesen, und weiter will
wohl auch das Dekret nichts sagen, wenn es von einem triginta
episcoporum conventus spricht^, die dann im Gegensatz stehen zu
dem optimatum exercitus. Daher ist es nicht nötig anzunehmen ^,
dafs noch zwei Bischöfe etwa aus ähnlichen Bedenken, wie Benno
sie hegte , ihre Unterschrift verweigert hätten ■^. Die geringe Be-
teiligung der deutschen Bischöfe könnte auffallen, zwei von ihnen,
Liemar von Bremen und Rupert von Bamberg, waren gar bisher
als königliche Gesandte in Italien gewesen und kamen von dorther,
nachdem sie die lombardischen Grofsen zur Versammlung einge-
laden hatten *. Indes hatten die deutschen Bischöfe ja schon am
31. Mai Gregor abgesetzt, und auf ihr Votum wird im Dekret ge-
rade in dem Abschnitte , der Gregors Absetzung von neuem aus-
spricht, ausdrücklich Bezug genommen (Jaffe S. 135): legatis ac
litteris freti decem et novem episcoporum, die sancto preteriti pen-
tecostes Mogontiae congregatorum.
Auch weltliche Fürsten waren nach der Aussage des Dekrets
in grofser Zahl zugegen ; in der Frage der Anwesenheit römischer
Gesandten aber stehen sich die Aussagen beider Parteien schnur-
stracks gegenüber.
Die Vertreter der päpstlichen Partei behaupten, es sei kein
römischer Geistlicher oder Laie in Brixen gewesen — Hugo Can-
didus wird als Gebannter von ihnen natürlich nicht anerkannt, so
Bonizo ^ : nullo ibi Romano astante clerico vel laico und noch ein-
mal : nullo Romanorum clericorum vel laicorum ibi presente vel
consentiente. Ahnlich meint der Biograph Anselms von Lucca^:
Roma non quaeritur nee Romanus aut clerus aut populus. Und
unter den Vorwürfen, welche Viktor III. als Vorsitzender der Sy-
1 Die Zahl 30 haben auch die Annal. Wirziburg. 1080 SS. II, 245 (Ann.
Hildesheim. 1080 SS. III, 105) mit Anklängen an das Dekret und Ekkehard 1080
SS. VI, 203, der aus dem Dekret , das er gleich darauf citiert , geschöpft hat ;
vgl. Buchholz, Chron. Wirzib. S. 45 und ders,, Ekkehard von Aura S. 73.
"^ wie Griesebrecht III, 503 thut, da das Dekret nur die Unterschriften von
28 Geistlichen trägt.
^ Benzo lib. 6 praef. SS. XI, 656 thut, als ob er auch dabei gewesen wäre ;
es heifst : quorum (der römischen Gesandten nämlich) assertioni nemo nostrum
fuit Didimus, sed unanimiter quae dicebantur credidimus. Es bleibt aber für
ihn kein Raum, auch findet sich sein Name unter dem Absetzungs-Dekret nicht.
Er ist mindestens in der entscheidenden Sitzung nicht gewesen. Vgl. Lehm-
grübner, Benzo von Alba S. 7, 63 u. 65.
^ Bonizo 675 f. ^ Bonizo 676. « Vita Anselmi c. 19 SS. XII, 19.
38 I^er Tag von Brixen.
node von Benevent (August 1087) gegen seinen Gegner Wibert
schleudert^, heifst es: nullo cardinalium episcoporum praecedente
iudicio, nullo ßomani cleri approbante suffragio, nullo devoti po-
puli fervore adibito, in sancta Romana ecclesia omnis malitiae, ne-
quitiae, et perditionis caput est factus. Gegenüber diesen v^eifs der
kaiserlich gesinnte Benzo von Alba -, dafs unter den Versammelten
de senatoribus Romanorum insignes legati gewesen seien ^, die ver-
sichert hätten, Heinrich werde sehnlich erwartet. Da aber Benzo
über seine eigene Anwesenheit die Unwahrheit sagt, so ist er über
die anderer ebenso unglaubwürdig, zumal es im Interesse der kaiser-
lichen Partei liegen mufste, Wiberts Wahl als mit Beteiligung der
Römer vorgenommen darzustellen. Es wird gemäfs den anderen
Zeugnissen kein Römer in Brixen zugegen gewesen sein.
Wie ging nun die zusammengesetzte Versammlung vor? Sie
beschlofs zuerst noch einmal Gregors Absetzung und unterschrieb
das darauf bezügliche, von den lächerlichsten, aber giftigsten Be-
schuldigungen Gregors strotzende Dokument, welches Hugo Can-
didus abgefafst hatte, wie er in seiner Unterschrift angiebt. Dann
wendete man sich zum zweiten Teile der Verhandlungen, der schon
in Mainz in Aussicht genommenen Erhebung eines neuen Papstes,
mit der Heinrich endlich auf die von päpstlicher Seite begünstigte
Wahl Rudolfs von Schwaben zum Gegenkönige antworten wollte.
Während die Absetzung Gregors kaum viel Zeit in Anspruch
genommen haben wird, konnte man sich über seinen Nachfolger
nicht so rasch einigen^. Man schwankte zwischen den beiden an-
gesehensten Geistlichen Oberitaliens, Thedald von Mailand und
Wibert von Ravenna; als aber Thedald die Annahme der ihm zu-
gedachten Würde verweigerte ^, war Wibert der einzig mögliche
Kandidat, und er war willens, die Bürde auf sich zu nehmen. Die
Besprechungen dauerten bis in den Abend ^, doch kam man noch
an demselben Tage zum Abschlufs '^.
Nachdem zwischen dem König und den Bischöfen eine Einigung
' Petrus Casin. 3, 72 SS. VII, 752. - Benzo lib. 6 praf. SS. XI, 656.
' Vgl. Scheffer-Boichorst, Neuordnung der Papstwahl S. 76 u. 111.
* Wido Ferr. 1, 20 SS. XII, 165.
"^ Von Thedalds Kandidatur berichtet Landulf, Hist. Mediol. 3, 32 SS. VIII,
99; zum Zweifel sehe ich keinen Grund. — Er bezeichnet Wibert übrigens
irrtümlich als Kardinal.
ö Norberti vita Bennonis c. 22 SS. XII, 73.
"^ Norberts Angabe gegenüber darf man die Erwählung Wiberts wohl nicht
auf den 26. Juni verschieben, wie Giesebrecht III, 504 u. 1154 thut. Da Gre-
gors Absetzung wenig Zeit beanspruchte, blieb für die Verhandlung über die
Neubesetzung des päpstlichen Stuhls genügend Zeit verfügbar.
Der Tag von Brixen. 39
erzielt war \ schritt man zum AVahlakt. Als römischer Patricias
designierte Heinrich Wibert von Ravenna zum Papst an Stelle
Gregors YII. dadurch, dafs er als erster und entscheidend ihm seine
Stimme gab. Zwar gebunden an diesen Ausdruck des königlichen
Willens, doch in aller Form wählten ihn dann die Bischöfe zum
Stellvertreter Gottes auf Erden. Dafs in dieser Weise vorgegangen
wurde, zeigt eine nähere Betrachtung der Quellen.
Zwar die Aussagen der Hauptbeteiligten ergeben diesen That-
bestand nicht deutlich. Heinrich bezeichnet Wiberts Erhebung als
sein Werk; nach seinem Einzug in Eom und seiner Kaiserkrönung
nennt er ihn in einem Briefe an Bischof Dietrich von Verdun ^
electus papa noster. Am Ende seines Lebens beklagt sich der greise
Kaiser in jenem rührenden Briefe an König Philipp I. von Frank-
reich über die unwürdige Behandlung, welche ihm sein Sohn Hein-
rich hatte angedeihen lassen'^; in demselben erzählt er, dafs am
31. Dezember 1105 zu Ingelheim der päpstliche Legat, Kardinal-
bischof Richard von Albano, von ihm verlangt habe *, er solle öffent-
lich erklären : me iniuste Hildebrandum persecutum fuisse, Wicber-
tum iniuste ei superposuisse.
Gregor auf der anderen Seite äufsert sich auch nicht bestimmt;
in einem Briefe an die Bischöfe Apuliens und Kalabriens vom 21. Juli
1080 ^ bezeichnet er zwar König Heinrich als Vertex et auctor pesti-
feri consilii, nachher aber heifst es von den episcopi praecipue Lon-
gobardorum : pristinam conspirationem adversus Dominum et sanctam
universalem aecclesiam conati sunt innovare; et hominem sacrilegum
et sanctae Romanae aecclesiae periurum nee non per Universum Ro-
manum orbem nefandissimis sceleribus denotatum, W(ibertum) dici-
mus sanctae Ravennatis aecclesiae devastatorem, antichristum sibi
et heresiarcham constituere. Gregor sieht somit in König Heinrich
den Urheber des ganzen Planes, läfst aber auch den Bischöfen ihr
vollbemessenes Teil zukommen.
In den übrigen Berichten erscheint Wibert zum Teil als Er-
nannter Heinrichs ; so bei Bernold ^, in der vita Anselmi ' und bei
^ Dafs Heinrich mit den Bischöfen über die Person des Nachfolgers ver-
handelte, sagt ausdrücklich Wido Ferr. 1, 20 SS. XII, 165.
2 Gesta Trever. SS. VIII, 185 (Stumpf 2859).
3 Der Brief ist gedruckt im cod. Udalr. 129 (Jaffe, Bibl. V, 241 ff.) und
bei Sigeb. 1106 SS. VI, 369 ff.
* Jaffe a. a. 0. V, 245; Sigeb. SS. VI, 371.
^ Reg. 8, 5 bei Jaffe, Bibl. II, 432 ff. ; Jafte-L. 5177. Den Inhalt des Briefes
giebt Petrus Pis., Vita Greg. VII, bei Watterich I, 305 wieder.
® Bernold 1080 SS. V, 436 : Guibertum . . . sibi ... in papam . . . elegit.
"^ Vita Anselmi c. 18 SS. XII, 18 : audet ... in papam eligere Wibertum.
c. 19 SS. XII, 19 : talem ... in papam elevat Heinricus.
4:0 Der Tag von Brixen.
Wido von Ferrara ^ Auch Marianus Scottus - und Sigebert -^ schwei-
gen von einem Anteil der Bischöfe, brauchen aber bezeichnender-
weise von Heinrich den Ausdruck designare.
Einer Reihe anderer Autoren dagegen gilt Wibert als Erwählter
der Bischöfe, sie wissen nichts von Heinrichs Beteiligung ; zu diesen
gehören Ekkehard*, Landulf '^, Norbert in der vita Bennonis*^ und
Hugo von Flavigny \
In der Mitte steht Bonizo ^ und trifft das Richtige , wenn er
fast in demselben Atem sagt : Hunc . . elegit sibi rex Heinricus in
pontificem und eligitur Guibertus in Romanum pontificem a consi-
milibus. Er führt uns auf den rechten Weg und zeigt an, dafs wir
die mannigfaltigen Angaben unserer Quellen in der oben (S. 39) an-
gegebenen Weise zu verstehen haben.
Von den Neueren sprechen Giesebrecht '-^ und die Jaifeschen
^ Wido FeiT. 1, 20 SS. XII, 165 : Heinricus rex, universis quos habere potuit
adscitis episcopis , Wibertum . . . in apostolatum promovit, — Cfr. Gesta Trev.
cont. I. c. 10 SS. VIII, 183 : Wicbertum . . . papam fecit. Will. Malmesb., gesta
pontif. Angl. 1, 49 SS. XIII, 136: Gruibertus electione imperatoris Theutonum . . .
(sc. causam fulciebat.) — Auf Paulus Bernried. c. 108 (Watterich I, 538): sta-
tuam . . . erexit , Gruibertum scilicet möchte ich nicht viel Grewicht legen , die
Stelle ist zu allgemein gehalten, übrigens offenbar nach dem Briefe Gebhards
von Salzburg bei Hugo Flav. SS. VIII, 460 gemacht: statuam quam Nabucho-
donosor erexit adorare.
2 Marianus Scottus 1079 SS. V, 561 f.: Vugbertum . . . facit papam; 1081
SS. XIII, 79 : Wigberdum . . . papam designavit.
^ Sigeb. 1079 SS. VI, 364 : Gruicbertum . . . papam designat.
* Ekkehard 1080 SS. VI, 203 : Wigpertum . . . ipsi subrogandum eligebant.
5 Landulf, Hist. Mediol. 3, 32 SS. VIII, 99: primates . . . Guibertum . . .
elegerunt.
^ Norberti vita ßennonis c. 22 SS. XII, 73: (cum) eiusque in locum con-
stituissent Rawennatem episcopum . . .
' Hugo Flav. SS. VIII, 459 : . . . apud Brixiam, ubi congregati aliqui epis-
coporum . . . elegerunt Witbertum heresiarcham de sui similibus, et . . . apostatam,
non apostolicum effecerunt.
Wohl durch solche Berichte verleitet, kam dann im 12. Jahrhundert Otto
von Freising (gesta Frid. I. 1, 1 SS. XX, 353) dazu, zu schreiben: Gwibertus . . .
assensu principis Urbis episcopus creatur.
Die Thatsache, dafs AVibert Papst wurde, ohne nähere Erwähnung der Um-
stände haben noch : Ann. August. 1080 SS. III, 130. Ann. S. Benigni Div. 1078
SS. V, 42 (woraus Ann. Besuenses 1080 SS. II, 249). — Mit den zahlreichen
ganz allgemein gehaltenen Angaben über Wiberts Wahl will ich niemanden be-
lästigen; herauszuheben wäre nur noch Deusdedit contra invas. bei Mai, Nova
bibl. patrum VII, 3, 82: Heinricus et optimates eins elegere prius Parmensem,
deinde Guibertum, wo also Heinrich und den Optimaten ein freilich nicht näher
definierter Anteil beigemessen wird.
« Bonizo 676. « Giesebrecht III. 504.
Von der Wahl bis zur Inthronisation. 41
Eegesten ^ von einer AValil durch die Bischöfe ; Scheffer-Boichorst ^
meinte, dafs Wibert einfach ernannt worden sei, worin ihm Martens ^
gefolgt ist; freilich wurde er der Sache nach ernannt, der Form nach
aber gewählt.
So erhielt Gregor einen Gegenpapst, wie Heinrich einen Gegen-
könig hatte. Die römische Kirche konnte sich freilich nun und nimmer
mit der Art seiner Erhebung einverstanden erklären, denn dem Wahl-
dekret von 1059 entsprach sie in keiner Weise, mag man die kaiser-
liche oder die päpstliche Fassung zu Grunde legen ^, und um sie zu
rechtfertigen, mufste die wibertistische Partei später zu umfangreichen
Fälschungen päpstlicher Dekrete ihre Zuflucht nehmen •^. Man war,
wie wir gesehen haben, auf die Würde des Königs als Patricius von
Rom zurückgegangen, die ihm den principatus in electione pon-
tificis gewährte. So wie in Brixen war es vor 1059 gehalten worden ;
aber — auch da begegnet eine beträchtliche Unregelmäfsigkeit : statt
der berechtigten Wähler, nämlich statt des Klerus und Volkes von
Rom, hatte eine nach Zufall zusammengesetzte Versammlung von
Bischöfen die Wahl vollzogen. Indes hatte Heinrich noch 1076 ein
wenn auch nur formelles, jedenfalls nicht näher definiertes Konsens-
recht (consilium) der Römer anerkannt ^, und nur die Macht der
Verhältnisse zwang ihn, es jetzt unbeachtet zu lassen; wir werden
sehen, dafs er später bemüht war, diesem Mangel der Brixener Wahl
abzuhelfen.
Fünftes Kapitel.
Ton der Walil bis zur Inthronisation.
Unmittelbar nach der Wahl scheinen noch in Brixen Imman-
tation und Adoration vollzogen zu sein. Bei Deusdedit heifst es
einmal ^ : Rex Heinricus et optimates eins elegere prius Parmensem,
deinde Guibertum, induentes eos apostolicis insignibus ; und auch
Bonizo meldet^: Proh dolor omnes, qui ibi aderant, pseudoprophe-
tam adoravere proni .... Guibertus vero cum suis complicibus, pa-
1 Jaffe-L. I, 649.
^ Scheffer-Boichorst, Neuordnung der Papstwahl 113, bes. Anm. 2.
^ Martens, Besetzung des päpstl. Stuhls 203 — 207,
■* S. hierüber Scheffer-Boichorst a. a. 0. S. 110 if.
^ Vgl. dazu Bernheim in den Forschungen XV, 618 ff.
^ Scheffer-Boichorst a. a. 0. S. 112 nebst Anm. 4. Martens S. 205 drückt
sich schief aus, nach ihm könnte es scheinen, als ob Heinrich mit Absicht die
Ernennung ohne Hinzuziehung der Römer vorgenommen habe.
' Deusdedit contra invas., bei Mai, Nova patrum bibl. VII, 3, 82.
^ Bonizo 677.
42 Von der Wahl bis zur Inthronisation.
palia secum deferens indumenta, intravit Italiam. Auch gelobte
Heinricli auf Anraten des Bischofs Dionysius von Piacenza, von
Wibert die Kaiserkrone empfangen zu wollen ^, zu welchem Ende
er ihn bis Pfingsten 1081 nach Rom führen werde -. Noch feierten
beide zusammen in Brixen den St. Peter- und Pauls-Tag (29. Juni),
dann trennten sie sich; Heinrich ging zur Bekämpfung der Sachsen
nach Deutschland — in Mainz liefs er im Herbst Wiberts Wahl von
den deutschen Bischöfen bestätigen '^ — , Wibert und seine Gefährten
betraten Italiens Boden '^.
Sein Erzbistum Bavenna gab Wibert ebensowenig auf, wie einst
Cadalus das Bistum Parma; es mufste ihm die Mittel gewähren zum
Kampfe um die päpstliche Würde, die er noch nicht einmal rite
besafs, da die Inthronisation fehlte ; auch blieb ihm so eine Zuflucht
gesichert in den unausbleiblichen Wechselfällen eines so schwierigen
Kampfes ^. Zum Ausdruck dessen liefs er sich am 26. Juni 1080
alle Besitzungen und Gerechtsame seines erzbischöflichen Stuhles
von König Heinrich aufs neue bestätigen *' ; eine Neuverleihung fand
dabei nicht statt. Als Intervenienten werden die Königin Bertha
und Heinrichs Sohn Konrad genannt; und Wiberts neuer Würde
ist in seinem Titel schon Rechnung getragen : Cunctis pateat . . nos . . .
confirmasse . . . sanctae Ravennati ecclesiae . . et domno Wigberto
sancte predicte ecclesie venerabili archiepiscopo nobisque dilectis-
simo et summe sedis electo apostolico ....
Gregor VII. wurde durch die Vorgänge des 25. Juni 1080 nicht
entmutigt; er entfaltete eine um so regere Thätigkeit, die sich na-
turgemäfs auch mit Wiberts Person beschäftigte '. Er hatte zuerst
vor, persönlich gegen diesen seinen Hauptgegner in Italien zu Felde
zu ziehen mit Hülfe u. a. auch der Normannen, der Herren der
Campagna und der Fürsten Tusciens; nach dem 1. September ge-
dachte er den Zug anzutreten, doch kam derselbe nicht zustandet
1 Bonizo 676. ^ ßenzo lib. 6 praef. SS. XI, 656.
3 Bern. 1080 SS. V, 436. G-iesebrecht III, 517 u. 1155. * Bonizo 677;
5 Vgl. Donizo 2, 833 f. SS. XII, 396.
« Stumpf 2822 und Jafie-L. I, 649 f. Sachlich genau, im Wortlaut aber
nicht ganz übereinstimmend mit Stumpf 2621 , der Bestätigungsurkunde Hein-
richs IV. für Ravenna vom 24. Juni 1063, zugleich der spätesten erhaltenen
Urkunde, die von Wibert als Kanzler rekognosziert ist. Indes sieht man, dafs
Stumpf 2621 vorgelegen hat und nur im Wortlaut stellenweise etwas verändert
worden ist.
' Vgl. Giesebrecht III, 508—516.
^ Reg. 8, 7 bei Jaffe, Bibl. II, 436; Jaffe-L. 5179. Dünzelmann, Forschungen
XV, 539, der diesen Brief in das Jahr 1081 setzen will, hat mich durch seine
Ausführungen nicht überzeugt. Der Grund, von dem seine Erörterung ausgeht,
Von der Wahl bis zur Inthronisation. 43
Als dies mifsglückt war, versuchte er den Hebel bei "Wiberts
Diözesanen anzusetzen und diese ihm abtrünnig zu machen. In zwei
Schreiben vom 15. Oktober 1080 forderte er die Bischöfe, Abte,
Geistlichen und Laien der Marken und des Exarchats ^ und die
Geistlichen und Laien von Ravenna — denen gegenüber er beson-
ders hervorhebt, wie nahe vor allen übrigen Kirchen ihm die von
Ravenna am Herzen liege — auf ^, dem schon so lange exkommuni-
zierten Wibert, der nunmehr in den schwärzesten Farben geschildert
wird, einen Nachfolger zu setzen, da er in religiöser wie in mate-
rieller Hinsicht das Erzbistum ruiniert habe. Um dem Nachdruck
zu geben, habe er einige Kardinäle, darunter den Archidiakonus.
gesandt. Als er damit, wie zu erwarten, ebensowenig ausrichtete —
man wird die Gesandten kaum haben Ravenna betreten lassen — ,
schritt er zum letzten : er ernannte einen neuen Erzbischof, mit Na-
men Richard. Die Anzeige dieser Ernennung liefs er am 11. De-
zember 1080^ nach Ravenna gelangen und bat um kräftige Unter-
stützung des neuen Oberhirten. Indes hören wir nie wieder etwas
von Richard, und es ist deshalb wahrscheinlich, dafs er gar nicht
nach Ravenna hineingelangt ist. Auch dieser Versuch Gregors war
fehlgeschlagen, Wiberts Stellung in Ravenna Ende 1080 unerschüttert.
Das Jahr 1081 sollte Heinrich die Kaiserkrone, Wibert die
Inthronisation bringen ; aber es kam anders, als sie dachten *.
Am 14. Januar ist Velbert noch in Ravenna '\ Seine Vassallen
Graf Hubald und Hugo, Vater und Sohn, verpflichten sich ihm von
ist hinfällig. Freilich ist ihm zuzugeben, dafs in 8, 12 der Satz (Wibertus) ex
triennio gladio anathematis sine spe recuperationis percussus est sich erst auf
die definitive Absetzung im November 1078 bezieht. Aber dafs triennium nicht
notwendig gleich drei vollen Jahren sein mufs, sondern auch von einem zu-
sammenhängenden Zeitraum gesagt werden kann, der ein ganzes Jahr und Teile
von zwei anderen Jahren umfafst, zeigt z. B. Bern. 1083 SS. V, 438. Hier be-
zeichnet Bernold die E,ömer als iam trienni impugnatione nimium fatigati, und
die Belagerung dauerte in Wahrheit vom Winter 1081 bis Sommer 1083. Dieser
Fall ist dem unseren ganz analog.
' Reg. 8, 12 bei Jaffe, Bibl. II, 441; Jaffe-L. 5186.
2 Reg. 8, 13 bei Jaffe, Bibl. II, 443 ; Ja£fe-L. 5187.
3 Reg. 8, 14 bei Jaffe, Bibl. II, 444; Jaffe-L. 5189. Den Inhalt dieses Briefes
giebt Petrus Pis. , Vita Greg. VII, bei Watterich I, 305 wieder; während im
Registrum nur der Anfangsbuchstabe R. des Namens steht, nennt er den neuen
Erzbischof Richard. Cfr. Amadesi, Antist. Ravenn. II, 194 — 197, der aber ganz
ohne Grund annimmt, Richard habe vom Dezember 1080 bis Ostern 1081 den
erzbischöflichen Stuhl von Ravenna behaupten können.
^ Vgl, Giesebrecht III, 526 ff.
^ Fantuzzi, Mon. Rav. II, 371 No. 60 Reg. Cfr. Rubeus, Eist. Rav. 307.
Jaffe-L. II, 751.
44 Von der Wahl bis zur Inthronisation.
neuem; vermutlich sind diese nicht die einzigen Grofsen, die er an-
gesichts der jüngsten Vorgänge fester an sich zu ketten bemüht war.
Gregor hielt in der Woche vom 21. bis 27. Februar in Rom
die Fastensynode ^, auf welcher Heinrich und seine Begünstiger von
neuem exkommuniziert wurden. Dieses Urteil wird in einem Schrei-
ben Gregors an Altmann von Passau und Wilhelm von Hirschau
dahin erläutert -, dafs alle Exkommunizierten von neuem exkom-
muniziert seien: also auch Wiberts Bannung war bestätigt worden.
Einen Monat darauf, Ende März, erschien König Heinrich in
Italien und war Ostern (4. April) in Verona; bei ihm weilte Wibert,
der ihm entgegengezogen war '^ ; bald brach man gemeinsam von dort
gegen Bom auf *. Der Zug ging zunächst nach Bavenna, hier waren
beide Anfang Mai und gedachten um Pfingsten (23. Mai) vor Rom
zu lagern '".
In Bavenna traf Wibert am 8. Mai eine sehr bedeutsame Ver-
fügung. In einer Urkunde ^, die an den Kardinalpriester Johannes,
den Priester und Propst Petrus, den Diakonen Berard und einen
anderen Petrus in Vertretung sämtlicher Kanoniker gerichtet ist,
vereinigt er die Diakonen , Subdiakonen und anderen Grade der
Geistlichkeit an der erzbischöflichen Kirche in einem Kanonikats-
stift, welches er aufs reichste unter der Bedingung dotiert, dafs an
einem gemeinsamen Leben festgehalten wird ; dazu ist natürlich
Voraussetzung, dafs die Mitglieder unverheiratet sind ". Gemeinsames
Leben des Klerus war im 9. und teilweise noch im 10. Jahrhundert
bei den bischöflichen Kirchen Regel gewesen ^; aber in der 1. Hälfte
des 11. hatte man diese vielfach lästige Einrichtung abgeschüttelt.
Nun kam man schon in der 2. Hälfte desselben Jahrhunderts auf
sie zurück und verschärfte sie dadurch, dafs jeder Einzelbesitz unter-
sagt wurde. So auch in unserem Falle, der überdies zeigt, dafs
1 Ja£fe-L. I, 638. Acta bei Jaffe, Bibl. II, 452 (Reg. 8, 20 a). Cfr. Petrus
Pis., Vita Greg. VII., bei Watterich I, 306.
2 Reg. 8, 26 bei Jafi'e, Bibl. II, 476; Jaffe-L. 5206.
3 Bern. 1081 SS. V, 437. Bonizo 677.
■* Vgl. zu Heinrichs Romzügen aufser Giesebrecht auch Martens, Die Be-
setzung des päpstl. Stuhls S. 207—210.
f» Aus dieser Zeit etwa stammt Reg. 8, 34 bei Jaffe, Bibl. II, 485 au Abt
Desiderius von Monte-Casino ; Jaffe-L. 5218.
ö Rubeus, Hist. Rav. 307 f., gedruckt auch bei Bertoldi, Memoria storiche
d'Argenta I, 181. Jaffe-L. II, 751. S. Hinschius, System des kathol. Kirchen-
rechts II, 50—58.
' Vielleicht hat Wibert die Einrichtung von Kanonikatsstiften auch bei
seinen Suffraganen befördert; so linden wir ein claustrum canonice in Cesena
in einer Urkunde Wiberts vom 22. September 1097 bei Fantuzzi IV, 228.
^ Hinschius, Kirchenrecht II, 54, die Belege in Anm. 3.
Von der Wahl bis zur Inthronisation. 45
Wibert persönlich wohl dem Nikolaitismus abgeneigt war, schwerlich
wird er nur eine Demonstration beabsichtigt haben ^
Von Kavenna ging es dann nach Rom ^, wo Heinrich und Wibert
mit kleiner Begleitung am Tage vor Pfingsten (22. Mai) eintrafen 3;
bekanntlich mufste der König, da die Römer ihn nicht einliefsen,
sein Lager auf den prata Neronis aufschlagen und hier auch das
Pfingstfest (23. Mai) feiern. Wie man es bei den vorhandenen Mifs-
lichkeiten zu begehen habe, darüber fand eine eingehende Beratung
statt, deren Gang uns Benzo, der anwesend war, erzählt hat ^ Da
an diesem Festtage der König in einer Kirche die Krone aufzusetzen
und darauf in feierlichem Zuge zur Messe in eine andere zu gehen
pflegte, war man in nicht geringer Verlegenheit, wie dies zu bewerk-
stelligen sei. Da soll Wibert den Vorschlag gemacht haben, die
beiden Kirchen durch zwei Zelte zu markieren, was auch ausgeführt
wurde, sich aber wenig imposant ausgenommen haben mufs.
Unverrichteter Sache kehrte Heinrich, mit ihm Wibert Anfang
Juli um ^ und begab sich in die Lombardei zurück ; am 10. Juli war
er in Siena, am 19. und 20. in Lucca ^, wo Wibert einen gewissen
Petrus, den Heinrich ernannt hatte, zum Gegenbischof gegen Anselm
weihte '^. Dann ging Wibert nach Ravenna, wo wir ihm am 1. De-
zember begegnen ^: an diesem Tage giebt er nämlich durch Urkunde
dem Abt Alberich des St. Gaudentiusklosters in Sinigaglia gewisse
Güter in Erbpacht ^.
^ S. Hinschius a. a. 0. II, 57 f. S. 57 Anm. 1 könnte unser Beispiel passend
hinzugefügt werden.
2 Hugo Flav. SS. VIII, 460 weifs gelegentlich der Jahre 1082, 1083 zu be-
richten, dafs Heinrich auf dem Wege nach Rom alles Mögliche that, um seinem
Papste Anerkennung zu verschaffen. Wer diesem nicht durch den Fufskufs
seine Ehrerbietung erzeigt hatte, wurde zum Kufs des Königs nicht zugelassen;
zu ersterem aber veranlafste man möglichst jedermann.
3 Bonizo 677. * Benzo lib. 6 praef. SS. XI, 656 f. » Bonizo 678.
« Stumpf 2835, 2837, 2838.
'^ Bardonis vita Anselmi c. 10, 11 SS. XII, 16; cfr. Fiorentini, Memorie
della gran contessa Matilda 205 f.
8 Fantuzzi, Mon. Rav. II, 345 No 15 Reg. u. V, 162 f. No. 24 Reg. Jaflfe-L.
II, 752 No. 5313«. (1082 ist dort zu berichtigen).
^ Angeblich haben Heinrich und Wibert etwa im April 1081 in Pavia eine
Synode gehalten, auf der Dekrete gegen Simonie und Alienierung von Kirchengut
erlassen sein sollen. So die MG. LL. II , 53 ; Watterich , Vitae pont. 1 , 447
Anm. 2 ; Stumpf 2831 und Nachtrag S. 535. Die Acta sind aber falsch einge-
ordnet; es heifst in ihnen: decrevit sancta synodus, cui interfuit tercius rex
Heinricus, und das ist zweifellos Heinrich III. Wobei Giesebrecht III, 1157
sehr richtig auf Ann. Altah. 1046 SS. XX, 803 und Anm. 36 aufmerksam macht,
die von einer Synode and einem Reichstag Heinrichs III. in Pavia im Oktober
1046 berichten; vgl. Steindorö' Heinrich III. I, 308 f. Ihrem Inhalte nach
46 ^011 ^^ei" Wahl bis zur Inthronisation.
Mitten im Winter von 1081/82 trat dann Heinrich, wiederum
von Wibert begleitet \ seinen zweiten Zug nach Rom an -, fand aber
die Thore der Stadt abermals verschlossen. Mit Anfang der Fasten-
zeit (März, April) 1082 begann er eine regelrechte Einschliefsung,
der er selbst aber nur in der ersten Zeit beiwohnte, da er bald nach
Ostern (24. April) das Heer verliefs und sich nach der Lombardei
begab.
Wibert blieb zurück und nahm sein Hauptquartier in Tibur,
dem heutigen Tivoli ^. Von da aus liefs er Rom während des ganzen
Sommers beunruhigen: die Umgegend wurde ausgeraubt, was sich
von Römern ergreifen liefs, getötet ; die Saaten den Flammen über-
liefert, um Hungersnot hervorzurufen *. In Rom verhandelte unter-
dessen eine Synode (4. Mai), ob man Kirchengut zum Kampfe gegen
Wibert verwenden dürfe ^, und verneinte diese Frage ; da halfen
Mathilde von Canossa und ihr Berater Anselm von Lucca mit ihren
Mitteln aus ®.
Bald nach Ostern 1083 stiefs Heinrich wieder zu Wibert '^, um
so energischer wurde die Belagerung betrieben, mit dem Erfolge,
dafs Anfang Juni die Leostadt mit der Peterskirche, aber ohne die
Engelsburg, in der Gregor weilte, in Heinrichs Hände fiel. Noch
liefs sich der Papst nicht einschüchtern ^, schleuderte vielmehr am
24. Juni, dem Tage Johannes des Täufers, fast von Angesicht zu
Angesicht gegen Heinrich IV. und Wibert von neuem das Anathem ^.
Trotz seiner Erfolge aber trat Heinrich bald darauf (Anfang
Juli) infolge von Verhandlungen mit den Römern und Gregor den
Rückzug nach der Lombardei an^^ Da diese Verhandlungen auch
auf Wiberts Stellung ein klärendes Licht werfen, müssen wir ihnen
zwar näher treten, indes ist dabei die Absicht nicht, sie in ihren
durchaus noch nicht überall aufgeklärten Einzelheiten darzustellen,
passen die Dekrete sehr gut dahin. — Auf Norberts vita Bennonis c. 22 SS.
XII, 72 kann man sich nicht berufen, da er ohne allen Zweifel die Brixener
Versammlung im Auge hat ; und Stenzels (I, 474) aus ihm erschlossene Meinung,
dafs Wibert im April 1081 in Pavia von den Lombarden noch einmal als Papst
förmlich anerkannt worden sei, ist in der Anm. 71 der MG. zu Norbert von AVil-
mans schon beseitigt worden. — Ganz falsche Kombinationen hat Mansi XX,
477 f. — Von Wibert ist überall keine Rede.
1 Bon. 678. Bern. 1082 SS. V, 437. Benzo lib. 6 praef. SS. XI, 658.
2 Giesebrecht III, 542 ft'.
3 Bon. 678. Bern. 1082 SS. V, 437. Giesebrecht III, 543 u. 1159.
^ Bonizo 678. ^ Jafte-L. I, 642 u. Addenda II, 713.
^ Giesebrecht III, 544. ' Vgl. Giesebrecht III, 543 ff'.
8 Giesebrecht III, 548 u. 1161.
9 Bern. 1084 SS. V, 441. Cfr. Jaft'e-L. I, 645.
10 Bern. 1083 SS. V, 438. Giesebrecht III, 549.
Von der AValil bis zur Inthronisation. 47
vielmehr soll nur gegeben werden, was im ganzen als feststehend
anzusehen ist, denn dieses genügt für unsere Zwecke ^.
Durch die Eroberung der Leostadt war Gregors Lage sehr prekär
geworden, zumal die Treue der Römer, die natürlich die Belagerung
stark empfanden, ins Wanken geriet -. Dadurch bedrängt, begann
Gregor Unterhandlungen mit dem König anzuknüpfen, auf welche
dieser einging, da er sich mit Rücksicht auf die Erfolge seiner Waffen
wohl der Hoffnung hingab, Gregors Forderungen würden nicht zu
übertrieben sein. Es kam zu einem vorläufigen Übereinkommen, das
für Heinrich jedenfalls die Bedingung enthielt, von Rom zunächst
abzuziehen, die er zu seinem Schaden erfüllte '^. Weiter verabredete
man, es solle Mitte November eine Synode zusammentreten, um
endgültig den Streit zwischen König und Papst beizulegen ; cuius
sinodi statuta de causa regni nee Heinrico nee Romanis immo nuUi
penitus liceret praevaricari, sagt Bernold ^
Nebenher gingen geheime Verhandlungen Heinrichs mit einem
Teil der Römer, die ihm eidlich versprechen mufsten, dafür zu wirken,
dafs er innerhalb 15 Tagen nach seiner Rückkehr von Gregor ge-
krönt werde. Wollte aber der Papst dem nicht willfahren, oder
wäre er tot oder flüchtig, so gelobten die Römer, im Verein mit
dem König einen neuen Papst zu wählen. Diese Abmachung war
besonders für den Fall des Scheiterns der Verhandlungen mit Gregor
getroffen.
Und wirklich führten die Versuche, zu einem Frieden zu ge-
langen, zu keinem Ergebnis. Es ist nicht sicher zu sagen, wodurch.
Bernold weist Heinrich, Sigebert und Ekkehard Gregor die Schuld
zu. In der That scheint der Papst, wenn -man Bonizo hört, öffent-
liche Bufse wegen der Exkommunikation vom König verlangt zu
haben, während dieser gewifs erwartet hatte, mit einem geringeren
' Vgl. über dieselben Griesebrecht III, 549 — 555; Panzer, Wido von Ferrara
40 — 43 und Exkurs I, 51 — 54; Buchholz , Ekkehard von Aura 81 — 84. Die
Quellen sind: Bern. 1083 SS. V, 438; Ekkeli. 1083 SS. VI, 205; Sigeb. 1083
SS. VI, 364; Bonizo 678 f. Der Eid der Römer SS. VIII, 461. Ein Schreiben
Gregors an die französische Kirche Ja£fe-L. 5259. Aus dem 8. Buche von Gre-
gors Registrum die Nummern 51 u, 58 a (Jaffe, Bibl. II, 503 u. 516). Über das
zweite Manifest Heinrichs an die Römer s. u. S. 48 Anm. 2.
- Bonizo 679. Bern. 438. Buchholz S. 82.
^ Dies zeigt, dafs es Heinrich mit dem Versuch, Frieden zu machen, ernst
war, während man bei Gregor daran zweifeln kann ; dieser dachte vielleicht nur,
sich so für einige Zeit von seinem Gegner zu befreien.
^ Bern. 438. Mit Buchholz S. 83 halte ich Ekkehards Angabe, dafs als
Termin für die Synode der erste November angesetzt worden sei , für einen
Irrtum, entgegen Panzer S. 41, der zwei verschiedene Versammlungen annimmt.
48 Von der Wahl bis zur Inthronisation.
Preise Gregor genügen zu können. Die Zeit vom Juli bis November,
während welcher kein feindliches Heer vor Rom lag, hatte die Geister
wohl auch wieder Mut schöpfen lassen, so dafs man bereits bereute,
im Juli so weit gegangen zu sein, wie geschehen war. Infolgedessen
hielten auch die Römer ihren Eid nicht.
Die Synode, welche man verabredet hatte, wurde freilich ge-
halten, trotzdem ihr Heinrich möglichst Abbruch zu thun suchte, sie
diente aber nur, jeden ferneren Versuch einer Aussöhnung zwischen
den kämpfenden Mächten unmöglich zu machen, da Heinrich auf
ihr, wenn auch nicht namentlich, so doch deutlich genug bezeichnet
von neuem gebannt wurde (20. November 1083) \
Diese Vorgänge gewähren uns nun einen Einblick in das Ver-
hältnis Heinrichs zu Wibert. Schon das zweite Manifest, welches
der König zu Beginn des zweiten Zuges nach Rom (Winter 1081/82)
an Klerus und Volk dieser Stadt erliefs, gibt uns einen Fingerzeig -.
In ihm ist von Wibert gar nicht die Rede ^. Folgende Stellen
sind beachtenswert: (Jaffe S. 500) Gregor soll auf einem Tage vor
Heinrich erscheinen. Si (Gregorius) debet et potest esse apostoli-
cus , nos sibi obediemus. Sin autem, in vestro arbitrio et nostro
ecclesiae provideatur alius ecclesiae necessarius. Und Jaffe S. 501 :
Fiat discussio in conspectu ecclesiae. Si iustum sit, ut apostolicum
1 Jaffe-L. I, 645.
^ Es ist als epist. Bamb. 9 bei Jafie, Bibl. Y. 498 gedruckt und wird von
Jaffe a. a. 0,, von Giesebrecht III, 540 — 542 u. 1159, von Martens, Besetzung
des päpstl. Stuhls 208 auf Ende 1081 Anfang 1082, von Panzer, Wido 53 und
ßuchholz, Ekkehard 81 dagegen in 1083 während der Verhandlungen zwischen
Heinrich und den Römern angesetzt. Ich schliefse mich der ersteren An-
schauung an. Freilich sind die im Manifest sich findenden Anhaltspunkte für
eine chronologische Fixierung gering. Aber (Jaffe S. 499) der Abschnitt Quem
nos videntes et diutius ferre nolentes , Romam venimus etc. geht , scheint mir.
nur auf die erste Ankunft Mai, Juni 1081, was durch die letzten Worte des
Absatzes bestätigt wird, in welchen als Zweck des Zuges genau derselbe ange-
geben wird, wie in dem ersten ohne Zweifel zu Beginn des ersten Zuges an-
zusetzenden Manifeste (cod. Udalr. 66 bei Jaffe, Bibl. V, 138): die Herstellung
des Friedens zwischen geistlicher und weltlicher Macht. S. 500 kann wohl: Ecce
nos Romam Deo propitio veniemus constituto termino nicht füglich gesagt werden,
wenn Heinrich schon die Leostadt mit der Peterskirche erobert hat, wie es doch
1083 der Fall war. Ein Zug nach Rom ist beabsichtigt; vom Winter 1081 ab
bis zum Sommer 1083 lag nun Heinrichs Heer beständig vor Rom, wenn er
auch nicht immer persönlich anwesend war ; dann folgen die Verhandlungen mit
den Römern und ihr Abbruch ; zu dem Zuge im Herbst 1083 kann das Manifest
nicht erlassen sein, da schon seit dem Sommer eben die Verhandlungen schwebten,
nach der Novembersynode 1083 ist es undenkbar, es bleibt nur der zweite Zug
(Winter 1081/1082), auf den alles pafst.
^ Vgl, Martens, Besetzung des päpstl. Stuhls 208 f.
Von der Wahl bis zur Inthronisation. 49
eum habeatis, ut apostolicum defendite. Ut furem et latebras que-
rentem nolite defendere. Danach will Heinrich eventuell Gregor
anerkennen, ist aber dies nicht möglich, im Verein mit den Römern
einen anderen Papst bestellen. Des Erwählten von Brixen geschieht
keine Erwähnung, damals wohl nur, um bei den Römern keinen
Anstofs zu erregen. Immerhin — das hebt Martens mit Recht her-
vor — war in einem öffentlichen Manifest Wibert mehr oder minder
deutlich desavouiert, welche Zusicherungen immer er heimlich
von Heinrich erhalten haben mochte. Die politischen Verhältnisse
mochten ja zu einem solchen Verfahren zwingen, aber für einen Mann
in Wiberts Stellung, für das Haupt der Christenheit war es ganz
gewifs eine „empfindliche Demütigung".
Es sollte 1083 noch schlimmer werden. Kaum zeigte sich eine
trügerische Aussicht, mit Gregor ins reine zu kommen, da griff
Heinrich zu, und wäre man zum Frieden gelangt, so hätte man Wibert
jetzt unfehlbar beiseite geschoben. In der That liefs Heinrich, als
er gegen den November ^ nach Rom zog, Wibert einfach in Ravenna
zurück -, wohin er ihn geschickt hatte, und wo wir ihn Urkunden
ausstellend noch am 9. und 30. Dezember finden '\ Mochte ihm
Heinrich auch äufserlich alle Ehrerbietung erweisen, die dem Papste
zukam, politisch war er nichts anderes als ein Werkzeug des Königs,
ganz abhängig von diesem. Nur Gregor hatte er es diesmal zu
danken, dafs er seine päpstliche Würde behielt*.
Auch die ersten Monate des Jahres 1084 sahen Wibert noch
in Ravenna; verschiedene datierte und — da er in diesem Jahre
nicht wieder nach Ravenna kam — die undatierten Urkunden von
1084 fallen in diese Zeit, iim 13. und 23. Januar ^ gibt er Teile
seines Hofes Rovitula in Erbpacht, am 26. überweist er ^ den Brü-
dern Hubert und Johannes Land. Nicht näher datiert sind eine
Urkunde'^, durch die er Land im Gebiet von Ferrara verpachtet,
und eine andere ^, in der er von Bischof Hugo von Faenza Land
erhält.
Vor dem Monat Februar 1084 kann sonach Wibert nicht wieder
1 Ekkeh. 1083 SS. VI, 205. ^ 5^^^. 1083 SS. V, 438.
3 Rubens, Eist. Rav. 309.
■^ Vgl. Martens, Besetzung des päpstl. Stuhls 208 f.
^ Fantuzzi, Mon. Rav. V, 163 No. 25 Reg. u. 1, 395 No. 72 Reg.; Jaffe-L.
II, 752 No. 5317«.
^ Rubeus, Hist. Rav. 309; Jaffe-L. 5318. Auch am 22. Januar urkundet er
nach Rubeus 309, worüber Näheres nicht bekannt ist.
' Fantuzzi a. a. 0. II, 383 No. 37 Reg.
* Mittarelli, Script, rerum Faventin. 408, daraus Cappelletti, Le chiese d'Italia
II, 258.
Köhncke, "Wibert v. E. 4
50 Von der Wahl bis zur Inthronisation.
ZU Heinrich gestofsen sein ; eine entsprechende Aufforderung hat er
aber gewifs bald nach dem 20. November 1083 erhalten. Denn wie
Bernold ^ berichtet, überwinterte Heinrich im Gebiet von Rom und
wartete hier auf Wibert, der ihn krönen sollte, da alle auf Gregor
gesetzten Erwartungen zunichte geworden waren. Da nun in den
Februar 1084 der Zug nach Campanien und Apulien fällt '^, denke
ich, dafs er Heinrich erst auf dem Rückwege von da nach Rom
wieder erreicht hat.
Damals weilte an des Königs Hofe auch Abt Desiderius von
Monte -Casino, der sich mit Wibert in mannigfache Erörterungen
einliefs ^. Den Entschlufs zu dieser Reise hatte er um die Zeit der
Synode vom November 1083 gefafst, die Ausführung wird aber noch
etwas angestanden haben *. Der König und der Abt trafen sich in
Albano, südöstlich von Rom, vielleicht als Heinrich im Begriff stand,
den Zug nach Campanien anzutreten. Jedenfalls möchte dies eher
anzunehmen sein, als dafs die Zusammenkunft erst im März nach
der Rückkehr von dort stattgefunden habe ^. Denn da Heinrich
Mitte März in Rieti war ^, also durch das Herzogtum Spoleto zog,
und da er am 21. schon vor der porta Lateran ensis stand '^, so wird
sich ein Aufenthalt in Albano damit schwer vereinigen lassen. Auch
ist es schon nicht recht ersichtlich, warum zwischen Entschlufs und
Ausführung die lange Zeit vom November 1083 bis Februar 1084
verflofs, und diese Schwierigkeit wird nicht geringer, wenn man noch
einen Monat mehr verstreichen läfst.
Dazu blieb Desiderius längere Zeit am Hofe, wie aus Petrus
1 Bern. 1084 SS. V, 439. ^ Ekkeh. 1084 SS. VI, 205.
3 Petrus Casin. 3, 50 SS. VII, 739 f. Ich billige die Erklärung der Stelle,
welche Panzer, Wido 54—56 giebt, durchaus, wenn ich auch mit der Darstellung
S. 42 f., die er daraus abgeleitet hat, mich nicht einverstanden erklären kann.
Von nochmaligen Versuchen, mit Gregor Frieden zu machen, kann keine Rede
sein. Wenn Petrus Casin. S. 739 berichtet, die Reise des Desiderius und der
ihn begleitenden Normannen sei auch in der Absicht unternommen, ut causa
fidelitatis Romanae ecclesiae, de pace inter pontificem et imperatorem satagerent,
so sind sie damit zu spät gekommen und jedenfalls bei Heinrich einer schroffen
Ablehnung begegnet.
^ Die Zeit nach dem November 1083 steht namentlich fest wegen der Er-
wähnung Ottos von Ostia (nachmals Urban II.) am Hofe Heinrichs (S. 740), der
erst um den 11. November 1083 gefangen genommen wurde. Freilich ist die
Disputation zwischen Desiderius und Otto sachlich unmöglich, wie ich mit
Scheffer-Boichorst , Neuordnung der Papstwahl 92 f., und Martens, Besetzung
des päpstlichen Stuhls 232, glaube [Hirsch, Forschungen VII, 82 Anm. 2 folgt
einer anderen Chronologie].
^ So Giesebrecht III, 556. « Stumpf 2853.
" Vgl. Giesebrecht III, 1162 und Buchholz, Ekkehard 85.
Von der Wahl bis zur Inthronisation. 51
Casinensis deutlich hervorgeht ^, vielleicht hat er Heinrich auf seinem
Zuge begleitet. Als auch Wibert am Hoflager angekommen war,
soll er nach Petrus viel mit diesem disputiert haben, einmal über
Nikolaus' II. Wahldekret. Dann aber habe er ihn scharf getadelt,
dafs er den päpstlichen Stuhl usurpiert habe ; Wibert habe nicht
vermocht, sich zu rechtfertigen, und sich schliefslich darauf zurück-
gezogen, dafs es wider seinen Willen geschehen sei, denn hätte er
es nicht gethan, so hätte ohne allen Zweifel der Kaiser seine Würde
verloren, und das habe er verhindern wollen -.
Den Anlafs zu Heinrichs Rückkehr aus Unteritalien aber hatte
eine Gesandtschaft der Römer gegeben, die ihm in allen Dingen
Gehorsam gelobte; Rom war der Beschwerden des Krieges über-
drüssig; die alte Not war seit dem November 1083 wiedergekehrt.
Des Königs Ziel war jetzt erreicht^: schon am 21. März zog er
mit Wibert in das eigentliche Rom ein und nahm vom Lateran
Besitz ^.
^ Petrui Casin. 3 , 50 SS. VII , 740 : Super haec interim quamdiu ibi per-
mansit Desiderius .... cotidie cum eis et saepissime contendebat etc.
^ Noch vor dem 21. März (Einnahme von Rom) scheint sich Desiderius be-
urlaubt zu haben und nach Monte-Casino zurückgekehrt zu sein ; von einer Teil-
nahme an den Ereignissen der letzten Märztage hört man nichts. Nun berichtet
Petrus Casin. S. 740 von der durch Jordan von Capua vermittelten Zusammen-
kunft des Königs und des Abtes: ita flexit se (Desiderius) ut ipse coram prin-
cipe (Jordane) araicitiam sibi promitteret , et de Corona imperiali acquirenda
illum pro suo posse adiuvaret, salvo tamen ordine suo. Dafs er ein solches Ver-
sprechen geleistet habe, bestätigt er durch seine eigene Aussage in dem Briefe
Hugos von Lyon an die Gräfin Mathilde bei Hugo Flav. SS. VIII, 466. Heinrich
konnte dabei an Gregor nicht mehr denken , für Desiderius . der mit Wiberts
Erhebung nicht einverstanden war, nur Gregor in Betracht kommen. So Hirsch,
Forschungen VII, 81 ; Panzer , Wido 42. Giesebrecht JII, 556 läfst sich über
diese Schwierigkeit nicht aus. Ich denke mir: das absichtlich allgemein ge-
haltene Versprechen mufste unwirksam bleiben, weil jeder es nach seinem Be-
dürfnis auslegte. Als die Dinge der Entscheidung nahten, entfernte sich der
schwache Desiderius lieber, und Heinrich, mit dem Erreichten zufrieden, liefs
ihn ziehen. Dennoch verfiel der Abt der Exkommunikation durch Gregor, zu
welcher sein Verkehr mit Exkommunizierten schon einen genügenden Grund
abgab. Vgl. Panzer, Wido 47.
^ Ekkeh. 1084 SS. VI, 205. Heinrichs Brief an Bischof Dietrich von Verdun
in den Gesta Trev. SS. VIII, 185 (Stumpf 2859). Walram de unit. eccl. 2, 7
ed. Schwenkenbecher S. 50.
* So Bern. 1084 SS. V, 440 und Ann. Cavenses 1084 SS. III, 190, während
Ekkeh. 1084 SS. VI, 205 den 22. März als Tag des Einzuges bezeichnet. Indes
ist der 21. März (dies Sancti Benedi cti) nach Heinrichs eigener Aussage in seinem
Briefe an Dietrich von Verdun, Gesta Trev. SS. VIII, 185 (Stumpf 2859), und
nach Stumpf 2854 festzuhalten. S. auch Buchholz, Ekkehard 86.
52 Yon der Inthronisation bis zum Tode Gregors YII.
Sechstes Kapitel.
Yon der Inthronisation bis zum Tode Oreg:ors YII.
Gleich nach dem EinzAige in Rom wurde in die Peterskirche,
wie es scheint ^ eine Synode berufen , welche die Beschlüsse von
Brixen gewissermafsen legalisieren sollte. Die Römer bestätigten
zunächst den damals gefafsten Beschlufs über den nunmehr in die
Engelsburg geflüchteten Gregor, der von neuem abgesetzt und ge-
bannt wurde -. Nach Heinrichs Brief an Dietrich von Verdun ^ wäre
das geschehen legali omnium cardinalium ac totius populi Bomani
iudicio ; das mag immerhin übertrieben sein, gewifs Avird man an-
nehmen können, dafs ein grofser Teil des römischen Volkes, der
langen Kriegsnot müde und von Heinrich den Frieden erhoffend,
diesen Mafsregeln zugestimmt hat*.
Andererseits läfst sich wahrscheinlich machen, dafs Gregor aufser
vom Volk auch von einer gröfseren Zahl Kardinäle gerade im Früh-
jahr 1084 nach Heinrichs Erfolgen im Stiche gelassen wurde ^. Lan-
dulf berichtet ^ : Interea Gregorius sese videns a civibus et a quam-
pluribus cardinalibus destitutum etc. Und in einer der bei Suden-
dorf veröffentlichten Schriften der schismatischen Kardinäle heifst
es ' : Tu quoque (sc. Greg. VII.), postquam irrevocabiliter errasti,
a patribus Romanae ecclesiae deseri meruisti , a quibus Clemens
papa postmodum canonice invitatus et electus non apostolici ponti-
ficis sed heretici et fidei catholicae proditoris supplantator accessit.
Unter den patres Romanae ecclesiae sind mit Panzer die römischen
Kardinäle zu verstehen. Aufs beste stimmen dazu die Angaben des
Kardinals Beno^; dieser zählt (Goldast S. 1) die Namen der von
^ Benzo 6, 6 SS. XI, 666: Synodus hinc congregatur in Petri vestibulo;
cfr. IIb. 7 prol. SS. XI, 669: elevatur Kavennas in Petri domicilio.
2 Benzo a. a. O. Sigeb. 1084 SS. VI, 364.
3 Gesta Trever. SS. VIII, 185 ; Stumpf 2859.
* Die unteritalienischen Annalen, z. B. Ann. Cavenses 1083 SS. III, 190,
erheben freilich Widerspruch, der aber niclits bedeuten kann : Wibertum absque
consilio et voluntate totius Romanae ecclesiae i)apam constituit. Vgl. dagegen
vita Hrci. IV. c. 6 SS. XII, 276: dementem papam ad electionem omnium in-
stituit. — Ann. Yburg. 1084 SS. XVI, 438: Wicbertum Ravennae episcopum
electione cunctorum constituit.
^ Vgl. Panzer, Wido 44 f. Anm. 1.
« Landulfi hist. Mediol. c. 33 SS. VIII, 100.
' Sudendorf, Registrum II, 34 S. 70 f.
^ Beno de vita et gestis Hiltebrandi bei Goldast, Apologiae S. 1. Näheres
bei Panzer , Wido 45, Vgl. auch Beno S. 8 f . : Mentimur uisi tredecim cardi-
nales sapientiores et religiosiores, ipse archidiaconus et ipse primicerius et niulti
Von der Inthronisation bis zum Tode Gregors VII. 53
Gregor Abgefallenen auf, wobei er Hugo Candidus ausläfst, dagegen
„cuncti milites banda gestautes" aufführt, zwei Umstände, die sehr
für einen gemeinsamen Übertritt der Genannten im Frühjahr 1084
sprechen.
Nach Gregors Absetzung folgte Wiberts Wahl in der Weise,
wie sie vor dem lateranensischen Wahldekret von 1059 geübt worden
war, und wie man sie analog auch in Brixen vollzogen hatte (s. o.
S. 38 ff.). Heinrich gab als Patricius von Rom seine Stimme zu-
erst und entscheidend ab; was folgte, war eine Wahl durch clerus
und populus in aller Form, doch nur pro forma. Die Wahl von
Brixen wurde nicht einfach bestätigt, sondern man that, als ob sie
gar nicht vorhanden wäre, und veranstaltete eine vollständige Neu-
wahl, gegen die ein formaler Einwand nicht erhoben werden konnte.
Erklärlicherweise spricht Heinrich selber in dem Briefe an
Dietrich von Verdun ^ von dieser Neuwahl nicht, denn die Worte
[scias] . . et electum papam nostrum dementem in sede apostolica
sublimatum omnium Bomanorum acclamatione beziehen sich meines
Erachtens auf die Inthronisation.
Ganz sicher aber ist das Zeugnis Walrams von Naumburg-:
ergo cum misereretur Christus ovibus suis, quibus noluit Hildebrant
misereri, relictis eis, fugit in Traianium, quae scilicet munitio hac-
tenus inexpugnabilis dicta est, vulgo domus Theodorici. Tum qui-
dem Romana ecclesia elegit Wigberdum successorem illi fugitivo.
Diese Stelle bezieht sich zweifellos auf die Synode von 1084. Der-
selbe Schriftsteller ergänzt seine Aussage an zwei anderen Stellen,
die der obigen so analog sind, dafs sie hierher und nicht auf die
Brixener Synode bezogen werden müssen, womit sich die beachtens-
werte Thatsache ergiebt, dafs Walram von letzterer überhaupt
schweigt •^. An der einen Stelle * heifst es : Ergo quibus ex causis
et qua necessitate Wigberdus papa sit electus, supra iam diximus,
qui certe per eins, quae vere est Romana ecclesia, consensum et per
suffragium Henrich! regis eiusdemque Romani j)atritii est ordinatus ^.
alii Lateranensium clericorum, quorum iudicio ex privilegio sanctae sedis totus
subiacet mundus, apostasim eins intolerabilem perpendentes, ab eins communione
recesserunt,
1 Gesta Trev. SS. VIII, 185; Stumpf 2859.
2 Walram de unit. eccl. 2, 7 ed. Schwenkenbecher S. 51; vgl. 2, 17 S. 71.
^ Ewald, Walram von Naumburg S. 80, spricht sich nicht darüber aus, ob
er die beiden Stellen zu 1080 oder zu 1084 bezieht. Die Stelle 2, 6 führt Jafife-L.
I, 649 für 1080, Panzer, Wido 45 Anm. 1 für 1084 an.
'' Walram a. a. 0. 2, 21 S. 80.
^ Gleich darauf heifst es in demselben Kapitel : Nunc autem Romana ecclesia.
et patritius 'Romanorum consenserunt in Wigberti electione.
54 Yon der Inthronisation bis zum Tode Gregors VII.
Diese Stelle, welche ein klares Bild von dem Wahlvorgange giebt,
wird durch die andere nur scheinbar widersprechende bestätigt ^ :
Romana ecclesia .... elegit .... Wigberdum Ravennatis ecclesiae
ej^iscopum ad pastoralem curam Romani pontificatus, consentiente
pariter et agente rege Henriche eodemque patricio Romanae ec-
clesiae. Da ferner auch Benzo ^ , die vita Henrici IV. ^ und die
Annales Yburgenses * von einer Wahl in Rom sprechen, so leidet
die Neuwahl wohl keinen Zweifel ^
Darum ist nichts natürlicher, als dafs wir eine ganze Reihe
Nachrichten haben, die Wibert erst mit dem Jahre 1084 Papst
werden lassen, wobei sie seine Erhebung allein Heinrich zuschreiben.
So die Annales Einsidlenses ^, die Ottenburani ^, die Lütticher ^ und
die Gruppe der unteritalienischen Annalen ^ nebst den Annales Bene-
ventani ^^, zahlreiche andere, allgemeiner gehaltene Angaben, die ich
nicht citiere, die aber ganz dasselbe aussagen, namentlich alle die
Erhebung AViberts allein als Heinrichs Werk hinstellen.
Am Sonntage — dieser Tag war Regel ^^ — nach der vollzogenen
1 Walram a. a. 0. 2, 6 S. 49. Vgl. Zöp£fel, Die Papstwahlen, S. 97 u. 98.
2 Benzo 6, 6 SS. XI, 666: eligitur; 7 prol. S. 669: elevatur.
^ Vita Hrci. IV. c. 6 SS. XII, 276: dementem papam ad electionem om-
nium instituit.
* Ann. Yburg. 1084 SS. XVI , 438 : (Rex Hrc.) . . . Wicbertum Ravennae
episcopum electione cunctorum constituit (aus Ann, Patherbr. ed. Sche£fer-Boi-
chorst S. 99),
^ Allgemein drücken sich aus Ann. August. 1084 SS. III, 131 : Romani . . .
Wicpertum . . , receperunt. Vgl. auch die oben S. 52 f. aus Sudendorfs (Re-
gistrum beigebrachte Stelle.
^ Ann. Einsidl. 1084 SS. III, 146 : Wigbertum Ravennatem archiepiscopum . . .
subrogavit.
"^ Ann. Ottenbur. 1084 SS. V, 8: Wigbertus papa factus est et Clemens
nominatus.
^ Ann. Laubienses 1084 SS. IV, 21 : Heinricus rex . . . Cleinentem subrogat. —
Ann. Leod. 1083 SS. IV, 29 - Ann, S. Jacobi Leod. 1084 SS. XVI, 639: Vic-
bertus, qui et Clemens, papa sufficitur.
9 Ann. Cavenses 1083 SS. III, 190; Ann. Casin. 1082 SS. XIX, 306; Ann.
Ceccan. 1083 SS. XIX, 281 ; danach Petrus Casin. 3, 50 SS. VII, 739 : Heinricus
rex iterum Romam veniens porticum S. Petri per vim cepit et ex magna parte
destruxit. Archiepiscopum Ravennensem, invasorem apostolicae sedis, absque
consilio et voluntate totius Romanae ecclesiae papam constituit. Die chrono-
logische Differenz wird auf einem Irrtum beruhen; denn 1084 wird Wibert gar
nicht wieder erwähnt.
^^ Ann. ßenevent. 1084 SS. III, 182: Heinricus Imperator ordinavit de-
mentem papam Romae, qui erat archiepiscopus Ravennae, wollen wohl weiter
nichts sagen als die anderen. — Vgl. noch Will. Malmesb., Gesta regum Angl.
3, 262 u. 266 SS. X, 473 u, 475; Gesta pontif. Angl. 1, 49 SS. XIII, 136.
1^ S, Zöpffel, Papstwahlen 250.
Von der Inthronisation bis zum Tode Gregors VII. 55
Wahl, es war der Palmsonntag (24. März) ^, fand dann die feierliche
Inthronisation Wiberts statt, der den Namen Clemens III. ange-
nommen hatte, sicherlich, um damit an Clemens II., den ersten der
von Heinrich III. ernannten Päpste, und dadurch indirekt an die
Basis seiner Würde zu erinnern. Erst von diesem Tage ab rechnete
er die Jahre seines Pontifikats, und ebenso kommt erst von nun an
seine päpstliche Würde in seinen Urkunden zum Ausdruck.
Diese mufs man in zwei Gruppen scheiden: in solche, die er
als Erzbischof von Pavenna ausgestellt hat, und andere, die von ihm
als Inhaber des apostolischen Stuhles erlassen wurden.
Es ist mir keine erzbischöfliche Urkunde von ihm begegnet, in
der er je nach Gregors Pontifikat datiert hätte, auch nicht vor 1080.
Nach diesem Jahre verbot sich das ja von selbst;' aber bis 1084,
d. h. bis zu seiner Inthronisation, findet sich auch keine Hindeutung
auf seine eigene päpstliche Würde, nur dafs sich dreimal ein servus
servorum Dei zwischen den Namen Wibertus und den Titel archiepis-
copus Pavennae verirrt hat '-. Nach der Inthronisation wird in der
Datierung gewöhnlich ein temporibus domni Clementis pape vermerkt,
im Text aber handelt und verfügt dominus Gibertus archiepiscopus
oder wie er sich sonst bezeichnet, als ob er von Papst Clemens weit
verschieden wäre. Zwei Beispiele mögen genügen, eine Urkunde
vom 5. April 1088 2; Anno domin. ine. 1088 temporibus domni Cle-
mentis papae sedis eins anno 5. sicque imperante domno Henr. filio
qu. Henrici imp. anno 5. die 5. mensis Aprilis ind. 11. Rav. domino
sancto et meritis beatissimo atque apostolico patri patrum * domno
Yuiberto, sanctae cathol. Ravenn. eccl. archiepiscopo etc., und eine
zweite vom 22. September 1097^: In nomine patris et filii et Spiritus
sancti. Anno ab incarn. eins 1097 temporibus domni Clementis pape
et Inrici imperat. die 22. mensis Septembris ind. 6 in urbe Cesene
Dum sederet dominus Gibertus archiepiscopus sancte Pavennatis
ecclesie in claustro Cesenatis canonice etc.
1 Ekkeh. 1084 SS. VI, 205.
2 Am 8. Mai 1081 (Rubens, Hist. Eav. 307 f., Bertoldi, Mem. stör. d'Ar-
genta 1 , 181) , am 23. Januar 1084 (Fantuzzi , Mon. Rav. 1 , 395 No. 72 Reg.)
und ohne näheres Datum 1084 in einer Ravennatischen Angelegenheit, also vor
dem März (Fantuzzi a. a. 0. II, 383 No. 37 Reg.).
3 Jaffe-L. 5327.
* Dafs dies keine Bezeichnung für seine päpstliche Würde ist, beweist, dafs
er genau denselben Titel schon am 14. Mai 1074 führt; s. o. S. 26 Anm. 2.
^ Mittarelli, Ann. Camald. III, 56. Fantuzzi a. a. O. IV, 228. — Die Bei-
spiele lassen sich leicht vermehren : es steht z. B. ebenso mit Ja£fe-L. 5323, 5328,
5338 und den daselbst ohne Nummer ang-eführten Urkunden von 1090 u. 1098
bei Rubeus 314 und Amadesi II, 345 u. 346 ; ersterer hat diese Erscheinung be-
reits bemerkt und erwähnt.
56 Von der Inthronisation bis zum Tode Gregors VII.
Päpstliche Urkunden sind vor der Inthronisation nicht bekannt,
denn Jaffe-Löwenfeld 5319 kann kaum am 2. März 1084 erlassen
sein; nachher lautet die Formel, wie üblich: Clemens episcopus ser-
vus servorum Dei, nur ein einziges Mal anders ^ : Clemens ego III.
presul Homanus ^.
Darf man nun den feierlichen Akt des 24. März 1084, wie ich
oben (S. 55) gethan habe, als Inthronisation, mufs man ihn nicht
vielmehr als Konsekration bezeichnen? Von vornherein ist zu be-
achten: wer zum Papst gewählt wird und schon im Besitz der
Bischofsweihe ist, kann nicht noch einmal geweiht werden, es giebt
keine Papstweihe neben der Bischofsweihe ; in diesem Falle tritt an
die Stelle der Konsekration eine einfache Benediktion, die ganz
Nebensache ist. Fehlt dem Neugewählten aber noch die höchste
Weihe, so hat er sie noch zu empfangen. Inthronisation indessen
findet in jedem Falle statt ^. Gregor VII. z. B., bis zu seiner Wahl
Kardinal-Archidiakon, wurde am 22. April 1073 inthronisiert, am
29. Juni konsekriert *. Ein anderes noch schicke ich voraus: es war
im 11. Jahrhundert noch eine durchaus neue Erscheinung, dafs ein
Papst der Konsekration nicht bedurfte. Denn von 891 bis 1012
wurden nur 6 Bischöfe zu Päpsten gewählt '^; erst die von Heinrich III.
ernannten waren alle Bischöfe, dann auch ihre Nachfolger aufser
Stephan IX. und Gregor VII. Wenn Fernerstehende dadurch sollten
in Verwirrung geraten sein, so wäre das nicht zu verwundern, um
so weniger, als Konsekration und Inthronisation in dieser Reihen-
folge in der Regel (wenn auch nicht immer) an einem und demselben
Tage gleich nacheinander vorgenommen wurden ^.
1 Jaffe-L. 5326.
2 Urkunden anderer aus den Jahren 1080 — 1084 mit einer Beziehung auf
"Wiberts Pontifikat habe ich nur eine gefunden, deren Datierung aber fehlerhaft
ist. Sie wird erwähnt bei Rubeus, Hist. Rav. 309 und ist gedruckt bei Ama-
desi, Antist. llav. II, 347, App. No. 80. Aussteller ist Abt Gerhard zu Imola,
dessen Bischof Suffragan von Ravenna ist. Der Eingang lautet: Annus ine.
Jesu Christi... 1084 (?) Giberto archiepiscopo papa electo anno 3. Inricus
Inrici iilius in Italia regnante annis tribus gratia Dei regi die 16. mensis Maii
(so im Druck bei Amadesi ; bei Rubeus : XVI Kai. Apr.) ind. 7 in domo S. Ma-
riae in Regula in civitate Corneliensi.
^ So Hinschius, Kirchenrecht I, 291. Sehr entschieden äufsert sich in diesem
Sinne auch Martens, Besetzung des päpstlichen Stuhls 41 ff., wo er einen guten
Überblick über diese Frage giebt; während Zöpfifel in der 3. Abteilung seiner
Papstwahlen (S. 233 ff'.) Inthronisation und Konsekration für jeden Papst in
Anspruch nimmt. S. daselbst u. a. S. 239 Anm. 12, wo die schon von einer
anderen Seite ausgesprochene Martenssche Ansicht scharf zurückgewiesen wird.
* Jafi'e-L. I, 598, 599. ^ Vgl. Martens a. a. 0. 42.
« Zöpff'el, Papstwahlen 243 ff", u. 257.
Von der Inthronisation bis zum Tode Gregors VII. 57
Da nun Wibert als Erzbischof von Ravenna im Besitz der
höchsten Weihe war, so wäre a priori anzunehmen, dafs er am
24. März 1084 lediglich inthronisiert worden sei. Wir haben nach
dieser Richtung indes noch eine Prüfung der Quellen vorzunehmen.
Bonizo schreibt ^ : Heinricus ... ad dedecus et infamiam totius
ecclesiae Guibertum in sede sancti Petri ordinäre constituit. Et
cum non haberet episcopos cardinales sacerdotes sanctae Romanae
ecclesiae, nee levitas, nee comprovinciales episcopos, quibus mos est
papam intronizare, a Mutinensi episcopo et a Bononiensi et a
Cerviensi in sede beati Petri intronizatus est. Er redet also
nur von Inthronisation, auf die er auch den Ausdruck ordinäre an-
wendet. Lediglich von intronizatio berichten Ekkehard ^, Sigebert^
und Deusdedit^; ferner diejenigen Quellen, welche den vorgenom-
menen Akt als collocatio in sede Petri bezeichnen, denn nichts
anderes ist er, also Marianus Scottus^, Hugo von Flavigny <^ und
Donizo "'. Der Ausdruck , den Heinrich IV. in seinem Briefe an
Dietrich von Yerdun braucht ^, ist ziemlich indifferent, spricht aber
zunächst nur für eine collocatio in sede Petri, es heifst : [scias] . . .
et electum papam nostrum dementem in sede apostolica subli-
matum omnium Romanorum acclamatione.
Bernold ^ verlegt den Akt, um den es sich handelt, irrtümlich
1 Bonizo 679.
2 Ekkeh. 1084 SS. VI, 205: Qui (AVib.) sequenti dominica per multos pon-
tifices apostolico nomini dicatus nomenque Clemens accipiens, reverenter est
intronizatu s.
^ Sigeb. 1084 SS. VI, 364: Guicbertus Ravennarum archiepiscopus in sedem
apostolicam intronizatus Clemens nominatur.
^ Deusdedit c. invas. 2, 11 bei Mai, Nova patr. bibl. VII, 3, 93: Et tandem
suo Simone magis pretio quam vi inthronizato, ab eodem imperialem co-
ronam accepit. [Nach ihm Petrus Casin. 3, 70 SS. VII, 751].
^ Marianus Scottus cont, II, 1083 (wie Gregors Tod 1084 statt 1085 um
ein Jahr verschoben) SS. V, 563: Heinricus... Wicbertum in sede aposto-
lica constituit [wenn dies nicht nur heifsen soll: machte zum Papst].
^ Hugo Flav. 1084 SS. VIII, 461: Heinricus suum papam in ecclesia
sancti Petri sedere constituit. [Nach ihm Hugo Flor, de mod. Franc,
regibus SS. IX, 392 zu 1084: (Hrc.) Ravennorum archipresulem ordinari pre-
cepit et in ecclesia sancti Petri sedere constituit, et eum dementem
appellari fecit.]
' Donizo 2, 216 f. SS. XII, 384:
.... papam statuens ibi turpem.
In cathedra locat hunc (sc. Wib.), falso Clemens vocitatur.
Cfr. 2, 228 ff. SS. XII, 384.
8 Gesta Trev. SS. VIII, 185; Stumpf 2859. ^ SS. V, 438.
58 Yon der Inthronisation bis zum Tode Gregors VII.
in das Jahr 1083 \ Zu diesem Jahre berichtet er nämlich: (Sicque)
Guibertum Ravennatem . . . apud Sanctum Petrum i n t r o n i z a v i t.
Anläfslich der Kaiserkrönung Heinrichs kommt er zum Jahre 1084 ^
auf Wibert zurück, dessen Person und Handlungen er seinem Stand-
punkt angemessen ziemlich abfällig beurteilt, dabei den schon öfter
genannten Brief Gebhards von Salzburg an Hermann von Metz aus
dem Jahre 1084 benutzend ^. Er sagt ausdrücklich: Hie (sc. Wib.) . . .
sedem Romani pontificis . . . praeterito anno invasit, und ändert dieser
Ansicht entsprechend eine Stelle des Briefes. Während Gebhard
gesagt hatte : (Wib.) in Romana synodo inrecuperabiliter depositus
et anathematizatus est ab apostolica sede et ab episcopis totius
ecclesiae; nee hoc semel in una synodo, sed in omnibus synodis, quot-
quot iam septennio Romae celebratae sunt, schreibt Bernold im
übrigen fast wörtlich so, zum Schlüsse aber : quotquot iam s e x e n -
nio Romae celebratae sunt.
Nun werden in der Einleitung Hugos von Flavigny zum Briefe
Gebhards auf den in Frage stehenden Akt nacheinander die Aus-
drücke promotio, intronizatio, execratio bezw. consecratio, ordinatio
angewendet. In bunter Folge kehren dieselben Bezeichnungen (nur
noch vermehrt um das Wort benedictio) in Gebhards Brief und an
beiden Stellen Bernolds wieder. Man darf daraus nicht entnehmen,
dafs etwa intronizatio und consecratio identisch seien; es liegt viel-
mehr Lässigkeit im Ausdruck vor. Da gewöhnlich beide Akte er-
forderlich waren und auf denselben Tag fielen, war man gewohnt,
die Worte intronizatio, consecratio, ordinatio promiscue zu ge-
brauchen; promotio ist einfach gleich intronizatio. Jedenfalls —
soviel glaube ich behaupten zu dürfen — widersprechen diese Stellen
dem nicht, dafs lediglich eine Inthronisation stattgefunden hat. In
derselben Weise sind auch zu erklären die Nachrichten der Annales
Augustani 1084^ : Romani . . . Wicpertum superpositum receperunt
et 0 r d i n a V e r u n t , Ciementis nomine imposito, der Annales Ybur-
genses 1084^: Qui mox consecratus, Clemens est nominatus und
Landulfs ^: electum (sc. Wib.) . . . summa cum devotione consecra-
^ Panzer, Wido 51 f. sieht darin eine beabsichtigte Verdrehung der That-
sachen; ich kann aber nicht finden, wie die Inthronisation illegaler erscheint
oder damals erschienen wäre, wenn sie 1083, als wenn sie 1084 erzählt wird;
es ist ein chronologischer Irrtum, nichts weiter.
2 SS. V, 440.
^ Bei Hugo Flav., SS. VIII, 459 und im cod. üdalr. 69 bei Jaffe, ßibl.
V, 141.
^ SS. III, 131. " SS. XVI, 438.
« Landulfi hist. Mediol. 3, 32 SS. VIII, 99.
Von der Inthronisation bis zum Tode Gregors VII. 59
runt. Schliefslicli ist noch Benzo zu erwähnen \, der an den beiden
einschlägigen Stellen das Wort benedicere braucht. Dadurch wird
die Annahme, dafs nur Inthronisation mit einfacher Benediktion vor-
genommen wurde, in bedeutsamer Weise gestützt; ich halte sie nun-
mehr für erwiesen.
Dieser ganzen Argumentation scheint aber eine Nachricht der
Annales Augustani 1083 zu widersprechen, welche lautet-: Saltem
rex Romam ingressus, cum omni humilitate et devotione apostolorum
limina petens, Wicpertum dudum superpositum in vigilia apostolorum
(28. Juni) in sede apostolica constituit ^. Derselbe Annalist berichtet,
wie eben mitgeteilt, zu 1084*: Bomani . . . Wicpertum superpositum
receperunt, et ordinaverunt, Clementis nomine imposito. Danach
könnte es scheinen, dafs am 28. Juni 1083 eine Inthronisation, am
24. März 1084 eine Konsekration Wiberts stattgefunden habe. Denn
in sede apostolica constituit wird von den Chronisten des 11. und
12. Jahrhunderts, freilich nicht häufig, für in cathedra beati Petri
collocavit oder dergleichen gesagt ^. So fafste denn auch Giese-
brecht ^ den Bericht auf. Ihm meinte Löwenfeld '^ sich nicht an-
schliefsen zu können und dachte seinerseits an die introductio in
Lateranense patriarchium und die collocatio in sede post altare, über
die Zöpfiel^ ausführlich redet. Diese Annahme verbietet sich darum,
weil Heinrich im Jahre 1083 nur in den Besitz der Leostadt mit
der Peterskirche, nicht einmal in den von Trastevere, geschweige in
den der Stadt Bom links des Tiber gelangte; da in letzterem Teile
der Lateran gelegen ist, so konnte Wibert dort nicht introduziert
werden ^. Freilich kann auch ich mich mit Giesebrecht nicht ein-
verstanden erklären, denn an Inthronisation und Weihe ist bei Wibert
^ Condempnato incubone, Ravennas eligitur
Orthodoxus, qui de regum traduce producitur,
Cesare precipiente papa benedicitur.
So Benzo 6, 6 SS. XI, 666. Derselbe 7 prol. SS. XI, 669: Remoto itaque noctis
filio, elevatur Ravennas filius lucis in Petri domicilio. Quem rex benedici pre-
cipiens, irnposuit ei nomen Clemens.
2 SS. III, 130.
^ Ann. Ratispon. 1083 SS. XVII, 584 : Heinricus . . . constituit in apostolica
sede... G-uibertum unterstützen diese Nachricht schwerlich; ebensowenig' die
oben (S. 54 Anm. 9) citierte unteritalienische Annalengruppe. Beide berichten
die Thatsache eben nur einmal, und es liegt näher, einen Irrtum im Jahr an-
zunehmen.
* SS. III, 131. 5 Zöpffel, Papstwahlen 248 f. « III, 548 u. 1161.
^ Jaffe-L. I, 650. « Papstwahlen 219 ff.
^ Giesebrecht III, 548. • Darüber ist ein Zweifel nicht möglich; vgl. z. B.
Ann. Cav. 1083 SS. III, 190. Bernold 1083 SS. V, 438 u. a.
60 Von der Inthronisation bis zum Tode Gregors VII.
nicht zu denken ; auch Panzer ^ kann ich mich nicht anschliefsen,
der (S. 46) "Wibert am 24. März 1084 fälschlich inthronisiert und
geweiht werden läfst und (S. 51) die Angabe der Augsburger An-
nalen zu 1083 für durchaus ungenau erklärt und verwirft. Martens ^
endlich meint, da der Verfasser der Annalen zum Jahre 1084 die
Ordination Wiberts richtig notiert habe, so könne er bei dem Passus
in 1083 unmöglich an die eigentliche locatio in sede Petri gedacht
haben. Er versucht (S. 215) so zu erklären: Der Annalist habe sich
mifsverständlich ausgedrückt, Heinrich habe ja die Peterskirche
erobert und damit erreicht, dafs Wibert in St. Peter kirchliche
Funktionen vornehmen konnte. Das habe der Annalist sehr unge-
eignet mit constituere in sede apostolica bezeichnet.
Man könnte an eine kihiigliche Inthronisation zu denken geneigt
sein, die dann nachher wie der Tag von Brixen totgeschwiegen
worden sei. Aber gerade in dieser Zeit eine solche anzunehmen,
halte ich für wenig geraten, da Heinrich in Verhandlungen mit den
Römern begriffen war und ja daran dachte, Wibert fallen zu lassen.
Auch war der 28. Juni ein Mittwoch, der 29. dagegen ein hoher
Festtag ; warum wurde dann die strenge Vorschrift ^, dafs die In-
thronisation an einem Sonntage oder hohen Festtage zu erfolgen habe,
nicht beachtet, da man doch nur einen Tag hätte zu warten brauchen ?
Und so neige auch ich mich dahin, einen sehr unglücklichen Aus-
druck des Annalisten anzunehmen, der sich wohl nicht bewufst war,
wie leicht seine Worte mifsdeutet werden konnten. Es soll wohl
nur gesagt sein, dafs an dem so hohen kirchlichen Festtage St. Peter
und Paul die gottesdienstlichen Funktionen, die ja schon am Vor-
abend beginnen, von Wibert in St. Peter verrichtet werden konnten.
Ein Punkt ist noch zu erörtern, ehe wir die Besprechung
der Inthronisation abschliefsen können. Nach Gebhard von Salz-
burg stand es den Kardinalbischöfen von Ostia, Albano und Porto
zu, bei der Inthronisation zu assistieren; diese aber gehörten
nicht zu Heinrichs Partei. Deshalb liefs er andere eintreten, nach
den einen ^ die Bischöfe vcm Modena und Arezzo, die beide seit
3 Jahren ^ exkommuniziert waren, nach den anderen ^' die Bischöfe
^ Panzer, Wido 46 u. 51 ; vgl. noch Buchholz, Ekkehard 86.
^ Martens, Besetzung des päpstlichen Stuhls 214 f.
^ Zöpffel, Papstwahlen 250.
* Bern. 1083 SS. V, 438; 1084 SS. V, 480 nach dem Briefe Gebhards von
Salzburg an Hermann von Metz bei Hugo Flav. SS. VIII, 459 und im cod.
Udalr. 69 bei Jaffe, Bibl. V, 141.
^ Nach dem Briefe Gebhards von 1084 ; es konnte im Februar 1081 geschehen
sein, s. Reg. 8, 20 a bei Jaffe, Bibl. II, 452.
« Bonizo 679.
Von der Inthronisation bis zum Tode Gregors VII. 61
von Modena, Bologna und Cervia, also drei Suffragane Wiberts.
Indes waren nach Bernold ^ noch reliqui excommunicati oder reli-
qui heretici, nach Ekkehard - multi pontifices bei der Inthronisation
beteiligt. Fragt man, ob Gebhard-Bernold oder Bonizo zu glauben
sei, so wird ein non liquet die Antwort sein müssen ; ich halte eine
Entscheidung, mag sie nach der einen oder der anderen Seite fallen,
für ganz willkürlich ^. Übrigens machte diese Inthronisation durch
Exkommunizierte in den Augen der Gegner den Akt natürlich un-
gültig.
Der feierlichen Inthronisation Wiberts folgte die Kaiserkrönung
Heinrichs auf dem Fufse. Nach 8 Tagen, am Ostersonntag, den
31. März 1084, erreichte der König endHch sein lange ersehntes
Ziel: Papst Clemens III. setzte ihm und seiner Gemahlin Bertha
die Kaiserkrone aufs Haupt *. Dies Ereignis ist natürlich fast in
allen gleichzeitigen Quellen berichtet, ein Verzeichnis der hervor-
ragendsten nur gebe ich in der Anmerkung ^, während ich eine
ganze Beihe unwichtigerer und allgemeinerer Angaben übergehe. Nach
der Krönung bezogen Heinrich und Wibert den Lateran und weilten
dort einige Zeit ^.
Nicht lange erfreuten sie sich ungestört ihres Besitzes ^. Der
bedrängte Gregor hatte endlich an Bobert Guiscard Hülfe gefunden.
Der streitbare Normannenherzog, der die Gefahr für sich selber
gröfser werden sah, rückte im Mai heran. Heinrich, der sich ihm
nicht gewachsen fühlte, zog am 21. Mai ab, die Stadt Bom ihrem
1 Bern. 1084 a. a. 0. ^ Ekkeh. 1084 SS. VI, 205.
^ Giesebrecht III, 558 und 1163 folgt Gebhard-Bernold, Panzer, Wido 46
lieber Bonizo. Letzterem würde ich mich anschliefsen , wenn ich eine Ent-
scheidung treffen müfste.
* Dafs die Römer Heinrich bei der Gelegenheit auch noch zum Patricius
gemacht hätten, behaupten Sigeb. 1084 SS. VI, 365 und die vita Hrci. IV. c. 6
SS. XII, 276. Diese Würde besass er aber schon seit der Versammlung von
Basel im Oktober 1061 (Berth. 1061 SS. V, 271; Bern. 1061 SS. V, 428; Giese-
brecht III, 74).
^ Das vornehmste ist Heinrichs Brief an Dietrich von Verdun : Gesta Trever.
SS. VIII, 185; Stumpf 2859. Dann Ekkeh. 1084 SS. VI, 205. AVeiterhin:
Ann. August. 1084 SS. III, 131; Ann. Einsidl. 1084 SS. III, 146; Ann. Moso-
magenses 1084 SS. III, 162; Ann. Laub. 1084 SS. IV, 21; Ann. Leod. 1083
SS. IV, 29 und Ann. S. Jacobi Leod. 1084 SS. XVI, 639; Ann. Ottenbur. 1084
SS. V, 8; Ann. S. Eucharii Trev. 1084 SS. V, 10; Bern. 1084 SS. V, 440;
Sigeb. 1084 SS. VI, 365; Hugo Flav. SS. VIII, 460; Vita Hrci. IV. c. 6 SS.
XII, 276; Ann. Yburg. 1084 SS. XVI, 438; Walram de unit. eccl. 2, 7 ed.
Schwenkenbecher S. 51; Bon. 679; Schrift de papatu bei Schefier-Boichorst,
Neuordnung der Papstwahl 140 ; Deusdedit c. invas. 2, 11 bei Mai, Nova patrum
bibl. VII, 3, 93, danach Petrus Casin. 3, 70 SS. VII, 751.
« Bern. 1084 SS. V, 440. Bon. 679. ' Vgl. Giesebrecht III, 559 ft".
62 Voll der Inthronisation bis zum Tode Gregors VII.
Schicksal überlassend. Das war furchtbar genug, denn die dem
Einzüge der Normannen (28. Mai) folgenden Tage sind durch schreck-
liche Greuel bezeichnet. Die Römer fafsten einen tiefen Groll, in
erster Linie gegen Gregor, dann aber auch gegen Heinrich, der
seinen Rückweg unbeirrt fortsetzte. Die Folgen sollten sich später
zeigen.
Wibert zog mit Heinrich ab und begleitete ihn eine Strecke,
trennte sich aber schon in den nächsten Tagen von ihm und begab
sich nach Tivoli ^, von wo aus er ja schon im Sommer 1082 Rom
belästigt hatte -.
Etwa Ende Juni verliefs auch Robert Guiscard Rom wieder
und nahm Gregor mit sich, zog aber zuerst vor Tivoli, um es zu
berennen und, wenn möglich, mit der Stadt auch den Gegenpapst in
seine Gewalt zu bekommen. Wiberts Geschick hing an einem Faden.
Robert verwüstete die Umgegend schwer, konnte aber Tivoli nicht
erobern, da die Stadt auf ihre starke Besatzung vertraute, die offen-
bar aus einem von Heinrich zurückgelassenen Teil des kaiserlichen
Heeres bestand. Unverrichteter Dinge zog Robert Guiscard weiter '\
War nun die Stimmung der Römer ebensowohl Heinrich un-
günstig, da auch er an ihrem Unglück schuld war, so waren sie ihm
gegenüber doch milder gesinnt, als gegen Gregor. Das erleichterte
Wiberts Rückkehr, die wohl nicht lange auf sich warten Hefs; seine
Anwesenheit in Rom ist noch für Weihnachten 1084 ausdrücklich
bezeugt ^, dehnte sich also sehr aus.
Der gestürzte Gregor blieb unversöhnlich ; ohnmächtig, wie er
war, versammelte er doch eine Synode seiner Anhänger, unter denen
namentlich die Kardinalbischöfe waren, in seinem Exil Salerno und
konnte sich nicht versagen, noch einmal das Anathem gegen Hein-
1 Bonizo 680. Hugo Flav. SS. VIII, 463 (Brief der Gräfin Mathilde) (da-
nach Hugo Flor, de mod. Franc, reg. SS. IX, 392), cfr. Will. Malmesb., Gesta
regum Angl. 3, 262 SS. X, 473.
2 Stumpf gibt in den Regesten zu No. 2858 (24. Mai 1084 in Eorgo San Va-
lentano) an: „praesente Heinrico (imp. cum pont. demente)", offenbar nach
Mabillon, Ann. S. Benedicti V, 200. Die von ihm selber in den Acta imp.
No. 320 gedruckte Urkunde zeigt aber, dafs die Annahme der Anwesenheit
Wiberts auf einem Irrtum beruht. Die Urkunde ist nur nach dem 1. Pontifi-
katsjahre Clemens' III. datiert.
■■^ Wido Ferr. 1, 20 SS. XII, 166. Giesebrecht III, 563 u. 1164. Lehmann-
Danzig, Das Buch Widos von Ferrara 89 möchte diesen Bericht Widos ver-
werfen, wozu kein Grund vorhanden ist.
^ Ann. Saxo 1085 SS. VI, 721. cfr. AVill. Malmesb., Gesta regum Angl.
3, 262 SS. X, 474: nachdem er Heinrichs und Wiberts Abzug erzählt hat, fährt
er fort : vacua ab obsessoribus Roma legitimum praesulem accepit, sed nou multo
post eadem violentia qua prius amisit.
Von der Inthronisation bis zum Tode Gregors VII. 63
rieh, Wibert und deren Anhänger zu schleudern. Dies geschah etwa
im Oktober 1084. Um seine Sentenz wirksamer zu verbreiten, sandte
er nach Frankreich den Kardinalbischof Petrus von Albano, nach
Deutschland den Kardinalbischof Otto von Ostia ^ Dieser, ein höchst
energischer Mann, that sein möglichstes, um Wibert zu schaden und
dessen Anhänger abtrünnig zu machen. In der Woche nach Ostern
(20. April) 1085 hielt er in Quedlinburg eine grofse Synode der päpst-
lichen Partei ^, der auch der Gegenkönig Hermann von Luxemburg
anwohnte. Am Schlüsse derselben erging eine ganze Reihe von Ana-
themen gegen Anhänger der kaiserlichen Partei in der Geistlich-
keit, an der Spitze gegen Wibert ^. Otto dachte wohl, ein Anathem
wirke da, wo es ausgesprochen werde, und in den umgebenden Landen
unmittelbarer; Wibert war in Deutschland noch nie gebannt worden,
stets in Italien, wovon man immer nur aus der Ferne gehört hatte.
Dies Versäumnis suchte Otto jetzt gutzumachen, erzielte aber keine
Wirkung ; die Gegensätze waren schon zu tief eingewurzelt, als dafs
ein Anathem noch jemand hätte erschrecken oder von seiner Partei
abziehen können.
Kaum fünf Wochen darauf, am 25. Mai 1085, verschied dazu sein
Auftraggeber, Gregor VII., in Salerno ^. Bis zum letzten Augen-
blicke wahrte er seinen Standpunkt gegenüber den Gegnern. Seinen
Kardinälen und Bischöfen erklärte er etwa 8 Tage vor seinem Tode
ausdrücklich, er absolviere Heinrich und Wibert nicht, ebensowenig
wie diejenigen, die deren Bestrebungen in hervorragender Weise
unterstützt hätten ; er verpflichtete sogar die Kardinäle durch Hand-
schlag, diese Absolution ihrerseits eventuell nur dann zu erteilen,
wenn sowohl Heinrich wie AVibert sich demütigten und zuvor ihre
Würden niedergelegt hätten ^.
1 Bern. 1084 SS. V, 441. Ja£fe-L. I, 646. Giesebrecht III, 568 u. 1164.
Vgl. Stern, Zur Biographie des Papstes Urban II. S. 23 ff.
^ Vgl. Griesebrecht III, 608 f. u. 1169. Böhmer- Will, Regesta archiepisco-
porum Maguntinensium I, 219 f.
3 Bern. 1085 SS. V, 443. ^ Vgl. Giesebrecht III, 573 u. 1165.
^ Brief Urbans II. im cod. Udalr. 71 bei Jaffe, Bibl. V, 143 und bei Hugo
Flav. SS. VIII, 466. Vgl. dazu Hugo Flav. a. a. 0. und Paulus ßernried. c.
110 bei Watterich I, 539. — Im übrigen s. Giesebrecht III, 1165, der über die
verschiedenen an Gregors Tod sich heftenden Erzählungen bereits das Genügende
gesagt hat.
64 Vom Tode Gregors VII. bis zum Tode A^iktors III.
Siebentes Kapitel.
Youi Tode Grregors YII. bis zum Totle Viktors III.
Der Tod des Hauptes der Gegner soll im Lager Wiberts grofse
Freude erregt haben, waren doch die Aussichten, die sich eröffneten,
unberechenbare! Aber sehr merkwürdig ist es, dafs Wibert trotzdem
im Sommer 1085 von denßömern genötigt wurde, aus Rom zu weichen
und nach Ravenna zurückzukehren ^. Und noch merkwürdiger ist die
Thatsache, dafs, obwohl die gegnerische Partei ein volles Jahr ohne
Haupt und völlig zerfahren war, AVibert die ganze Zeit nicht be-
nutzte, um sich wieder in den Besitz Roms zu setzen, und dafs über-
haupt alle Aussichten, die beim Tode Gregors für ihn vorhanden
schienen, in nichts zerrannen.
Über die Gründe dieser Erscheinung können wir so klar nicht
sehen, wie es erwünscht wäre. Gewifs ist einer derselben Mathildes
seit dem Tage von Sorbaria (2. Juli 1084) langsam, aber stetig
wachsende Macht in Nord- und Mittelitalien. Ein anderer aber ist
erst neuerdings herausgestellt und beleuchtet worden : herrschte auch
in der Partei AViberts nicht diejenige Zerfahrenheit wie in der gre-
gorianischen, so war doch nicht die wünschenswerte Einigkeit vor-
handen. Dieses Resultat verdanken wir Panzers Arbeit über das
Buch Widos von Ferrara -. Mit dem Ergebnis, welches er S. 22
über die Datierung des Traktates aufstellt, mufs ich mich nach
wiederholter Prüfung durchaus einverstanden erklären : Wido hat
seine Schrift mit Benutzung einer zwischen V^^ibert und Anselm von
Lucca gepflogenen Korrespondenz zwischen dem 15. März und dem
24. Mai 1086 verfafst =1
1 Bern. 1085 .SS. V, 444. Auch vita Hrei. IV, c. 7 SS. XII, 276 ist wohl
hierher zu ziehen; nachdem bemerkt worden ist, dafs Heinrich nach Deutsch-
land zurückgekehrt sei, heilst es hier weiter: Sed nuUa fortuna longa est; nam
hi quos imperator Homae praesidium imposuerat, aegritudine correi^ti, quam et
locus et tempus intulerat — erat enim aestas — ne uno quidem superstite
mortui sunt. (Irrtum, bezieht sich jedenfalls auf Udalrich von Godesheim und
dessen 300 Kitter, die Heinrich im Sommer 1083 in der Leostadt zurückliefs.
und die in der That fast alle starben; s. auch Buchholz, Ekkehard 80.) Tunc
Roma iugo praesidii sublato, comjDos arbitrii sui facta, ad ingenium rediit, et
resumptis adversus imperatorem armis, jduIso ajDOstolico alium constituit;
nam ille prior Gregorius a vita decesserat. S. GiesebrechU III, 586.
2 Erschien Leipzig 1880.
^ Auch Bernheim, Gott, gelehrte Anz. 1881 S. 1520 und Friedensburg.
Histor. Zeitschrift XL VII, 496 haben Panzers Aufstellungen fast ohne Ein-
schränkung zugestimmt, während Löwenfeld in den Papstregesten I, 650 u. 652
sich ablehnender verhält. Gegen ihn richtet sich eine Bemerkung Panzers in
Vom Tode Gregors VII. bis zum Tode Viktors III. 65
Als Wibert Rom hatte verlassen müssen und, wie es scheint,
zunächst nicht daran denken konnte, es wieder zu nehmen, als er
sich sonach sagen mufste, dafs seine Lage schon jetzt, wo es der
Gegenpartei an Geschlossenheit und Kraft so sehr mangelte, wenig
hoffnungsvoll sich anlasse, dafs sie sich nur noch verschlechtern
könne, wenn die Aussichten der Gegner sich auch nur um weniges
besserten — da schrieb Anselm von Lucca, Mathildens Berater, an
ihn und suchte für einen neuen Papst dadurch freie Bahn zu schaffen,
dafs er nach dem Tode des einen dem Konkurrenten riet, freiwillig
zurückzutreten ^ Wibert indes ging auf diesen Vorschlag nicht
entfernt ein, der wohl auch weniger auf seine Person als darauf be-
rechnet war, Uneinigkeit unter seinen Anhängern, den entschiede-
neren und den schwächeren, hervorzurufen ; er antwortete ausführlich
und legte dar, wie er die Dinge ansehe. Seinen uns nicht erhaltenen
Brief hat Panzer (S. 57 — 63) mit Glück zu rekonstruieren versucht,
er hat, soweit er eben wiederherstellbar ist, im wesentlichen folgen-
den Inhalt.
Wibert weist zunächst darauf hin, dafs ein grofser Mangel
bei Hildebrands Wahl darin bestehe, dafs sie stattgefunden habe
absque consensu et opera christiani principis Heinrici scilicet im-
peratoris et successorum eins ; wer aber ohne diesen Konsens nach
dem Pontifikat strebe, sei zufolge dem Dekret Nikolaus' II. auf
immer dem Anathem verfallen -; dieses Dekret habe er mit eigenen
Augen zu Rom gesehen und gelesen.
Wenn Gregor aber auch rechtmäfsiger Papst gewesen wäre, so
habe er sich doch selber verdammt , denn er sei von Jugend auf
kriegerischem Wesen zugethan gewesen und habe sich mit Mord,
Tempelraub und Meineid befleckt. Durch viele Citate aus Kirchen-
schriftstellern erweist Wibert, dafs der Geistliche mit den Waffen
nichts zu thun haben dürfe, und entwirft eine beredte Schilderung
der Kriege und der mit ihnen verbundenen Greuel, welche entgegen
den Satzungen der Kirche Hildebrand hervorgerufen habe. Nicht
seinem Aufsatz „Papst wähl und Laieninvestitur zur Zeit Papst Nikolaus' II.",
Separatabdruck aus dem Histor. Taschenbuch 1885 S. 16 Anm. 3, auf die Löwen-
feld RP. II, 713 geantwortet hat. — Die Benutzung des erhaltenen Briefes An-
selms ist zweifellos, die der anderen Stücke der Korrespondenz hat Panzer im
höchsten Grade wahrscheinlich gemacht. Ich kann mich sonach im wesentlichen,
da ich nur Wiederholungen zu bieten hätte , darauf beschränken, Panzers Re-
sultate für meine Zwecke zu verwerten, und verweise für das Nähere auf dessen
Schrift.
' Vgl. Panzer, Wido 4 u. 48 ff.
■^ Wibert beruft sich auf die kaiserliche Fassung des Dekrets; s. Scheffer-
Boichorst, Neuordnung der Papstwahl 95 f.
Köhncke, Wibert v. E. 5
66 Vom Tode Gregors VII. bis zum Tode Viktors III.
den Krieg hätte er gegen diejenigen heraufbeschwören sollen, welche
nach seiner Meinung Übelthäter waren, satis erat, si more decessorum
suorum et secundum normam apostolicae institutionis sacrique aeuan-
gelii peccantes argueret, si secretius conveniret, causam ad medium
duceret, si nee sie correctos sicut ethnicos et publicanos haberet.
In allen Zeiten unerhört sei es, dafs Herzog Rudolf, seinen Eid
brechend, das Reich seines Herrn einzunehmen getrachtet habe.
Und wenn Hildebrand zu nichts anderem als hierzu seine Hand ge-
boten hätte, so genügte dies, ihn zu verurteilen. Denn hätte er
nicht dahinter gestanden, so wäre es nicht geschehen. Des Tempel-
raubes habe sich Hildebrand schuldig gemacht, weil er Rudolf mit
Geld unterstützt habe , das eigentlich der Kirche gehörte. Weil
endlich die Lösung der Unterthanen Heinrichs von ihrem Eide den
göttlichen Gesetzen widerspreche, habe sich Hildebrand in den Mein-
eid jener verstrickt und sei selber des Meineids schuldig.
Weiter war von der Investitur die Rede, die für den Kaiser in
Anspruch genommen wird; dann von Anselms Stellung zur Gräfin
Mathilde, die er doch nicht länger hintergehen, täuschen und be-
trügen solle; auch wird ihm der Vorwurf gemacht, er verabscheue
die Sakramente; von Interesse ist endlich eine Aufserung W^iberts ^,
die auch sonst bestätigt wird-: qui universalis ecclesiae curam
susci(e)pimus licet inviti.
Der Brief zeigt, dafs Wibert beweisen wollte, er sei Papst ge-
worden, als Hildebrand sich selbst seiner Würde schon verlustig
gemacht habe, und daher vollständig rechtmäfsig zu seiner Stellung
gelangt. Dem zu entgegnen, hielt Anselm einen zweiten Brief für
nötig, der ganz erhalten ist und eine schärfere Sprache führt '\
Nach wenigen einleitenden Bemerkungen wendet sich Anselm
gleich zu der Behauptung Wiberts : als er, Wibert, den päpstlichen
Stuhl bestiegen habe, sei dieser frei gewesen, denn Gregor habe sich
seiner unwürdig gemacht. Dem gegenüber stellt Anselm den Satz
hin, Wibert habe gar kein Recht, davon zu reden, dafs er die Lei-
tung der ganzen Kirche übernommen habe. Apostolica enim et
universalis ecclesia suum habebat pastorem. Die wahre Kirche habe
mit Wibert nichts zu schaffen. Dies gilt Anselm für ausgemacht,
der Beweis, den er noch dafür zu erbringen sucht, ist für ihn eigentlich
überflüssig, denn er sagt (Canisius 205) : Sicut enim iam dictum est,
' Panzer 63, vgl. SS. XII, 3 u. 5.
2 Cfr. Ekkeh. 1100 SS. VI, 219; Petrus Casin. 3, 50 SS. Vll, 741. Biicli-
holz, Ekkehard 135.
^ Gredruckt bei Canisius, Antiquae lectiones VI, 202, nova editio III, 369.
Im Auszuge SS. XII, 3 — 5.
Vom .Tode Gregors VII. bis zum Tode Viktors III. 67
si Gregorius in ecclesia fuit, qui apud te etiam constitit et
iudex a nullo condemnari potuit, manifestum est te ab
ecclesiae radice praecisum aruisse nihilque habere potestatis ac iuris.
In ausführlichster Weise geht Anselm weiter auf den Vorwurf
ein, Gregor habe sich mit Blut befleckt, weil er zu weltlichen Waffen
gegriffen habe, um seine Gegner zu bekämpfen. Wibert sei aber ein
Schismatiker, diese müfsten verfolgt werden nicht nur mit geistlichen,
sondern auch mit weltlichen Waffen ; durch eine grofse Reihe von
Citaten aus den Kirchenvätern wird nachgewiesen, dafs dies durch-
aus statthaft sei, ebenso dafs der Besitz der Schismatiker in den
der wahren Kirche auch auf gewaltsamem Wege übergehen dürfe.
Dazwischen weist Anselm gelegentlich die Behauptung Wiberts
ab, dafs er die Sakramente verabscheue, das thue er nicht, sondern
nur mit den schismatischen Spendern der Sakramente wolle er nichts
zu thun haben, auch entziehe sich ihren Händen der Nutzen dieser
heiligen Handlungen.
Freilich müfsten er und seine Anhänger wünschen, dafs die
Schismatiker überwunden würden, ihr Hab und Gut in die Hände
der Gerechten überginge ; aber wenn sich auch der Gerechte über
den Triumph der Sache des Herrn freue, doch jammere ihn die Strafe
der Verlorenen ; und schöner wäre es, wenn die Nötigung zu solchen
Kämpfen nicht bestände. Die Schuld an diesen trage aber nicht
die Partei Anselms. Denn da Schismatiker auch mit weltlichen
Waffen bekämpft werden dürften, so seien ja diese der Anlafs, und
auf sie falle die Schuld zurück. Sie hätten die Kirche zerrissen
und sie der weltlichen Macht unterworfen, da sie dem Kaiser wider
die göttlichen Gebote die Investitur zugeständen. Demzufolge seien
sie verdammt und ein Verkehr mit ihnen gemäfs den Aussprüchen
der heiligen Väter nicht möglich; vielmehr sei es seine, Anselms,
Pflicht, ihnen Widerstand zu leisten und zu versuchen, sie zur Um-
kehr zu bewegen. Wenn daraus Ungemach für sie entstehe, so komme
das nicht auf sein Haupt.
Dem Umstände, dafs Wibert nach seiner Aussage sein Amt wider
seinen Willen auf sich genommen habe, legt Anselm kein Gewicht
bei; habe er damals der Gewalt w^eichen müssen, seitdem hätte er
längst umkehren können. Endlich antwortet er auf die Mahnungen
Wiberts wegen Mathilde, aus denen er den Vorwurf fleischlichen
Verkehrs herausliest, um zum Schlüsse noch einmal einen kräftigen
Euf zur Reae und zur Rückkehr in den Schofs der einigen Kirche
an Wibert ergehen zu lassen.
Man sieht, nicht auf alle Punkte Wiberts geht Anselm ein,
es steht zu vermuten, dafs er seine Auffassung im allgemeinen schon
68 Vom Tode Gregors VII. bis zum Tode Viktors III.
in seinem ersten Briefe dargelegt hat und hier nur diejenigen Punkte
beleuchtet, die sein Gegner neu vorgebracht hat, namentlich also
den Vorwurf, dafs Papst Gregor sich durch seinen Anteil an den
weltlichen Kämpfen gegen die Gesetze der Kirche vergangen habe.
Im übrigen bemerke ich noch einmal, dafs bei der Lückenhaftigkeit
unserer Kenntnisse absolute Gewifsheit über Wiberts Brief zu er-
reichen nicht möglich ist.
Anselms Briefe, von vornherein für die Veröffentlichung bestimmt
und auf sie berechnet, thaten ihre Wirkung. Der Kleinmut regte
sich im Lager Velberts, zumal man die wenig aussichtsvolle Situation
erwog; viele wären jetzt gewifs gern mit heiler Haut davon gCAvesen.
Als der zweite Brief eintraf, war dazu schon die Aussicht vorhanden,
dafs die Gegner in Bälde ein neues Oberhaupt erhalten würden ; man
sprach von dem versöhnlichen Desiderius von Monte-Casino, der dann
leicht die Männer der Mitte aus beiden Lagern auf seine Seite ziehen
konnte.
Dieses Schwanken, diese Streitigkeiten im Schofse der Partei
selbst erkennt man an der Einleitung Bischof Widos von Ferrara ^ :
In meditullio quadragesimae nuper exactae, cum apud Ravennam
domnus Clemens apostolicus moraretur, negociis curiae vehementer
urguebar, si quando tamen sinebat tempus et divertendi locus erat,
conferebar ad studia litterarum : cum interea, nescio quo casu, de
eo scismate quod nuper emersit orta est inter fratres contentio quod
Iltibrandinum dicunt, aliis hoc impugnantibus, aliis defendeutibus cet.
Um den Zwiespalt zu beschwichtigen, erhielt eben Wido von
Wibert und den entschiedener gesonnenen Bischöfen den Auftrag '-,
eine Denkschrift auszuarbeiten, die uns noch vorliegt, und in welcher
die eben besprochene Korrespondenz benutzt ist. Sie näher zu wür-
digen, liegt aufserhalb des Rahmens dieser Arbeit, man möge dieser-
halb Panzer nachlesen. Sein Resultat fafst Wido selber kurz zu-
sammen ^ : Omnia largiente Deo, sicut proposui, percucurri. Restat
quod me facturum inicio promisi persolvam, ut, quod mihi de hac
re visum fuerit, in neutram partem propensior explicem, postquam
utriusque partis allegationes constat a me comprehensas esse. Duo
sunt, quae dampnatione dignum Ildibrandum ostendunt: quod Rodul-
fum in regem creari fecit, et Teutonicum bellum fieri non prohibuit.
in quo sanguis octo milium hominum fusus fuit. In eo etiam per-
iurii reatum incurrit, quod iuramenti vinculis obligatos Teutonicos
sacramenti religionem violare fecit. In eo etiam scismaticus extitit,
1 Wido Ferr. praef. lib. 1 SS. XII, 153. - SS. XII, 153 u. 179.
« SS. XII, 178 f.
Vom Tode Gregors VII. bis zum Tode Viktors III. 69
quod indignorum ministrorum et excommunicatorum sacramenta
polluta docuit, non recipienda mandavit^ nee sacramenta quidem
dici debere perhibuitj in quibus a sanctorum patrum regulis omnino
dissensit.
Unverkennbar steht Wido auf der Seite der Entschiedeneren
und will zeigen, dafs man auf seinem Standpunkte zu beharren habe^
denn Wibert sei vollkommen rechtmäfsig Gregors Nachfolger ge-
worden, da dieser durch sein Verhalten seiner Würde verlustig ge-
gangen sei.
Unter diesem Zögern war die Zeit seit Gregors Tode verflossen,
die anscheinend so günstige Aussichten eröffnet hatte. Wenn die
Wirkung von Widos Schrift die gewesen sein sollte, dafs sie die
Einigkeit in der wibertistischen Partei wiederherstellte und den Ent-
schlufs zu kräftigerem Vorgehen ins Leben rief, so wird derselbe
gar bald wieder geschwächt worden sein durch die Nachricht von
der am 24. Mai 1086 in Rom vollzogenen Wahl des Abtes Desi-
derius von Monte-Casino zum Papst. Denn die bisherige Unthätig-
keit der Anhänger Wiberts dauerte fort.
Dieser selbst ist bis tief in die erste Hälfte des Jahres 1086
in Ravenna nachweisbar, man mufs ferner annehmen, dafs er diese
Stadt auch in der anderen Hälfte von 1086 nicht verlassen hat.
In der ersten Fastenwoche dieses Jahres (22. — 28. Februar) hielt
er in der Kathedrale der Erzdiözese, Sanctae Resurrectionis, seine,
soweit uns bekannt ist, erste Synode ^ Wir haben von ihr Kunde
durch eine Urkunde vom 27. Februar, an deren Schlufs es heifst-:
Acta sunt haec Ravennae in plenaria synodo, in matrice ecclesia,
quae dicitur Agiae Anastaseos, anno domin. ine. 1086 etc. Dafs die
Bezeichnung plenaria synodus gebraucht ist, soll wohl andeuten, dafs
die Synode von Papst Clemens III., nicht von Erzbischof Wibert
von Ravenna gehalten wird; dem entsprechend findet sich auch in
dieser Urkunde zum ersten Male der Titel : Clemens episcopus servus
servorum Dei. An eine erzbischöfliche Urkunde, an eine Diözesan-
synode kann somit nicht gedacht werden ; dies verbietet sich auch
durch die Namen der Konsentierenden, unter denen sich zwei Kar-
dinäle und die Bischöfe von Padua und Vicenza befinden ^, wie durch
^ Mansi XX, 615 f.
^ Jaffe-L. 5322. Aufser den dort sich findenden Druckangaben noch Frag-
mente bei Gloria, Cod. dipl. Padov. 314 und bei Dondi dalF Orologio, Diss. lY,
12, beide nach Mittarelli.
^ Bei Mittarelli, Ann. Camald. 111, 39 finden sich drei der im Text als an-
wesend aufgeführten Bischöfe als Zeugen unterschrieben: Roland von Treviso,
Milo von Padua, Ezzelin von Vicenza.
70 Vom Tode Gregors VII. bis zum Tode Viktors III.
die Worte des Textes : consideratis privilegiis decessorum nostrorum
Romanorum pontificum. Teilnehmer an der Synode waren wiber-
tistische Kardinäle und Bischöfe aus Ober- und dem östlichen Mittel-
italien (Fossombrone, Cittä di Castello), die alten Parteigänger. Von
den Arbeiten der Synode können wir weiter nichts aussagen, als
dafs auf ihr eben unsere Urkunde für das Erzbistum Ravenna aus-
gestellt wurde, dem alle Privilegien bestätigt werden, die es von den
früheren Päpsten und Kaisern erhalten hat. Man kann nicht umhin
anzuerkennen, dafs Wibert aus allen Kräften und im besten Sinne
für Ravenna sorgte, Heinrichs Urkunde von 1080, die Gründung des
Kanonikatsstiftes von 1081 und dieses Privileg von 1086 sind des
Zeugen.
Mit dieser Synode wird ein bei Sudendorf ^ zuerst gedruckter,
gänzlich undatierter Brief Wiberts an einen Kardinal U. zusammen-
hängen -, unter welchem man seit dem Herausgeber allgemein und
wohl mit Recht Hugo den Weifsen verstanden hat. Diesem schreibt
Wibert, er habe erfahren, dafs die andere Jesabel (d. h. die Gräfin
Mathilde von Canossa) dem Kardinal arge Feindseligkeiten bereite,
er bitte ihn, dieselben gering zu achten und, wenn ihm auch etwas
Schlimmes begegne, nicht abzufallen; dann werde der himmlische
Lohn nicht ausbleiben. Im Falle der Kardinal zu ihm käme, könne
er der ehrendsten Aufnahme und vertrauter Freundschaft sicher
sein. Deshalb möge er einer von ihm, Wibert, beabsichtigten Sy-
node anwohnen, mit dem Parmesischen oder mit einem anderen Bi-
schof zusammen ^.
Als terminus a quo für diesen Brief hat schon Giesebrecht "^
den Tag der Schlacht von Sorbaria (2. Juli 1084), wie mir scheint,
sehr passend angenommen. Dann hat Löwenfeld in den Regesten
ihn nocli in das Jahr 1084 gesetzt: diese Ansetzung ist vielleicht
zu berichtigen. Denn meines Erachtens ist unter der Synode, zu
welcher Hugo berufen wird , die vom Februar 1086 zu verstehen,
von einer anderen ist uns in dieser Zeit nichts bekannt. Auch wurde
Hugo spätestens im Anfang des Jahres 1085 als päpstlicher Legat
nach Deutschland geschickt, wie wir noch sehen werden. Sonach
wäre der Brief Ende 1085 geschrieben, wozu alle Indicien stimmen.
Was von Mathilde gesagt wird, pafst auf 1085 in ebenso hohem,
wenn nicht höherem Grade als auf 1084, denn seit Sorbaria nahm
1 Sudendorf, Registrum II, 37 No. 31. ~ Jaffe-L. 5320.
3 Bischof Eberhard von Parma starb etwa Mai 1085 : Bern. 1085 SS. V, 443.
Sein schismatischer Nachfolger hiefs Wido (seit 1085). Garns, Series episco-
porum 745; cfr. Ughelli, Italia sacra II, 168.
* Giesebrecht III, 1165.
Vom Tode Gregors "VII. bis zum Tode Viktors III. 71
ihre Macht noch stetig zu ^ Der Brief zeigt weiter unverkennbare
Besorgnis vor einem Abfall Hugos zu der gegnerischen Partei. Nun
safs 1084 noch Gregor VII. auf dem aj)osto]ischen Stuhl, da brauchte
sich Wibert nicht im geringsten um Hugos Treue zu sorgen. 1085
aber war der apostolische Stuhl erledigt, die eigene Partei nicht einig,
bei einer Neuwahl liefs sich durch eine Schwenkung vielleicht ein
persönlicher Vorteil erreichen, und so lag bei dem wandelbaren und
ehrgeizigen Charakter Hugos die Befürchtung eines Abfalls bedeu-
tend näher. Es ist dann zu verstehen, dafs Wibert ihn in seiner
Nähe zu haben wünscht, die Synode bietet einen geeigneten Anlafs,
dies zu bewerkstelligen. Indes finden wir weder ihn noch den Bi-
schof von Parma in der Urkunde aufgeführt. Da sich Hugo der
Weifse sicher nicht unter den aliis quampluribus qui fuere prae-
sentes versteckt, so wird es ihm nicht möglich gewesen sein zu er-
scheinen ; vielleicht haben ihn die Anhänger Mathildes daran ge-
hindert, Genaueres läfst sich nicht sagen, da sein ^Aufenthaltsort un-
bekannt ist ^.
Eine Angelegenheit mehr lokaler Bedeutung fand ihre Regelung
durch Urkunde vom 15. Mai 1086 aus Ravenna'l Bischof Siegfried
von Bologna, Suffragan und eifriger Parteigenosse Wiberts, war samt
seinem Bruder Boland gestorben. Der Bischof, seit der Fasten-
synode 1079 exkommuniziert^, war bei Wiberts Inthronisation be-
teiligt gewesen ^. Um nun als Lohn für treue Dienste ihr Andenken
zu ehren und zu erhalten, schenkte Wibert dem Nonnenkloster St. Ge-
org zu Ferrara 50 Morgen Ackerland in Mutafenum im Gebiet von
Faenza, wogegen sich die Nonnen verpflichteten, täglich zu Ehren
der Genannten eine Andacht zu verrichten. Diese Mafsregel ver-
dient Anerkennung, denn sie ist ein Zeichen von Pietät und von
einer Dankbarkeit, die sich nicht blofs auf die Gesinnung beschränkt,
sondern auch in Thaten ihren Ausdruck findet.
Ich habe bereits erwähnt, dafs nach einem Jahre Zwischenraum
endlich am 24. Mai 1086 die gregorianische Partei ein neues Ober-
haupt erhalten hatte in der Person des Abtes Desiderius von Monte-
Casino (Viktors III.), der einer versöhnlichen Auffassung zuneigte ^\
1 Bern. 1085 SS. V, 443. Giesebrecht III, 572 u. 586.
2 Giesebrecht III, 572 (2. Hälfte des Jahres 1084) sagt : „Hugo der Weifse,
der in der Lombardei zurückgeblieben war, hatte sich dort nicht mehr für sicher
gehalten und sich zu Wibert begeben." Diese Behauptung scheint sich nach
S. 1165 auf den eben besprochenen Brief zu stützen, ist aber dann nicht haltbar.
^ Jaffe-L. 5323, auch gedruckt nach Savioli bei Fantuzzi, Mon. Rav. I, 304.
4 Greg. VII. Reg. 6, 17 a bei Jaffe, Bibl. II, 355. ^ Bonizo 679.
6 Vgl. Giesebrecht III, 585—592 u. 1166. Hirsch, Forschungen VII, 91—103.
72 Vom Tode Gregors VII. bis zum Tode Viktors III.
Die Erhebung war ganz wider seinen Willen geschehen; und dafs
er sich sträubte, war ihm gar nicht zu verdenken, denn er war seiner
ganzen Natur nach der Ungeeignetste, um seine Partei wieder zu
Ansehen zu bringen, alt, schwächlich, gutmütig. Gleich zu Anfang
wurde ihm in der neuen Würde schwül, schnell kehrte er wieder
nach Monte-Casino zurück, ein ganzes Jahr verstrich, ohne dafs man
von seiner Existenz als Papst etwas Wesentliches wahrnahm. Mit
dieser Unthätigkeit unzufrieden, wollte die strengere Partei eine von
Viktor nach Capua berufene Synode (Fastenzeit 1087), die über
eine Neubesetzung des päpstlichen Stuhles beraten sollte, benutzen,
ihn zu verdrängen. Das litt nun sein Ehrgeiz nicht, er raffte sich
auf, legte wieder die päpstlichen Insignien an und machte sich, nach-
dem er noch das Osterfest 1087 (28. März) in Monte-Casino gefeiert
hatte, auf den Weg nach Eom, um sich weihen zu lassen, von nor~
mannischen Waffen geschützt.
Bis hierher hatte Wiberts Unthätigkeit gedauert, jetzt aber war
der letzte, entscheidende Augenblick gekommen : gelang es den Gre-
gorianern, ihrem Papst die Weihe zu verschaffen, so trübten sich
seine Aussichten auf die Zukunft noch mehr. Und so ist er denn
bereits zur Stelle ^, als Viktor Ende April vor der Leostadt erscheint.
^ Der genaue Zeitpunkt der Rückkehr Wiberts nach Rom ist nicht bekannt.
Er würde sich sicherer bestimmen lassen, wenn die Datierung von Jaffe-L. 5319
eine zweifellose wäre. Diese Urkunde bestätigt nach einem Privileg Leos IX.
(Jaffe-L. 4166) , das als Vorlage gedient hat , die Besitzungen und Rechte der
Kanoniker zu Verona und ist zu Ravenna am 2. März 1084 oder 1087 ausge-
stellt. Gedruckt ist sie bei Ughelli, Italia sacra V, 769 und danach bei Migne
CXLVIII, 827. Ihr Eschatokoll lautet: Actum Ravennae, anno domin. incar-
nationis 1084, indict. VII. Datum per manum Roberti card. presb., anno III.
ordinationis d. Clementis III. papae, VI. Xon. Mart. feliciter. Auf 1084 weisen
Inkarnationsjahr und Indiktion, wie Löwenfeld in den Papstregesten ganz richtig
bemerkt. Wenn der Datar Robert, wie anzunehmen, identisch ist mit dem
Datar Bischof Robert von Faenza (Jaffe-L. 5334; Bischof schon 1086, Strocchi,
Serie de vescovi Faentini 105), so spricht auch dies für 1084, da er hier noch
nicht Bischof genannt wird und 1084 ein Bischof Hugo II. von Faenza vor-
kommt. S. o. S. 49 und Strocchi 104. Ebenso sicher aber weisen die Worte
anno III. ordin. d. Cl. III. papae auf das Jahr 1087, denn nie und nirgends
sonst hat Wibert sich selbst vor dem 24. März 1084 Clemens genannt, noch ist
er von anderen so genannt worden. Mit dem bisher vorliegenden Material ist
eine Entscheidung unmöglich. Anzunehmen, dafs zwischen Handlung und Be-
urkundung drei Jahre verflossen seien, scheint mir nicht rätlich. Eher wäre
an eine Interpolation der Worte anno III. ordin, d. Cl. III. papae zu denken.
Das Original der Urkunde ist, soviel ich sehe, nicht erhalten; der einzige
Ughelli, den Migne abdruckt, hat sie uns überliefert, seine Akribie ist keine
ersten Ranges. Eine erneute Prüfung der Überlieferung der Urkunde ergäbe
möglicherweise Anhaltspunkte zur Lösung der Schwierigkeit.
Vom Tode Gregors VII. bis zum Tode Viktors III. 73
nachdem er bei Ostia über den Tiber gegangen war. Gerade der
Leostadt hatte sich Wibert bemächtigt und St. Peter mit seinen
Bewaffneten besetzt. Sofort aber unternahmen die Viktor beglei-
tenden Normannen den Angriff, die Wibertisten wurden vertrieben,
und am 9. Mai fand Viktors Weihe in aller Form statt, wie es
scheint, unter nicht sehr bedeutender Beteiligung der Römer. Aber
schon nach 8 Tagen fühlte er sich veranlafst, sein Monte-Casino
wieder aufzusuchen ^ So viel hatte er erreicht, dafs in formeller
Beziehung seiner päpstlichen Würde kein Vorwurf zu machen war ;
in E/Om hatte er sich nicht halten können, Wibert hingegen blieb dort.
Aber schon 14 Tage darauf, Anfang Juni, traf Viktor wieder
vor Rom ein und versuchte von neuem sich der Stadt zu bemäch-
tigen, diesmal von der Gräfin Mathilde unterstützt -. Man mufs sich
über den Mangel an Geschlossenheit in der Partei der Gregorianer
billig wundern. Anfang Mai sind die Normannen in Rom, können
sich aber nicht behaupten ; Ende Mai ergeht es der Grälin Mathilde,
wie wir gleich sehen werden, ebenso. Im Verein hätten sie Wibert
wohl vertreiben können, die Normannen scheinen aber keine Lust
gehabt zu haben, nach so kurzer Zeit noch einmal nach Rom
zu ziehen. Es fehlte eben ein Vereinigungspunkt für alle diese
Elemente.
Jetzt gab es neue Kämpfe. Beide Päpste standen sich eine
Zeitlang bei der Peterskirche gegenüber. Für Viktor bezeugt dies
für die Zeit vom 4. bis 11. Juni Petrus Casinensis^: apud eccle-
siam beati Petri octo diebus permansit. Deinde in festivitate sancti
Barnabae (11. Juni) super altare sancti Petri missam sollemniter
celebrans, eadem die auxilio et ope praefatae comitissae per Trans-
tiberim Romam intravit. Wibert aber stellte am 8. Juni 1087 eine
Urkunde für den Abt Libo von Selz aus, deren Datierung lautet :
Datum Rome ad S. Petrum VI. Idus Junii anno nostri pontifi-
catus IV. '^.
Da Viktor am 11. Juni in St. Peter die Messe lesen konnte,
wird sich Wibert infolge von nicht glücklichen Kämpfen zwischen
dem 8. und 11. Juni zum Rückzuge genötigt gesehen haben. In der
That meldet Bernold, dafs sich Wibert bei Sancta Maria ad Mar-
tyres, d. h. beim Pantheon verschanzt, Viktor aber sein Hauptquartier
^ Petrus Casin. 3, 68 SS. VII, 749. Kurze Notiz über Viktors Zug: Ann.
ßrunwilar. 1083 SS. XVI, 725. Falsch ist die Angabe der Ann. August, (die
diese Vorgänge überhaupt in kaiserlichem Sinne entstellen) 1087 SS. III , 132,
Viktor sei absente Wigberto in Rom eingedrungen.
2 Petrus Casin. 3, 69 SS. VII, 750. ^ Petrus Casin. 3, 69 SS. VII, 750.
^ Jaffe-L. 5326 im Neuen Archiv II, 219. S. u. Exkurs I.
74 ^^om Tode Gregors VIT. bis zum Tode Viktors III.
auf der Tiberinsel aufgeschlagen habe ^ Wenn Bernold diesen Vor-
gang als Rückzug Viktors bezeichnet, so ergiebt das, zusammenge-
halten mit den Worten des Petrus: eadem die (11. Juni) .... per
Transtiberim Romam intravit, dafs Viktor sich auch des eigentlichen
Rom zu bemächtigen versuchte, dafs dieser Versuch aber mifslang.
Wibert war somit auf die Stadt links des Tiber beschränkt, Viktor
besafs Trastevere und die Leostadt mit Peterskirche und Engelsburg,
dazu Ostia und Porto -.
Aus dieser Lage suchte Wibert sich Ende des Monats zu be-
freien, er machte gegen den Peter- und Paulstag (29. Juni) einen
Versuch namentlich zur Eroberung der Peterskiixhe ^. Ein unver-
muteter Angriff der Römer auf die Leostadt brachte am 28. Juni
einen grofsen Teil derselben in ihre Hände, nur die Peterskirche
nicht, auf die es gerade abgesehen war. Doch drangen Wiberts
Anhänger, die denen Viktors an Zahl bedeutend überlegen waren,
bis unmittelbar an dieselbe vor; an die beiden Haupttürme an der
Vorderseite wurde Feuer gelegt, und man bemächtigte sich ihrer;
viele Viktorianer zogen sich nach Trastevere oder in die Engelsburg
zurück, den eigentlichen Dom al)er hielten sie besetzt. Am folgenden
Tage, dem 29. Juni (St. Peter und Paul), wurden die Feindselig-
keiten nicht fortgesetzt, sei es, dafs man sich nicht stark genug
fühlte, sei es aus Scheu vor dem hohen Feste. Sein Ziel, im Dom
die Messe zu lesen, erreichte Wibert nicht, den hielten bis zum Abend
die Gegner; er mufste sich begnügen, diese Feier in einer Kapelle
der heiligen Maria zwischen den Türmen vorzunehmen. Am anderen
Tage indes räumten die Gegner den Dom, Wibert reinigte den von
ihnen befleckten Altar und las die Messe, zog sich aber schon am
1. Juli wieder über den Tiber zurück.
Auch weiterhin wird es an Kämpfen nicht gefehlt haben, am
14. Juli finden wir Viktor gar im Lateran ^. Indes war Wibert in
Rom doch ein zu gefährlicher Gegner, dessen Überfälle man täglich
gewärtigen konnte, und der über eine bedeutende Zahl von An-
hängern verfügte. So überliefsen ihm sein Gegner und Mathilde
das Feld bald wieder, Rom war Viktor verloren.
Um so sicherer fühlte er sich in Unteritalien und versäumte
nicht, den Spuren seines grofsen Vorgängers folgend, von hier aus
^ Bern. 1087 SS. V, 446. Den Aufenthalt auf der Tiberinsel seit dem 11. Juni
bezeugt auch Petrus Casin. 3, 69 SS. VII, 750.
- Petrus Casin. a. a. 0.
3 Petrus Casin. 3, 69 SS. VII, 750. Angeblich sollen die Römer durch
einen Boten des Kaisers ermutigt worden sein.
'^ Er stellt hier eine Bulle aus, Jaffe-L. 5344 und Addeuda II, 713.
Von der Erhebung Urbans II. zum Papst bis zum Abzüge Heinrichs IV. etc. 75
Wibert für seiner priesterlichen Ehren beraubt zu erklären und mit
dem Anathem zu belegen. Das geschah auf einer fast nur von der
unteritalienischen Geistlichkeit besuchten Synode zu Benevent im
August 1087 ^
Schon wenige Wochen darauf, am 16. September 1087, endete er
sein Leben, wieder stand die gregorianische Partei vor einer Neuwahl.
Achtes Kapitel.
Von der Erhebung Urbans II. zum Papst bis zum Abzüge
Heinrichs IT. aus Italien im Jahre 1097.
Es ist auffallend , dafs die Zeit vom 16. September 1087 bis
12. März 1088 verstreicht, ehe die Wahl eines Nachfolgers Viktors III.
stattfindet, und dafs dann der AYahlort nicht Rom, sondern Terra-
cina ist. Die Partei Wiberts mufs in Rom zu mächtig gewesen sein,
als dafs die Wahl dort ausführbar gewesen wäre, aber nicht mächtig
genug, um sie ganz zu hindern '-. Keinen Augenblick aber war man
zweifelhaft, dafs man überhaupt einen Nachfolger wählen wollte.
Auch hatte Viktors III. Pontilikat gezeigt, dafs Männer der Ver-
mittelung jetzt nicht an der Zeit seien; die Zahl der Wähler war
nicht grofs, aber sie enthielt fast alle Kardinalbischöfe und traf eine
Entscheidung, wie sie für ihre Sache sie günstiger nicht treffen konnte :
denn Kardinalbischof Otto von Ostia ging als erwählter Papst aus
•ihrer Abstimmung hervor und nahm den Namen Urban II. an. Sein
Pontifikat hat die auf ihn gesetzten Erwartungen vollauf gerecht-
fertigt. Er war ein Mann der strengen Richtung und trat ganz in
Gregors Fufstapfen, ohne sich zu extremen Schritten hinreifsen zu
la-ssen. Am Tage nach seiner Wahl kündigt er diese den deutschen
Anhängern an und fügt hinzu ^: De me porro ita in omnibus con-
fidite et credite sicut de beatissimo patre nostro papa Gregorio.
Cuius ex toto sequi vestigia cupiens, omnia quae respuit respuo,
quae dampnavit dampno, que dilexit prorsus amplector, quae vero
rata et catholica duxit confirmo et approbo , et ad postremum in
utramque partem qualiter ipse sensit, in omnibus omnino sentio atque
consentio.
Von Wibert haben wir während des Jahres 1088 nur ganz dürftige
Nachrichten. Wir wissen nichts weiter, als dafs er sich im April
1088 in Ravenna befand, da uns Kunde von zwei erzbischüflichen.
1 Petrus Casin. 3, 72 SS. VII, 751; cfr. Jaffe-L. I, 656.
2 Vgl. Giesebrecht III, 592 ff. ^ jaffe-L. 5348 bei Jaffe, Bibl. V, 503 f.
76 Von der Erhebung Urbans II. zum Papst bis zum Abzüge Heinrichs IV. etc.
zu Anfang dieses Monats dort ausgestellten Urkunden erhalten ist ^.
Wann und aus welchen Gründen die Übersiedelung von Rom nach
Ravenna vor sich gegangen ist, ob sie freiwillig oder gezwungen war,
ist in tiefstes Dunkel gehüllt.
Wiberts Abwesenheit ermöglichte es Urban, im November 1088
in Rom einzudringen ^, ein Ereignis, das auch seinen Gegner wieder
dorthin zurückführte. Die mächtige wibertistische Partei bereitete
Urban schwere Tage ^ ; er war auf die Tiberinsel beschränkt, ohne
Subsistenzmittel und lebte von Almosen. Seine nicht eben glanzvolle
und Achtung gebietende Lage hielt ihn aber nicht ab, eine umfang-
reiche Thätigkeit zu entfalten; er machte wahr, was er in seiner
Wahlanzeige angekündigt hatte, dafs er nämlich ganz in den Bahnen
Gregors wandeln werde. Dies zeigt sich Heinrich und Wibert gegen-
über in einem Schreiben aus Rom vom 18. April 1089 an Bischof
Gebhard von Konstanz ^, das neben der Ernennung Gebhards und
Altmanns von Passau zu ständigen Legaten in Deutschland und ähn-
lichem allgemeine Anweisungen darüber enthält, wer für exkommuni-
ziert zu gelten habe, Anweisungen, die in einem Briefe an die Ge-
samtheit der deutschen Bischöfe bestätigt werden ^ An der Spitze
der Verdammten stehen Wibert von Ravenna und Kaiser Heinrich.
Dafs Wibert in Rom entschieden im Vorteil war, zeigt der Um-
stand, dafs er trotz Urbans Anwesenheit in der Peterskirche eine
Synode halten konnte ; in einem undatierten Rundschreiben an die
gesamte Geistlichkeit berichtet er selber über deren Verhandlungen
und fordert zur Nachachtung der Beschlüsse auf ^ Das Schreiben
ist jedenfalls nach der Wahl Ottos von Ostia zum Papst erlassen;
dies geht aus einer in dasselbe eingefügten Ladung hervor, durch
Avelche Otto vor eben die in Frage stehende Synode gerufen wird '.
In dieser Ladung heifst es : apostohca auctoritate praecipimus :
^ Jaffe-L. 5327, 5328, Vgl. eine Xotiz bei Ginanni, Scrittori Ravennati I,
397. Giesebrecht III, 599 u. 1168.
2 Jaffe-L. 5372 ff.
^ Bern. 1089 SS. V, 448. Pandulfi vita Gelasii II. bei Watterich II, 93.
Pandulfs ohne Zeitangabe überlieferte Nachricht wird durch Bernolds Mitteilung
zeitlich fixiert. Aus Pandulf geht Wiberts Anwesenheit hervor.
* Jaffe-L. 5393 (Mansi XX, 666 u. 715). Cfr. Bern. 1089 SS. V, 448 f.
Ann. S. Disibodi 1085 SS. XVII, 9.
5 Jaffe-L. 5394 (cod. Udalr. 74 bei Jaffe, Bibl. V, 153).
« Jaffe-L. I, 652 f., 5330; cod. Udalr. 73 bei Jaffe, Bibl. V, 145. Ich er-
innere an eine Bemerkung Giesebrechts III, 1168: „Diesen Beschlüssen (nämlich
der Synode von 1089) traten die Hirschauer in einer Streitschrift entgegen,
gegen welche sich dann wieder das 2. Buch der Schrift de unitate ecclesiae
richtet. Vgl. Ewald, Walram von Naumburg S. 42, 43."
' Jaffe-L. 5329; cod. Udalr. 73 bei Jaffe, Bibl. V, 150.
Von der Erhebung Urbans II. zum Paj)st bis zum Abzüge Heinrichs IV etc. 77
ut ad synodum, quam in ecclesia beati Petri Deo auxiliante c e 1 e -
bramuS; securi penitus veniatis; ut de eo, quod sanctam ecclesiam
perturbastis, sicut decet, rationem reddatis. Aber Gesandte und
Brief wollten die Gegner weder hören noch sehen. Das Präsens
celebramus zeigt klar, dafs die Synode schon begonnen hat, als die
Ladung erfolgt; dazu besagen auch die Worte, mit denen diese in
das Rundschreiben eingeführt wird, sie sei erst nach der Erörterung
der Exkommunikations- und der Sakramentenfrage ergangen. Eine
Ladung zu diesem Zeitpunkte hat doch nur dann einen Sinn, wenn
Urban so nahe ist, dafs er noch kommen kann, d. h. wenn er auch
in Rom oder dessen nächster Nähe sich aufhält. Nun befand er sich
in Rom: November 1088 bis Juli 1089, Dezember 1089 bis Sommer
1090, November 1093 bis Sommer 1094. Seit Ende 1096 überwiegend.
Wibert war in Rom anwesend : Ende 1088 bis Herbst 1089, Früh-
jahr 1091 bis gegen Mitte 1092 K Dann kam er erst Mitte 1099
kurz vor Urbans Tode wieder vor Rom an.
Schon diese Zusammenstellung lehrt, dafs die Synode nur in das
Jahr 1089 gesetzt werden darf.
Die Neueren haben von hier aus die Sache nicht betrachtet und
sich über die Zeit der Synode gestritten. Für 1089 haben sich Jaffe
und Panzer, dagegen Wilmans und Lehmann-Danzig für 1092 ent-
schieden. Ersteren hat sich Giesebrecht, letzteren Watterich ange-
schlossen ■-.
Seit Wilmans zuerst sich geäufsert hatte, folgte man ihm allge-
mein darin, dafs man Widos von Ferrara Schrift de scismate Hilde-
brandi mit dem Rundschreiben Wiberts in Verbindung brachte und
erstere nach letzterem datierte. Man glaubte gewisse gleichförmige
Gedanken und dieselben Hauptpunkte in beiden gefunden zu haben.
Als ich Wilmans' Gründe las, kam mir bereits dieser angebliche Zu-
sammenhang sehr zweifelhaft vor, nachher fand ich bei Panzer (S. 18ff.)
eine Auseinandersetzung, auf die ich lediglich verweisen kann. Wenn
auch nicht alle seine Gründe gleiches Gewicht haben, so sind doch
unter ihnen so entscheidende, dafs ich seinem Resultat nur zustimmen
kann: Widos Schrift hat mit unserem Rundschreiben nicht das ge-
ringste zu thun. Übrigens, wenn jemand dem auch nicht beistimmt,
so würde dies nur für die chronologische Bestimmung Widos, nicht
für die der Synode von Bedeutung sein.
^ Vgl. zu diesen Angaben die Ja£fe-L. sehen Regesten.
2 Jaffe, Einleitung zu Wido von Ferrara SS. XII, 153. Panzer, Wido 18 ff.
"Wilmans, Einleitung zu Wido von Ferrara SS. XII, 150 f. Lehmann-Danzig,
Das Buch Widos von Ferrara S. 8—14. Giesebrecht III, 599 u. 1168. Watterieh,
Vitae pont. I, 583 f. Vgl. Hefele, Konziliengesch. - V, 196,
78 VoQ »ier Erhebung Urbans II. zum Papst bis zum Abzüge Heinrichs IV. etc.
Wenn wir nun das Schriftstück daraufhin durchsehen, ob sich
in ihm selbst noch weitere Anhaltspunkte für die zeitliche Fixierung
finden, so ergiebt sich wenig, aber genug.
Unmittelbar nach jener Vorladung Ottos von Ostia heifst es
weiter ^ : Verum ipsi, nee Deum timentes nee hominem reverentes,
legatos et litteras nostras nee audire nee videre voluerunt. Unde
in erroribus suis perdurantes, ex latebris, quas serp entin o more in-
colunt, ad decipiendos incautos et simplices dira sibila emittunt etc.
Schon Jaffe^ hat darauf hingewiesen, dafs Wibert in der Peters-
kirche dies ganz vortrefflich von dem auf der Tiberinsel weilenden
Urban des Jahres 1089 sagen könne, der von da aus jene beiden
Schreiben an Gebhard von Konstanz (18. April 1089) und die deutschen
Bischöfe ergehen liefs, durch welche Heinrich und Wibert von neuem
und zum ersten Male von Urban für exkommuniziert erklärt wurden ^.
Diese erste Bannung konnte sehr wohl den Anlafs geben, die ganze
Streitsache auf der Synode wieder durchzunehmen '*.
Dem Einwand, dafs Urban nicht vom März 1088, seiner Wahl,
bis längstens Juli 1089, seinem Abzug aus Rom, oftmals berufen
sein könne (multociens vocatus a. a. 0. S. 150), und dafs Wibert nicht
mehrere Konzilien (in praeteritis conciliis a. a. 0. S. 150) könne ge-
halten haben, ist Jaffe ^ dadurch begegnet, dafs er nachwies, wie
1049 und 1050 unter Leo IX. je vier S3'noden stattgefunden hätten.
Er hätte hinzufügen können, dafs solches jetzt um so eher möglich
war, als etwa seit November 1088 beide Gegner in Rom weilten,
und dafs Wibert in seiner Lage auf die Vollzähligkeit der Synode
so sehr nicht sehen konnte, dafs er sich vielmehr mit einer nicht
eben grofsen Teilnahme wird haben begnügen müssen.
Wenn Jaife seine übrigens hinreichend begründete Ansicht auch
auf RP. 5326 stützen wollte, so ist diese Stütze hinfällig ^, da sich
herausgestellt hat, dafs diese Bulle aus dem Jahre 1087 stammt.
Andererseits kann gegenüber den hervorgehobenen Lidicien wenig
in die Wagschale fallen — was Wilmans für 1092 wesentlich be-
stimmt hat — , dafs von einer Synode im Jahre 1089 kein Autor
etwas weifs, dafs dagegen die Annales Ottenburani 1092^ melden:
Wigbertus papa synodum indixit, quae prorsus contempta est. Letztere
ist einfach eine andere neue Synode; wie viele Synoden wohl die
Päpste gehalten haben, von denen unsere Quellen nichts mehr l)e-
richten !
Und nun ist in der That neuerdings ein Zeugnis für eine Synode
^ Jaffe, Bibl. V, 151; cod. Udalr. 73. - SS. XII, 153.
3 Jaffe-L. 5393, 5394. * Trotz Lehmann-Danzig S. 14. •' SS. XII, 153.
« S. u. Exkurs I. ' SS. y, 8.
Von der Erhebung Urbans II. zum Papst bis zum Abzüge Heinrichs IV. etc. 79
in dieser Zeit bekannt geworden in einem griechischen Briefe Wiberts
an den Metropoliten Basilius von Kalabrien ^ Er ist undatiert, fällt
aber, da von der kürzlich erfolgten Wahl eines Gegenpapstes und
von der nahe bevorstehenden Ankunft Heinrichs IV. in Italien die
Rede ist, spätestens in den Anfang des Jahres 1090. Am Schlüsse
heifst es : Der Abt von Trutapherne (?) und die Kardinäle, die Ba-
silius bei diesem angetroffen habe, seien als Urbanisten und Schis-
matiker von ihm und einer heiligen Synode verdammt worden. Damit
ist eine Synode für 1089 auch durch ein von jenem Hundschreiben
unabhängiges Zeugnis nachgewiesen.
Sie ist also gehalten nach dem 18. April vor dem Juli 1089;
episcopi, et abbates et quam plures honesti viri ex diversis partibus
nahmen an ihr teil; damit ist einfach der Mund etwas voll genommen,
jedenfalls darf man aus diesen Worten nicht einen Grund gegen die
Ansetzung der Synode in 1089 herleiten, wie Lehmann-Danzig (S. 13)
thut, wenn er behauptet, 1089 sei die Zeit zu kurz gewesen, als dafs
diese Teilnehmer aus den verschiedenen Gegenden hätten zusammen-
kommen können.
Nach dem Bundschreiben hat die Versammlung zunächst die
Exkommunikation des Kaisers, die sich weder durch weltliche noch
durch kirchliche Gesetze rechtfertigen lasse, gemifsbilligt und dem
entsprechend sich scharf gegen die ausgesprochen, die es für erlaubt
halten, nunmehr den dem Kaiser geleisteten Eid zu brechen. Die
Begründung der Mifsbilligang pafst, streng genommen, nur auf die
Bannung durch Gregor, auf die seitens Urbans nur insofern, als sie
erstere bestätigt; sie lautet: quod in eos, qui non sunt legitime vocati
et rationabiliter convicti quique bonis suis sunt expoliati, sententia
dampnationis non sit proferenda (Jaffe a. a. 0. S. 146).
Dann hat sich die Synode eingehend mit den Vorwürfen der Gegner
beschäftigt, die da behaupten : Taufe, Abendmahl, überhaupt alle
bischöflichen und priesterlichen Amtshandlungen, von Nicht-Gre-
gorianern ausgeübt, seien unwirksam, verderblich und bedürften der
Wiederholung. Dem gegenüber wird durch zahlreiche Stellen der
Kirchenväter zu beweisen gesucht, dafs es bei diesen Amtshand-
lungen ganz gleichgültig sei, wer sie verrichte, ob ein Orthodoxer
oder ein Häretiker; sie hätten ganz den gleichen Erfolg. Papst
Clemens behauptet, er erkenne auch die seiner Gegner an, wiewohl
diese Schismatiker seien.
Dann sind die Gegner vorgeladen worden, das betreffende Schrei-
^ Gedruckt bei Pitra, Analecta novissima spicil. Solesmensis I, 479 f.; Jafie-L.
II, 752 No. 5326«. An der Echtheit des Briefes zu zweifeln, ist kein Grrund
vorhanden.
80 Von der Erhebung Urbans II. zum Papst bis zum Abzüge Heinrichs IV. etc.
ben wird mitgeteilt. Sie sollten nicht erst gehört werden, dazu ist
ihnen auf den früheren Synoden, vor die sie gefordert worden sind,
schon Gelegenheit geboten gewesen; weil sie nicht erschienen sind,
sind sie alle, also auch Urban, der Exkommunikation verfallen.
Jetzt kann man nicht mehr auf dem Fufse von Gleichberechtigten
mit ihnen verhandeln, jetzt haben sie sich nur noch zu verantworten
und ihr Urteil (das natürlich feststand) zu hören, damit dann die
Einheit der Kirche wiederhergestellt werde. Sie sind auch jetzt
nicht gekommen, und wenn all das unsägliche Unheil, welches aus
der Kirchenspaltung entstellt, weiter dauert, so tragen die Gegner
die Schuld daran.
Ferner sind strenge Bestimmungen gegen die Simonie erlassen,
wer ihrer schuldig ist, soll nicht ordiniert werden; vom Nikolai-
tismus wird die Geistlichkeit in milder Form abgemahnt und zu einem
züchtigen Leben aufgefordert, da sonst das Volk murre. Diesem
aber wird verboten, von sich aus nikolaitische Geistliche zurückzu-
weisen, ehe sie vom Papste verurteilt seien. Die Heiraten Bluts-
verwandter sollen gehindert werden.
Der Papst schliefst mit einer langen und eindringlichen Mah-
nung, im wahren Glauben zu beharren, ihn zu verkündigen und den
Häretikern zu widerstreiten; was er selbst nach dem Beispiele seiner
Vorgänger stets zu thun wünsche.
In dem, was es sagt, und in dem, was es verschweigt, trägt das
Rundschreiben den Stempel des Wibertinismus an der Stirn. Über
die Hauptfragen, die Exkommunikation Heinrichs und die Sakraments-
erteilung, konnte es sich nicht anders aussprechen, wie es thut. AVo
es sich aber gegen Simonie und Nikolaitismus wendet, sieht man.
dafs Wibert sich gern strenger ausgedrückt hätte, seinen persön-
lichen Anschauungen gemäfs, dafs er aber durch Bücksichten auf
so viele unlautere Elemente in seiner Partei sich daran gehindert
fühlte. Von der Investitur schweigt er ganz, denn niemand unter
seinen Anhängern bestritt dies Becht dem Kaiser, auch er selbst nicht.
Den geschilderten Zustand der Dinge ertrug Urban bis in den
Juli 1089, dann wich er ^
Rasch und auffallend aber vollzog sich auch ein Umschwung
in der Stimmung Roms gegen Wibert. Denn noch in demselben
Jahre wurde er sjewaltsam vertrieben, wie Bernold berichtet - : wenn
^ Ob Wiberts Sache auf der Synode von Melfi (September 1089) vorge-
kommen ist, läfst sich nicht sagen. Bekannt ist nur ein allgemeines statutum de
excommunicatis non recipiendis (Jaffe-L. I, 664). Bern. 1089 SS. V, 449 f. sagt
nur, Urban habe die aeclesiastica statuta seiner Vorgänger bestätigt.
2 Bern. 1089 SS. V, 450 (nach dem Bericht über die Synode von Melfi er-
Von der Erhebung Urbans II. zum Papst bis zum Abzüge Heinrichs IV. etc. 81
er hinzufügt^ AVibert sei gezwungen worden, einen Eid abzulegen,
nicht ferner nach Rom zurückkehren und den apostolischen Stuhl
usurpieren zu wollen, so ist hier wohl der Wunsch Vater des Ge-
dankens gewesen. Die Folge war, dafs Urban Weihnachten 1089
in Rom feiern konnte, wo er sich freilich noch immer nicht dauernd
zu behaupten vermochte; schon im Sommer 1090 verliefs er den
heifsen Boden der Stadt, die er erst im November 1093 wieder be-
treten sollte.
Was wir nun von Wibert aus den letzten 10 Jahren seines
Lebens über seine persönlichen Verhältnisse wissen, ist leider sehr
geringfügig. Von 1090 bis 1095 tritt seine Person hinter die Heinrichs,
von 1095 bis 1100 hinter die Kreuzzugsangelegenheit zurück.
Anfang April 1090 kam Kaiser Heinrich zum dritten Male nach
Italien ^ Er hatte in den 6 Jahren seit 1084 in Deutschland nicht
viel Freude gehabt; nie war er zur Ruhe gekommen, stete Kämpfe
mit seinem Gegenkönig Hermann von Luxemburg, mit dem treulosen
Markgrafen Ekbert von Meifsen und anderen hatten ihn von einem
Ende des Reiches zum anderen getrieben, Siege und Niederlagen
unaufhörlich gewechselt. Sichtlich aber war allmählich ein allge-
meines Ruhebedürfnis eingetreten, und Ende 1089, Anfang 1090 war
das Reich mit Ausnahme Schwabens befriedet, Heinrich, der alleinige
Kaiser, von der überwiegenden Mehrheit anerkannt.
Da türmten sich neue Schwierigkeiten in Italien auf. Urban,
eifrig bemüht, der kirchlichen Partei neue Anhänger zu werben,
alte zu erhalten, gewann den langjährigen Gegner Heinrichs, den
abgesetzten Weif von Bayern, für sich. Dessen siebzehnjähriger
Sohn vermählte sich auf Urbans Anregung in einer Scheinehe mit
der vierzigjährigen Gräfin Mathilde, durch deren reiche Güter ge-
lockt, und kam 1089 nach Italien. So war ein Ring der Zähringer
in Schwaben, der Weifen in Bayern und Mathildes in Italien gebildet;
den beschlofs Heinrich zu brechen und zwar in seinem eigentlichen
zählt). Giesebrecht III, 600 u. 1168, Vielleicht bezieht sich hierauf eine ge-
legentliche Erwähnung Wiberts durch Urban in dessen Brief an Erzbischof
Hartwich von Magdeburg (Jaffe-L. 5422 im cod. Udalr. 75 bei Jaffe , Bibl. V,
154) , dessen Zeit unbestimmt ist. Da der Anfang von Urbans Pontifikat mit
dem Übertritt Hartwichs zu Heinrich zeitlich fast zusammenfällt, da Urban
nach seinen eigenen Worten schon mehrere Briefe an Hartwich geschrieben hat,
ohne überhaupt oder aber erst spät Antwort erhalten zu haben, so kann man
den Brief wohl in die zweite Hälfte von 1089 setzen. Die Wibert betreffenden
Worte lauten : Quoniam , decidente veteri controversia . . , Baal paulatim con-
fusus est, et mundo obsordet donorum Spiritus sancti fraudulentus mercator.
^ Vgl. Giesebrecht III, 600—643.
Kühncke, Wibert v. E. 6
82 Von der Erhebung Urbans II. zum Papst bis zum Abzüge Heinrichs IV. etc.
Mittelpunkte. Am 10. April 1090 war er in Verona, im Mai schritt
er zur Belagerung von Mantua, einer Hauptposition der Gräfin.
Wibert hatte nach seiner Vertreibung aus Rom Ravenna auf-
gesucht, wo wir ihn in den Monaten April und Mai des Jahres 1090,
viele Verleihungen an Grund und Boden vollziehend, findend Erst
als Heinrich vor Mantua lag, begab er sich zu diesem : am 26. Juni
1090 wird er als Intervenient bei Heinrich genannt neben dem
Kanzler Oger von Ivrea und dem Bischof Konrad von Utrecht in
einer Urkunde, welche dem Bischof Milo von Padua die Stadt Padua
nebst anderen Besitzungen und Rechten bestätigt -. Ausgestellt ist
sie vor der Burg Rivaita am Mincio, westlich von Mantua, die Hein-
rich im Sommer 1090 eroberte ^.
Des Kaisers Geschicke in Italien gestalteten sich im Anfange
seines Aufenthalts sehr günstig*; Mantua wurde im April 1091 ge-
nommen, damit Norditalien bis zum Po unterworfen. Ende 1091
erlitt ein Heer Mathildes eine bedeutende Niederlage bei Tricontai.
Im Sommer 1092 begann Heinrich die apenninischen Burgen Ma-
thildes anzugreifen und eroberte mehrere. Die Gräfin war in der
äufsersten Bedrängnis während der Belagerung von Monteveglio und
nahe daran, mit Heinrich ihren Frieden zu machen.
Es war nicht das erste Mal, dafs in diesen Jahren Friedens-
vorschläge an Heinrich herantraten, alle Verhandlungen aber schei-
terten, wie diese, zumeist an der Existenz Wiberts, daher wir hier
auf diese Dinge eingehen müssen.
Wiberts Erhebung war einst für Heinrich eine Notwendigkeit
gewesen, wenn er die Kaiserkrone erlangen wollte. Aber kaum ist
ihm eine Handlung in der Art verdacht worden und hat schlimmere
Folgen für ihn gezeitigt, als diese. Wir sahen (S. 49), dafs er im
Jahre 1083 noch geneigt gewesen war, Wibert fallen zu lassen.
Dies zu thun war unmöglich, und der Bruch unheilbar geworden,
als Heinrich die Kaiserkrone von dem durch seine Macht inthroni-
sierten Wibert erhalten hatte ; hätte er ihn da noch aufgegeben, so
hätte er die Axt an die Wurzeln seiner eigenen Existenz gelegt. Und
seitdem ist Wibert das hauptsächlichste Hindernis gewesen, das
allemal zwischen den Kaiser und seine Gegner getreten ist, wenn
sie zu einer Verständigung sonst geneigt oder etwa genötigt waren.
Auf Walrams Nachrichten über den Erzbischof Hartwich von
Magdeburg '' will ich in dieser Hinsicht so viel Gewicht nicht legen.
' Jaffe-L. I, 653 nach Rubeus 314.
2 Jaffe-L. I, 653. Stumpf 2904. Giesebrecht III, 1176.
=» Donizo 2, 466 SS. XII, 389. ^ Vgl. Giesebrecht III, 643-650.
^ Walram de unit, eccl. 2, 25 ed. Schweukenbecher S. 91 f.
Von der Erhebung Urbans II. zum Papst bis zum Abzüge Heinrichs IV. etc. 83
da sie allem widerstreiten, was wir sonst von diesem Geistlichen
wissen. Er habe sich 1088 mit Heinrich ausgesöhnt und sein Erz-
bistum zurückerhalten, dann aber gegen den Kaiser gewühlt und
u. a. erklärt: imperatori vero promissam fidem et promissum servi-
tium libenter conservare, si velit publice confiteri, se vinculo ana-
thematis ligatum esse et inde solvi per participes sui Gregorii papae,
si etiam velit Wigbertum deponere.
Als aber die Friedenssehnsucht in Deutschland immer stärker
wurde, kamen Ende 1089 die gregorianisch gesinnten deutschen Für-
sten persönlich mit Heinrich zusammen ^ Sie versprachen, ihn im
Reiche zu erhalten, wenn er sich von Wibert lossagen und in die
kirchliche Gemeinschaft, rite absolviert zurückkehren wolle. Heinrich
soll nach Bernold geneigt gewesen sein, auf diese Bedingungen ein-
zugehen, und zur Ablehnung derselben nur durch die Vorstellungen
der Bischöfe bewogen worden sein, welche von Wibertisten geweiht
waren und nach einer Versöhnung für ihre Stellen fürchteten. Die
Glaubwürdigkeit dieser Nachricht möchte ich bezweifeln, Bernold
hat sich die Dinge nach seinem Standpunkt zurechtgerückt; wollte
Heinrich Wibert fallen lassen, so brauchte er auf die Bischöfe keine
Bücksicht zu nehmen, denn er befand sich durchaus in keiner Zwangs-
lage, aber er wollte und konnte ersteres nicht.
Von einem Friedenskonvent in Speier im Februar 1090 ist uns
Näheres nicht bekannt ^.
Wieder aber kam zur Zeit der gröfsten Waffenerfolge Heinrichs
im August 1091 Herzog Weif von Bayern in die Lombardei nach
Verona^ und machte neue Anerbietungen zum Frieden. Die Be-
dingungen, die er stellte, waren Bückgabe der weifischen Güter und
kanonische Neubesetzung des von Wibert usurpierten apostolischen
Stuhles. Erstere Bedingung Avar erfüllbar und wurde ja auch später
(1097) wenigstens durch die Bückgabe des Herzogtums Bayern er-
füllt. Die Sache scheiterte daran , dafs Heinrich Wibert nicht
preisgeben konnte, der eben erst * von den Bömern zurückgerufen
worden war. Voll Groll kehrte Weif nach Schwaben zurück^.
1 Bern. 1089 SS. V, 450. Giesebrecht III, 641 u. 1175. Man kann diese
Verhandlungen nicht mit Wiberts Vertreibung aus Rom in Zusammenhang
bringen, wie Lehmann-Danzig, Das Buch Widos von Ferrara S. 9 u. 14 f. zu
thun geneigt ist. Deutsche Verhältnisse gaben den Anlafs.
2 Ann. Rosenveld. 1090 SS. XVI, 101. Ann. Saxo. 1090 SS. VI, 726.
» Ann. August. 1091 SS. III, 133.
^ S. u. S. 86.
•■^ Bern. 1091 SS. V, 452. Giesebrecht III, 645 f. u. 1176. Cfr. Ann. August.
1091 SS. III, 133.
6*
84 Von der Erhebung Urbans II. zum Papst bis zum Abzüge Heinrichs IV. etc.
Noch einmal ging es so , wie schon angedeutet, während der
Belagerung von Monteveglio (August, September 1092). Schon waren
Friedensverhandlungen zwischen Heinrich und Mathilde im Zuge,
fast hatte man sich für den Abschlufs des Vertrages entschieden,
als Mathilde noch im letzten Augenblicke in einer Versamm-
lung hoher, ihr nahestehender Geistlicher zu Carpineto den Ent-
schlufs fafste, ihn nicht zu unterzeichnen. Hauptanstofs war auch
hier die von Heinrich gestellte Bedingung, Wibert müsse als recht-
mäfsiger Papst anerkannt werden ^
Noch ist für die Friedenssehnsucht, die sich in den Jahren
1089—91 geltend machte, charakteristisch die sogenannte Alter-
catio inter Urbanum et dementem -. Beide werden mit einander
streitend eingeführt, jeder behauptet, er sei der rechtmäfsige
Papst.
1 Donizo 2, 625 ff. SS. XII, 392. Giesebrecht III, 648 f. u. 1176.
2 Cod. Udalr. 79 bei Jaffe , Bibl. V, 158—161. Jaffe setzt sie in das Jahr
1090, Giesebrecht III, 646 u. 1176 in 1091. Vgl. Lehmann-Danzig, Das Buch
Widos von Ferrara S. 15 f. Die zeitliche Begrenzung ergiebt sich folgender-
mafsen. Terminus a quo ist zunächst Urbans II. AVahltag, der 12. März 1088;
dann aber wird mit Urbans Namen ein Wortspiel getrieben, indem ihm (v. 3)
der Vorwurf gemacht wird, er heifse Urbanus und sei doch ab urbe proiectus.
Das war der Fall Sommer 1089 bis Winter 1089 und Sommer 1090 bis No-
vember 1093. 1089 wurde auch Wibert bald vertrieben, und Urban kehrte
schnell zurück , mit mehr Wahrscheinlichkeit ist daher das Gedicht nach der
zweiten Vertreibung (Sommer 1090) anzusetzen. Der terminus ad quem wird,
wie Jaffe schon festgestellt hat, durch Vers 49 u. 50 bestimmt. Die beiden
Verse zielen unzweifelhaft auf Bischof Heinrich von Lüttich (1075—1091) ; dieser
ist am 31. Mai oder am 2. November 1091 gestorben. S. Aegidii Aureaevall.
gesta epp. Leod. 3, 13 SS. XXV, 90 u. Anm. 12 das. Garns 249. Der 2. No-
vember stützt sich auf die Angabe des liber ecclesiae Leodiensis defunctorum
oder liber mortualis Lambertianus bei Foulion I, 246 und scheint mir den Vorzug
zu verdienen. — Das Gedicht fällt also zwischen Sommer 1090 und Spätherbst
1091 , wenn Heinrich am 2. November gestorben ist. — Kaiser Heinrich war
jedenfalls schon in Italien, wozu stimmt, dafs die aufser Heinrich von Lüttich
genannten beiden deutschen Bischöfe, Erzbischof Liemar von Bremen und
Bischof Konrad von Utrecht, Heinrich dorthin begleiteten (Giesebrecht III, 645
nach einer Urkunde vom 17, Mai 1091, Stumpf 2909). — Ich entscheide mich
für 1091 ; dazu bestimmt mich wesentlich, dafs in den August dieses Jahres der
Versuch Welfs fällt, mit dem Kaiser seinen Frieden zu machen, wobei ja die
Forderung war, Wibert solle fallen gelassen werden. Das war ein geeigneter
Zeitpunkt für solche Vorschläge, wie sie in unserem Gedicht enthalten sind. —
Auch dürfte ins Gewicht fallen, dafs es doch des komischen Beigeschmacks nicht
entbehren würde, wenn der Verfasser durch Wiberts Mund Urban vorhält, er
sei aus ßom verjagt, und Wibert sich in gleicher Lage befand. Dieser aber
war seit Anfang 1091 das ganze Jahr in Rom. — Ich bleibe also beim Herbst
1091, nicht lange vor Heinrichs von Lüttich am 2. November 1091 erfolgten Tode.
Vou der Erhebung Urbans II. zum Papst bis zum Abzüge Heinrichs IV. etc. 85
Urban will diesen Streit von einer Versammlung von Geist-
lichen und Juristen entscheiden lassen. Als Mitglieder derselben
schlägt er sechs französische (einschliefslich Besancon), drei
deutsche, drei italienische Bischöfe und eine Anzahl Juristen
vor. ^ Clemens ist mit dem Modus und den Personen ganz ein-
verstanden, dem Verdikte habe sich der für unrechtmäfsig Er-
klärte zu unterwerfen. Als Ort und Zeit der Versammlung
bringt er Rom und den Dreikönigstag, 6. Januar (1092), in
Vorschlag.
Dem stimmt wieder Urban zu , dann auch der Kaiser , der
von dieser Übereinkunft hört. Er erklärt : wenn einer von beiden
als der rechtmäfsige Papst von dieser Versammlung werde an-
erkannt werden, so wolle er dem betreffenden anhangen; würden
beide verworfen, so wolle er den anerkennen, den die Versamm-
lung zum Nachfolger wählen würde, und ihn, wenn nötig, mit seinem
Heere unterstützen.
Diese Lösung war natürlich bei den gegebenen Verhältnissen
unmöglich, und das Gedicht ist ein naiver Ausdruck der frommen
Wünsche des Verfassers, symptomatisch aber für das Verlangen
nach Frieden, das sich freilich vergebens aussprach.
•Naturgemäfs erstreckte sich der Einflufs des Glückes der kaiser-
lichen Waffen auch auf Wiberts Stellung. Dieser blieb im weiteren
Verlaufe des Jahres 1090 bei dem Kaiser, den er auch auf einem
Streifzuge in die Gegenden am unteren Po Ende 1090, Anfang 1091
begleitete. Am 31. Dezember 1090 und am 6. Januar 1091 ^ näm-
lich urkundet Heinrich in Padua, am 19. Januar 1091 ebenda
Wibert'^, dieser in paduanischen Angelegenheiten. Auf Bitten
der Bischöfe Milo von Padua und Robert von Faenza, sowie des
Archidiakonen von Padua, Petrus, bestätigt er für alle Zeiten
Existenz und Besitz des Nonnenklosters St. Peter in Padua ^.
In dieselbe Zeit wird eine Urkunde Wiberts für das Nonnen-
kloster St. Stephan in der Vorstadt von Padua fallen, die ganz
ohne Datum überliefert ist, aber dieselben Intervenienten, Milo von
Padua und Robert von Faenza, aufweist. Auch diesem Kloster
werden sämtliche Besitzungen bestätigt '^.
^ Sollte der Verfasser ein Franzose sein? Jedenfalls stimme ich Lehmann-
Danzig, Wido 16 zu, dafs er Urban geneigter ist.
'^ Stumpf 2905, 2906.
3 Jaffe-L. 5332 u. Addenda II, 713 bei Migne CXLVIII, 838.
* S. u. S. 88 u. Anm. 7 daselbst.
^ Gloria, Cod. dipl. Padovano 331, Ja£fe-L. II, 752 No. 5332 a.
86 Von der Erhebung Urbans II. zum Papst bis zum Abzüge Heinrichs IV. etc.
Nicht lange darauf thaten Heinrichs Erfolge ihre Wirkung in
Ronij die Partei Wiberts daselbst nahm einen Aufschwung, wie
noch nie, selbst die Engelsburg, die bis dahin noch stets von den
Gregorianern behauptet worden war, fiel Anfang 1091 in die Hände
der Wibertisten. Sofort beriefen diese Wibert in die Stadt zurück ^
Er entsprach ihrer Aufforderung auf der Stelle und zog etwa um
dieselbe Zeit wieder in seine Hauptstadt ein ^ zu welcher er von
Urban, der indessen in Unteritalien von einem Orte zum anderen
zog, auf der Synode von Benevent (28. — 31. März 1091) von neuem
mit dem Bannfluche belegt wurde -.
Das ganze Jahr hindurch hielt er sich hier, denn Bernold mufs
zu seinem Schmerz berichten, dafs Urban das Weihnachtsfest 1091
aufserhalb Roms verlebt habe, da Wibert sich bei der Peterskirche
(domus sancti Petri) dermafsen verschanzt habe, dafs er nicht leicht
ohne Blutvergiefsen hätte vertrieben werden können •^; solch gewalt-
sames Vorgehen habe aber der gutmütigen Natur Urbans wider-
strebt, der mit einem Heere sich Roms ohne Mühe hätte bemäch-
tigen können ^, d. h. wenn er eines gehabt hätte.
Zum Jahre 1092 berichten nun die Annales Ottenburani: Wig-
bertus 2:)apa synodum indixit, quae prorsus contempta est, natürlich
nur von den Gegnern ^. Wohin und wann des näheren diese S}1iode
berufen, und was auf ihr verhandelt worden ist^ davon kann man
sich keine Vorstellungen machen, da die eben mitgeteilte Nachricht
die einzige Spur ist, die wir von dieser Versammlung haben. Viel-
leicht kann man aus der Form der Nachricht entnehmen, dafs die
Synode in den Kriegsläuften nicht zustande gekommen ist; sie wird
vor dem Juni angesetzt werden müssen, da Wibert in diesem Monat
nicht mehr in Rom und dann nach kurzem Aufenthalt im Raven-
natischen im Kriegslager Heinrichs IV. anwesend war; an beiden
letzteren Orten wird sie schwerlich gehalten oder zu halten beab-
sichtigt worden sein.
AVibert verliefs Rom freiwillig, denn seine Partei besafs noch
bis November 1093 die Oberhand und konnte Urban von Rom fern-
halten. Er begab sicli zuerst in seine Diözese, während Heinrich
in den Apenninen Mathildes Burgen belagerte ; er ahnte wohl nicht,
dafs er Rom nicht wieder betreten würde. Am 13. Juni urkundet
1 Bern. 1091 SS. V, 451.
2 Bern. 1091 SS. V, 451. Jafte-L. I, 653 u. 668.
3 Bern. 1092 SS. V, 453.
* Bern. 1091 SS. V, 451.
"^ Ann. Ottenbur. 1092 SS. V, 8. S. o. S. 78.
Von der Erhebung Urbans II. zum Papst bis zum Abzüge Heinrichs IV. etc. 87
er in Cesena zu Gunsten der Kanoniker von Reggio, deren Be-
sitzungen er bestätigt ^.
Im August finden wir ihn wieder beim Kaiser, der ja längere
Zeit vor der Burg Monteveglio liegen mufste -, ohne sie erobern zu
können. Seine Anwesenheit ergiebt sich zunächst aus Donizo ^; weiter
aus einer von ihm am 9. August 1092 * für die Abtei St. Deodat,
d. i. St. Die-en-Yosges südöstlich Luneville ausgestellten Urkunde.
Als Intervenient wird in ihr der Kardinal Anastasius genannt ^.
Kanonikus von St. Deodat, der erste, den Wibert zum Kardinal ge-
macht hatte. Der Papst nimmt die Abtei in seinen Schutz und be-
stätigt ihre Besitzungen und Hechte ^. Drei Tage darauf, am 12. Au-
gust, thut Kaiser Heinrich dasselbe, und zwar obtentu summi ponti-
ficis ac universalis papae tertii Clementis ', womit wir ein drittes
Zeugnis für dessen Anwesenheit erhalten.
Aber schon hatte Heinrich den Höhepunkt seiner Machtent-
wickelung erreicht, ein um so tieferer Fall folgte ^. Der Oktober
1092 war der Wendepunkt ; nachdem die Belagerung von Monte-
veglio hatte abgebrochen werden müssen, erlitt Heinrich eine Nieder-
lage bei Canossa, die ihn zum Bückzug hinter den Po zwang, über
den er nicht wieder hinausgekommen ist. Rasch folgten harte Schläge :
im Anfang 1093 der Bund lombardischer Städte gegen ihn; das
Wiederaufleben der Pataria; etwa um Ostern 1093 die Empörung
seines ältesten Sohnes Konrad; endlich 1094 die Skandale, welche
1 Ja£fe-L. 5333 bei Migne CXLVIII, 839. — Um dieselbe Zeit kann auch
die Schenkungsurkunde an 24 Kardinäle von ihm ausgestellt sein, die Fantuzzi,
Mon. Rav. II, 289 No. 1 Reg. erwähnt, ohne im geringsten nähere Angaben zu
machen.
~ Donizo 2, 616 ö". SS. XII, 392. ^ Donizo 2, 622 ff. SS. XII, 392.
^ Jaffe-L. 5334 bei Pflugk-Harttung, Acta pontif. I, 53.
^ rogatu Anastasii apostolatus nostri primogeniti cardinalis et dilectissimi
filii, ecclesiam beati Deodati, cuius ipse canonicus est ....
^ Pflugk-Harttung macht S. 55 der Acta ganz richtig darauf aufmerksam,
dafs die corroboratio : Quod ut certius credatur et diiigentius ab omnibus ob-
servetur, presentes litteras manus nostre signo firmavimus et sigilli nostri im-
pressione corroborari precepimus auf den Einflufs fremder Kanzlei zurück-
zuführen sei. Ich denke an deutsche, aus der kaiserlichen Kanzlei übernommene
Beamte (S. u. Exkurs I S. 130). Ganz ähnliche corroboratio (s. Pflugk S. 55)
in Jaffe-L. 5322 u. 5324 bei Migne, CXLVIII, 830 u. 831, namentlich in 5322.
S. auch 5323 bei Savioli, Ann. Bologn. I, 2, 133 ; 5326 im Neuen Archiv II, 219.
Und nicht nur in diesem Punkte zeigt sich Verwandtschaft mit der kaiserlichen
Kanzlei, auch in anderen, was jedem auffallen wird, der die Urkunde liest.
' Stumpf 2915 bei Duhamel, Documents de Thist. des Vosges II, 154. S.
Exkurs II.
» Vgl. Giesebrecht III, 650—660.
88 Voll der Erhebung Urbans II. zum Papst bis zum Abzüge Heinrichs IV. etc.
seine zweite Gemahlin Adelheid, eine Russin, gegen ihn erregte. Er
mufste gar hinter die Etsch weichen, seine Sache war gänzlich ver-
loren, er hatte keine namhaften Anhänger mehr und war zur Ohn-
macht verdammt.
Diesen Umschwung der Dinge erlebte AVibert in Heinrichs Nähe.
Um Weihnachten 1092 waren beide in der Lombardei ^, Weihnachten
1093 in Verona ^. Sie waren in der entsetzlichsten Stimmung, vor
allem natürlich Heinrich, der an Selbstmord gedacht haben soll ^.
Wibert aber erklärte sich bereit, auf sein Papsttum zu verzichten,
wenn der kirchliche Friede anders nicht hergestellt werden könne ^.
Dazu war es nun zu spät. Seine Lage wird ihm um so unerträg-
licher gewesen sein, als er sich von seiner Diözese ausgeschlossen
sah; dort hatte er wohl genug Anhänger, aber er durfte Heinrich
nicht verlassen, der wieder seine Verbindung mit Deutschland nicht
aufgeben konnte. Ravennatische Urkunden AViberts haben wir aus
all diesen Jahren nicht.
Und das Ende dieser Leidenszeit war nicht abzusehen. Drei
lange Jahre noch (1094, 95, 96) war Heinrich, fast von allen ver-
lassen, eingezwängt im Osten Italiens zwischen der Etsch, über die
er nur selten und wenig hinauskam, und den Alpen, zwischen Ma-
thilde und AVelf'\ AVährend dieser ganzen Zeit war AVibert bei
ihm, ebenso ohne Macht und Ansehen, wie Heinrich ohne Heer.
Die einzige Spur, die man von seinem Dasein in diesen Jahren hat,
ist die, dass er wiederholt als Intervenient in kaiserlichen Urkunden
genannt wird.
Im März 1095 waren beide in Padua; denn in einer Urkunde
aus dieser Zeit, durch welche dem Bistum Basel die Abtei Pfeffers
geschenkt wird, heifst es: grato interventu domini G. (wohl C.)
apostolici ^ ; nach dem Mai (vielleicht im Juni) 1095 in Verona, wo
Heinrich u. a. auch auf Bitten AViberts (venerabilis domini papae
Clementis interventu) das Nonnenkloster St. Peter zu Padua und
dessen Besitzungen in seinen Schutz nimmt ". AA^ahrscheinlich fällt
in den Mai des Jahres 1095 noch eine Urkunde ohne Orts- und Zeit-
angabe, in der aber Bischof AValbrun von Verona als Kanzler ge-
nannt wird, der als solcher nur im Mai und Juni 1095 nachweisbar
' Bern. 1093 SS. V, 455. ^ Bern. 1094 SS. V, 457.
^ Bern. 1093 SS. V, 456. * Bern. 1094 SS. V, 457.
■^ Vgl. Giesebrecht III, 673-676.
^ Stumpf 2928 bei Herrgott, Genealogia Habsburg. II, 130 und bei Trouillat,
Mon. de Bäle I, 210; Jaffe-L. II, 752.
^ Ja£fe-L. I, 654. Stumpf 2931. Es ist dasselbe Kloster, für welches Wibert
am 19. Januar 1091 urkundete (Jaffe-L. 5332). S. o. S. 85.
Von der Erhebung Urbans II. zum Papst bis zum Abzüge Heinrichs IV. etc. 89
ist. Es werden in der Urkunde sämtliche Privilegien des Bistums
Padua bestätigt; unter den Intervenienten befindet sich dominus
Clemens apostolicus ^
Aus dem Jahre 1096 haben wir dann noch ein urkundliches
Zeugnis in einer Schenkungsurkunde für Erzbischof Liemar von
Bremen-Hamburg -. Die Schenkung, heifst es da, sei schon in puri-
ficatione sanctae Mariae (2. Februar) in Verona gemacht worden, da-
mals sei Papst Clemens nicht anwesend gewesen; jetzt werde darüber
eine Urkunde ausgestellt und zwar in Padua presente et laudante
ac confirmante domno papa Clemente. Dies mufs zwischen dem 1. April
(wegen anno imperante XIII) und dem I. September (wegen ind. IV)
geschehen sein, näher läfst sich die Zeit nicht bestimmen.
V^ährend dieser langen gezwungenen Unthätigkeit Heinrichs
und Wiberts konnten die Gegner um so energischer vorgehen.
Nachdem Mathildes Waffen den Sieg der päpstlichen Partei ent-
schieden hatten, und es Urban im November 1093 gelungen war,
sich wieder in Rom festzusetzen, trat er jene berühmte Reise
an ^, welche die ganze Welt in Bewegung setzen sollte, und deren
hervorragendste Staffeln die Konzilien von Piacenza (März 1095)
und Clermont (November 1095) sind *. Auch hierin folgte er
den Fufsstapferi Gregors. Den Zug der Zeit erkennend, hat er es
verstanden, ihn für seine Zwecke, für die römische Kirche auszu-
nutzen und in deren Dienst zu stellen. Und wohl wird er sich be-
wufst gewesen sein, in einen wie unendlichen Vorteil er gegenüber
den kirchlichen Gegnern damit sich setzte. Freilich traf er während
dieser Reise auf den Konzilien und sonst noch eine Fülle ander-
^ Jaffe-L. I, 654. Stumpf 2994. ^ Jaffe-L. I, 654. Stumpf 2934.
3 Vgl. Giesebrecht III, 661—672.
* Während dieser Reise . vielleicht zur Zeit des Aufenthaltes Urbans in
Poitiers (Januar 1096) (Jaffe-L. I, 684) sind wohl jene Verse an Wibert ent-
standen, die Wilhelm von St. Hilarius zu Poitiers zum Verfasser haben. Aus-
beute für die Geschichte Wiberts ergeben sie nicht, sie enthalten eine Ermah-
nung, den betretenen Weg zu verlassen, umzukehren und bei Urban Verzeihung
nachzusuchen, von dem (v. 19) gesagt wird :
Est pius indultor, tamen equo criminis ultor.
Die Verse sind neuerdings mit orientierenden Bemerkungen von L. Weiland in
den Roman. Forschungen I, 418 herausgegeben; hinzuzufügen wäre etwa, dafs
man sie auch bei Migne GL, 1573 gedruckt finden kann.
Von Wibert heifst es u. a. v. 11 :
Stat merito Demens nomen tibi, stat male Clemens.
Dieses Wortspiel mufs damals beliebt gewesen sein. Cfr. Deusdedit contra in-
vas. 2, 12 bei Mai, Nova patrum bibl. VII, 3, 94: Idem vero Guibertus, qui
multo rectius papa demens , quam papa Clemens dici debuit etc. Ihm schreibt
es Petrus Casin. 3, 70 SS. VII, 751 nach.
90 Von der Erhebung Urbans II. zum Papst bis zum Abzüge Heinrichs IV. etc.
weitiger Verordnungen allgemeiner und spezieller Natur^ doch ist
die Kreuzzugsfrage die Hauptsache. Naturgemäfs aber, wenn auch
nicht mehr in erster Reihe, wurde der Gegner in gewohnter "Weise
gedacht, d. h. sie wurden exkommuniziert.
Dies hatte schon vor Urbans Reise der energische päpstliche
Legat in Frankreich, Erzbischof Hugo von Lyon, am 16. Oktober
1094 auf einem französischen Konzil in Autun getlian, wo er ähnlich
wie einst Otto von Ostia in Quedlinburg (s. S. 63) Kaiser Heinrich,
Wibert und alle Anhänger derselben mit dem Banne belegte ^ Urban
selbst erneuerte den Bann über Heinrich, Wibert und deren An-
hänger auf der Synode zu Piacenza im März 1095 ^ Ausdrücklich
wird uns von gleichzeitigen Autoren zwar dasselbe nicht berichtet
von den Konzilien von Clermont (November 1095) und Tours (März
1096); da aber auf beiden Urban die Beschlüsse bezw. von Piacenza
und der vorhergegangenen Konzilien bestätigte, ist es wohl inbe-
griffen ^. Dazu weifs wenigstens der etwas spätere Wilhelm von
Malmesbury (-j- 1141), dafs in Clermont Heinrich und Wibert ge-
bannt worden seien ^.
Im Dezember 1096 traf Urban gleichzeitig mit den ersten Kreuz-
fahrern wieder in Rom ein '\ Von Wiberts Stellungnahme zum Kreuz-
zugsgedanken hören wir gar nichts und sind rein auf Vermutungen
angewiesen. Da auf ihm die Hauptstärke seiner Gegner beruhte,
konnte er ihm nicht günstig gesinnt sein, dem entsprechend mifs-
handelten seine Anhänger in Rom die Kreuzfahrer ^. Gleichwohl
wird er sich ihm offen schwerlich entgegengesetzt haben, abgesehen
davon, dafs ihm die Macht dazu fehlte; denn die Zeitgenossen waren
meistens so sehr von dem Gedanken ergriffen , dafs Wibert seine
ohnehin schlechte Stellung damit nur noch mehr erschüttert haben
würde. Aufgreifen konnte er ihn aber auch nicht, da Deutschland,
das doch seine Hauptstütze hätte bilden müssen, sich damals noch
den Kreuzzügen gegenüber gleichgültig verhielt, und da er in Frank-
reich, wo die gröfste Begeisterung für dieselben herrschte, keine
Anhänger hatte.
1 Bern. 1094 SS. V, 461. Giesebrecht III, 662.
2 Bern. 1095 SS. V, 461. Donizo 2, 766 ff. SS. XII, 394. Giesebrecht III,
663. Cfr. Jaffe-L. I, 677 u. No. 5538.
» Bern. 1095 SS. V, 463 f. u. 1098 SS. V. 464. Cfr. Jaffe-L. I, 681 u. 685.
■* Will. Mahnesb., Gresta regum Angl. 4, 345 ed. Hardy II, 526.
^ Über die römischen Verhältnisse siehe das Nähere unten S. 93 ff.
« S. u. S. 94.
Vom Abzüge Heinrichs IV. aus Italien im Jahre 1097 bis zu Wiberts Tod. 91
Neuntes Kapitel.
Yoin Abziige Heinriclis IV. aus Italien im Jalire 1097 bis zu
Wiberts Tod.
Das Jahr 1097 brachte Heinrich und Wibert Erlösung aus ihrer
Lage ^. Infolge einer Versöhnung mit den Weifen wurden die Alpen-
pässe frei und Heinrich konnte im Frühjahr nach Deutschland zu-
rückkehren ; er nahm das Bewufstsein mit, dafs seine Macht in Italien
vernichtet war. In den nächsten Jahren gelang es ihm zwar, mit
den deutschen Fürsten ein Einvernehmen zu erzielen, aber nur wegen
der allseitigen Erschöpfung und Sehnsucht nach Ruhe. Und wurde
er auch von den Fürsten als Kaiser anerkannt, so war die mit dieser
AVürde verbundene Machtfülle gering, zwischen Kaiser und Fürsten
bestand mehr ein Vertrags-, denn ein Unterthanenverhältnis. Dazu
herrschte eine höchst betrübende öffentliche Unsicherheit im Reiche,
der Heinrich nicht zu steuern vermochte. So war er daheim genug-
sam beschäftigt und nicht imstande, sich irgendwie thätigum seinen
Papst in Italien zu bekümmern. Sein trauriges Ende liegt aufser-
halb der Zeit, die wir zu betrachten haben.
Wibert war seit 1097 ganz auf sich und die Hülfsquellen an-
gewiesen, die ihm Italien zu bieten vermochte. Als er sich von
Heinrich getrennt hatte, gelang es ihm, endlich in sein Erzbistum
zurückzukehren, das er seit 5 Jahren nicht hatte betreten können.
In seinem Sprengel hielt er sich bis zum Sommer 1099 auf und
stärkte langsam in steter Arbeit seine Kräfte ; und während es schien,
als ob das Jahr 1097 seinen Ansprüchen gründlich ein Ende be-
reitet habe, gelang es ihm doch noch wieder, eine Rolle zu spielen.
Wie unsicher zu Anfang seine Lage war, zeigt, dafs er sich in
einem stark verschanzten Kastell zu Argenta am Po festsetzte -,
wodurch er den Übergang über diesen Flufs hinderte. Aber auch
dieses verlor er Ende 1097 oder Anfang 1098 ^, ohne dafs er bei der
Eroberung durch die Gegner noch anwesend war ^ Doch konnten
diese ihren Erfolg nicht ausnutzen. Wibert entfaltete eine lebhafte
Thätigkeit, seine Stellung immer fester zu machen, wie wir aus den
noch vorhandenen Spuren deutlich erkennen können.
^ Vgl. Giesebrecht III, 675 ff.
^ Deusdedit contra invas. 2, 12 bei Mai, Nova patrum bibl. VII, 3, 94. Hier-
nach Petrus Casin. 3, 70 SS. VII, 750 f., der Deusdedit 2, 11 u. 12 sinnlos ver-
schmolzen hat. Vgl. Giesebrecht, Münch. histor, Jahrbuch 1866 S. 185 f. und
KZ. III, 1166 u. 1181.
•'' Bern. 1098 SS. V, 465. * Cfr. Bertoldi, Mem. stör. d'Argenta II, 170.
92 Vom Abzüge Heinrichs IV. aus Italien im Jahre 1097 bis zu Wiberts Tod.
Als er am 22. September 1097 in Cesena weilte \ war er von
zweien seiner Suffragane, Bischof Morand von Imola und Bischof
Wido von Ferrara, und einer ganzen Anzahl weltlicher Grofser um-
geben. Und der beurkundete Vorgang war auf die Stärkung seiner
Macht gerichtet: Ugolinus nämlich, der Sohn jenes Grafen Wido von
Imola, an den sich einst Gregor in der Imolensischen Streitsache
gewendet hatte ^, schwört ihm Treue, sicut vassallus solet iurare do-
mino suo ; dafür dafs er seinen Eid halten werde, leistet er Bürg-
schaft, indem er gewisse Besitzungen an Land zu Händen Wiberts
deponiert. Weil er frei über die Güter verfügt, wird der alte Graf
Wido verstorben sein. Für 1098 wird eine umfassende Thätigkeit
Wiberts durch Bubeus bezeugt, der viele Urkunden aus diesem Jahre
gesehen hat"', die sich auf Güterverleihungen beziehen; erhalten sind
uns zwei, die Wiberts Anwesenheit in Ravenna am 15. Mai und am
9. Juni 1098 verbürgen *, beide überweisen Güter an sonst unbekannte
Eingesessene, die vom 15. Mai unter dem Vorbehalt, dafs der Em-
pfänger, Petrus de Berta, nichts gegen die Bavennatische Kirche unter-
nehme. Sonst läfst sich für Wibert nichts aus ihnen gewinnen.
Schon im Frühjahr 1098 war er in der Lage, einen der hervor-
ragendsten Anhänger Urbans, Anselm von Canterbury, der nach Rom
reisen wollte, ernstlich in die Furcht zu versetzen, dafs er könnte
abgefangen werden. Anselms Begleiter Eadmer erzählt nämlich ^ :
Supererat quoque ea tempestate Wibertus archiepiscopus Ravennas,
qui de apostolatu, quem contra ius invaserat, pulsus, omni religiosae
personaeRomam petenti per se suosque modis quibus j)oterat struebat
insidias. Unde quidam episcopi, monachi et religiös! clerici . ea
seviente persecutione, capti, spoliati multisque contumeliis affecti,
necati sunt Der Erzbischof entging freilich diesen Fährlich-
keiten. Noch mehr aber mufs man sich wundern, dafs Wibert daran
denken konnte und dazu aufforderte, am 9. Oktober 1098 eine Synode
in Vercelli zu halten ^, auf der die Angelegenheit des Erzbischofs
Ruthard von Mainz vorkommen sollte, von welcher weiter unten die
Rede sein wird ; ob sie zusammengetreten ist, wissen wir nicht.
1 Mittarelli, Ann. Camald. III, 56 und Fantuzzi, Mon. Kav. IV, 228. Cfr.
Jafife-L. I, 654.
•^ S. o. S. 23. ^ Rubeus, Hist. Kav. 315.
* G-edruckt bei Amadesi, Antist. Rav. II, 345 u. 346; s. daselbst 8. 188.
Cfr. Fantuzzi, Mon. Rav. II, 419 No. 16 Reg.
^ Eadmeri bist. nov. in Anglia lib. 2 SS. XIII, 140; vgl. S. 141 daselbst.
6 Jaffe-L. 5337 im cod. Udalr. 89 bei Jafte, Bibl. V, 174; vgl. Giesebrecht
III, 694 u. 1182.
Vom Abzüge Heinrichs IV. aus Italien im Jahre 1097 bis zu Wiberts Tod. 93
Und im Sommer 1099 fühlte er sich gar stark genug, einen Zug
gegen Rom zu unternehmen \. wo er erst kurz vorher, auf der Synode
vom Ende April 1099, von Urban noch einmal und zum letzten Male
mit dem Banne belegt worden war ^.
Wir müssen uns kurz unterrichten, wie sich seit der ersten
Hälfte des Jahres 1092, seitdem Wibert Rom verlassen hatte, die
Lage der Stadt und der Anhänger Wiberts in ihr gestaltet hatte '^
Noch bis Ende 1093 behaupteten sich diese im Alleinbesitze Roms *,
und Urban mufste Weihnachten 1092 auswärts feiern. Heinrichs
sich drängende Niederlagen brachten auch hier einen Umschwung
hervor, freilich erst ganz allmählich; seit den Tagen Robert Gruiscards
war die Partei der Gregorianer noch nie wieder recht zu Kräften
gekommen. Am 2. November 1093 konnte Urban aus Alatri den
südfranzösischen Bischöfen und Abten schreiben '', er hoffe , dafs
demnächst die Freiheit des apostolischen Stuhles werde wiederher-
gestellt werden.
W^irklich gelangte er zwischen dem 20. und 24. November 1093
nach Rom hinein, ohne dafs er ein Heer bei sich hatte, und feierte
dort Weihnachten ^ Im Anfange aber glich seine Lage sehr der
von 1088/89, noch waren die Wibertisten stärker als er; indes ver-
mochten sie nicht, seinen Verkehr mit der Aufsenwelt ganz zu hindern;
Bischof Ivo von Chartres z. B. , der mit ihm in Rom eingezogen
war, konnte ihn im Januar 1094 ungehindert verlassen ^, Abt Gottfried
von Vendome bald darauf, zur Fastenzeit, freilich im Schutze der
Nacht zu ihm gelangen ^. Urban hielt sich in einer Befestigung des
^ Eine direkte Nachricht, dafs Wibert diesen Zug angetreten habe, besitzen
wir nicht. Zu dem Schlüsse, dafs er schon im Sommer 1099 vor Rom stand,
berechtigt die Datierung von Ja£fe-L. 5389: Data per manus Tiedrici Albanensis
episcopi IV. Kai. Augusti, defuncto Urbano VI. Kai. Augusti sine viatico
corporis et sanguinis Domini. Urbans Todestag ist aber irrig angegeben, es ist
der 29., nicht der 27. Juli ; Wibert hat wohl ein verfrühtes Todesgerücht gehabt,
jedenfalls konnte er nur vor Rom dieses Ereignis so schnell erfahren.
2 Jafie-L. I, 700. Bern. 1099 SS. V, 466. Vgl. im allgemeinen Eadmeri
hist. nov. lib. 2 SS. Xill, 143 (vita Ans. 2, 49) und Will. Malmesb., Gesta pont.
Angl. lib. 1 ed. Hamilton S. 103. Giesebrecht III, 692.
^ Vgl. aufser Giesebrecht auch Gregorovius, Geschichte der Stadt Rom^
IV, 260 ff.
* Bern. 1093 SS. V, 455. & Jaffe-L. 5494 bei Migne CLI, 368.
« Jaffe-L. 5498, 5499 I, 673, 674. Bern. 1094 SS. V, 457 f. Ivo Carnot.
epist. 27 bei Migne CLXII, 40. Goffr. Vindocin. epist. 1, 8 nach Sirmonds
Ausgabe bei Migne CLVII , 48 und bei Watterich , Vitae pont. I, 590. Giese-
brecht III, 654 u. 1177.
' Ivo Carnot. epist. 27 a. a. O.
^ Goffr. Vindocin. epist. I, 8 a. a. 0. Dagegen fiel ein Gesandter des Her-
94 Vom Abzüge Heinrichs IV. aus Italien im Jahre 1097 bis zu Wiberts Tod.
Johannes Frangipani bei der Kirche Sancta Maria Nova am Palatin
auf. Seine Gegner befanden sich namentlich noch im Besitze des
Lateran und der Engelsburg, von letzterer aus beherrschten sie die
Tiberbrücke zwischen der Leostadt und dem jenseitigen Rom.
Die eine dieser Positionen gelangte noch Ostern 1094 in Urbans
Gewalt; der Befehlshaber des Lateran nämlich, Ferruccio, begann
einzusehen, dafs von Heinrich und Wibert nicht mehr viel zu er-
hoffen sei. So wandte er sich 14 Tage vor Ostern, am 26. März
1094, durch Unterhändler an Urban und erklärte sich zur Übergabe
des Lateran bereit, wenn man ihn mit Geld abfinde. Urban hatte
indes nur viele Schulden, aber kein Geld. Da war Abt Gottfried
von Vendome ein Better in der Not — worauf er sich nachmals
nicht wenig zu gute that — , er schaffte das Geld, und Urban ge-
hörte der Lateran \
Dafs der Papst im Sommer 1094 die Stadt verliefs, um seine
grofse Beise nach Oberitalien und Frankreich anzutreten '-, darf ge-
wifs als ein Anzeichen dafür betrachtet werden, dafs nach Urbans
Meinung die Bömer, noch zu grofsem Teile wibertistisch gesinnt,
vielleicht die Kraft haben würden, ihm die ganze Stadt wieder ab-
wendig zu machen, dafs aber, selbst dies Aufserste von Ungunst
gesetzt, der allgemeine Gang der Dinge dadurch nicht würde auf-
gehalten werden können. Er überliefs Bom sich selbst in der Er-
wartung, dafs es ihm schon zufallen werde, wenn erst die anderen
seine Anhänger wären. Die Bechnung trog nicht. Freilich erhoben
während seiner Abwesenheit die Wibertisten ihr Haupt kühner, noch
besafsen sie die Engelsburg und St. Peter. Es kam wiederholt zu
Kämpfen zwischen den beiden Parteien. Das hatten gegen Ende
1096 französische Kreuzfahrer bitter empfinden müssen, welche in
St. Peter ihre Andacht halten wollten, ehe sie die Beise antraten:
sie wurden von den Wibertisten beraubt und mifshandelt '^ Bald
zogs Berthold von Zähringen und des Bischofs Gebhard von Konstanz, ein
schwäbischer Abt, in die Gefangenschaft der Gegner, als er die Tiberbrücke
überschreiten wollte. Bern. 1094 SS. Y, 458.
^ Goffr. Vindocin. epist. 1, 8 a. a. O. Vgl. auch epist. 1, 9 u. 14 bei Migne
GL VII, 51 u. 55. Nach 1, 9 war auch Petrus, der Sohn Leos, an der Wieder-
gewinnung des Lateran in hervorragender "Weise beteiligt. — Xach 1, 14 erhielt
Gottfried von Urban für seine Dienste die Kirche der heiligen Prisca am Aventin
zurück, welche seine Vorgänger schon lange besessen hatten. Da sie aber Wibert
nicht hatten gehorchen wollen, waren sie verjagt worden. Mit der Kirche war
die Kardinals würde verbunden. Näheres in der ausführlichen Anm. 37 bei Migne
GL VII, 49 u. 52. — Ja£fe-L. I, 674, 675. Giesebrecht III, 656 u. 1177.
- Ja£fe-L. I, 675.
^ Fulcherius Carnot., Hist. Hierosol. 1, 2 bei Duchesne, Script, hist. Franc.
Vom Abzüge Heinrichs IV. aus Italien im Jahre 1097 bis zu Wiberts Tod. 95
darauf kehrte Urban zurück ^, begleitet von neuen Scharen von
Kreuzfahrern, so dafs er ohne jeden Kampf einzog. In einem Schrei-
ben aus den ersten Monaten des Jahres 1097 an Hugo von Lyon
sagt er, dafs er feierlich eingeholt worden sei, die Stadt zum gröfsten
Teil besitze, im Lateran eine Synode gehalten habe und sich von
den Bürgern und Regionen einen Eid habe schwören lassen ^. Das
Weihnachtsfest 1096 hatte er in Rom glanzvoll gefeiert ^. Nur ein
Punkt noch befand sich in den Händen der Wibertisten, nämlich
die Engelsburg ^ Es herrschte also jetzt das umgekehrte Verhält-
nis wie 1083 — 1091, als die Engelsburg die letzte Stütze der Gre-
gorianer gewesen war. Es war das immerhin eine starke Stellung,
und wir dürfen wohl annehmen, dafs die Besatzung der Burg Urban
manchen schweren Tag bereitet hat.
Die Lage blieb unverändert bis zum August 1098. Den weitaus
gröfsten Teil von 1097 verbrachte Urban in Rom, wo er auch das
Weihnachtsfest beging ^. Ebenso die erste Hälfte von 1098, wäh-
rend er zur Ordnung der unteritalienischen Angelegenheiten vom
Juni bis November 1098 im Süden Italiens sich aufhielt^. Wäh-
rend seiner Abwesenheit gelang es seiner Partei, einen grofsen Er-
folg zu erringen und den Wibertisten einen Schlag zu versetzen,
dessen Folgen noch Wibert bei seinem Erscheinen vor Rom zu
spüren hatte.
Noch kurz vor ihrem Falle hatten die Wibertisten stolze Be-
schlüsse gefafst. Am 5., 6. und 7. August 1098 nämlich versam-
melten sich hohe Geistliche, darunter die Kardinalbischöfe von
Silva-Candida, Ostia und Palestrina, ein Teil des anderen Klerus,
des Adels und des Volkes von Rom und verdammten noch einmal
die bereits früher verworfenen Ketzereien Hildebrands und seiner
Anhänger, die Schismatiker seien; sie beriefen die Gegner zur Ver-
antwortung auf eine Synode um deii 1. November und gewähr-
leisteten ihnen bis dahin Sicherheit , zu kommen und zu gehen,
soweit dies in ihrer Macht stehe '. Dies blieb eine Demonstration
IV, 820 und bei Bongars , Gesta Dei per Francos 385 , auch bei Bouquet , Re-
cueil XIV, 685 Anna. b. Cfr. Tudebodus, Hist. de Hieros. itin. Hb. 1 bei Du-
chesne, a. a. 0. IV, 778 u. a. Vgl. Giesebreclit III, 673 ; von Sybel, Greschichte
des ersten Kreuzzuges 332.
' Jaffe-L. I, 690.
" Jaffe-L. 5678. Cfr. Otto Frising. chron. 7, 6 SS. XX, 251 und Donizo 2,
818 ff\ SS. XII, 395 f. Giesebrecht III, 673 u. 1179.
3 Bern. 1097 SS. V, 465. ■» Otto Fris. a. a. 0. Bern. 1097 a. a. 0.
5 Bern. 1098 SS. V, 465. ^ jaffe-L. I, 691-694. Giesebrecht III, 688 ff.
" S. das Manifest der Versammelten : omnibus deum timentibus et salutem
Romanae reipublicae diligentibus vom 7. August 1098 bei Sudendorf, Registrum
96 Vom Abzüge Heinrichs IV. aus Italien im Jahre 1097 bis zu Wiberts Tod.
ohne Folgerij die Synode konnte nicht gehalten werden^ denn wenige
Tage darauf, am 10. August, verlor die Partei Wiberts ihren letzten
festen Stützpunkt, die Engelsburg ^, wie es scheint, durch Verrat -
und Bestechung. Bald darauf, im November, kehrte Urban nach
Rom zurück und weilte hier bis an sein Lebensende (29. Juli 1099)^.
Nur darf man nicht glauben, dafs er ruhig und sicher sein konnte ;
er starb in der Burg des Petrus Leonis und wurde mit Anwendung
von Vorsichtsmafsregeln bestattet ^. Denn noch immer hielt ein
grofser Teil der Bürgerschaft es mit Wibert, dem Vertreter der
kaiserlichen Sache ^ Und nun erschien dieser bei solcher Lage der
Dinge im Sommer 1099 kurz vor Urbans Tode vor den Thoren der
Stadt.
Das Griück war ihm günstig, da es ihn dergestalt von seinem
Gegner plötzlich befreite ^ Nun aber zeigten sich die Nachwirkungen
der Niederlage vom August 1098. Hätten seine sonst so zahlreichen
Anhänger in Rom sich im Besitze eines festen Mittelpunktes, wie
die Engelsburg war, noch befunden, so wäre eine Kooperation zu
ermöglichen gewesen, und die Aussicht, in Rom eindringen zu können,
steigerte sich in hohem Grade. Nun waren die in der Stadt zer-
streut; und Wibert selbst scheint allein nicht stark genug gewesen
II, 111 ff. No. 38. Mansi XX, 959. Cfr. Beno de vita et gestis Hiltebr. lib. 2
bei Goldast, Apologiae 26 f. Giesebrecht III, 691 u. 1181. — Die bei Suden-
dorf, Registrum II No. 34, 35, 36, 37, 39 Seite 45-111 u. 115 f. gedruckten
antigregorianischen Schriften hängen zum Teil sicher (wie No. 39; 36, wo sich
S, 97 fast dieselben Geistlichen namhaft machen, wie in No. 38, und von der
Verbrennung der Dekrete Urbans in der August -Versammlung reden), zum Teil
wahrscheinlich mit der Zusammenkunft vom August 1098 zusammen, bieten aber
dem Historiker so gut wie gar keine Ausbeute.
^ Das Datum giebt der Catal. imper. et pontif. Rom. Cencianus SS. XXIV,
106; die Notiz lautet: Tempore Urbani pape et Henrici imperatoris terre motus
fuit Rome in festo sancte Agnetis. Et castrum sancti Angeli a Romanis captum
est in festo sancti Laurentii. Castrum ipsum Sancti Angeli traditum est Petro
Leonis in vigilia sancti Bartholomei. Der letzte Satz soll wohl besagen, dafs
die eroberte Engelsburg am 23. August dem Petrus Leonis zur Bewachung über-
geben wurde. Vgl. auch Gregorovius, Gesch. der Stadt Rom* IV, 280. — Bern.
SS. V, 466 meldet zu Weihnachten 1098, dafs Urban dieses Fest in Rom ge-
feiert habe und zwar im Besitze der Engelsburg, während man zu Weihnachten
1097 davon noch nichts hört.
2 Cfr. Otto Frising. chron. 7, 6 SS. XX, 251. ^ Jaffe-L. I, 694—701.
* Petrus Pis., Vita Urb. IL bei Watterich I, 574.
^ Eadmeri vita Anselmi 2, 49 SS. XIII, 143 Anm. (zur Frühjahrssynode
1099) : Quid referam , nonnuUos cives ürbis , quorum ingens multitudo propter
fidelitatem imperatoris ipsi papae erat infesta, nonnunquam etc. Vgl. Gregoro-
vius, Gesch. der Stadt Rom * IV, 281.
6 Vgl. Giesebrecht III, 694—698. Jaffe-L. I, 701-703.
Vom Abzüge Heinrichs IV. aus Italien im Jahre 1097 bis zu Wiberts Tod. 97
ZU sein, um sich die günstige Konstellation zu nutze machen zu
können. So blieb Rom ruhig, und es war möglich, am 13. August
einen Nachfolger Urbans zu erwählen, am 14. zu konsekrieren in
der Person des Kardinalpriesters vom Titel des heiligen Clemens
(des gregorianischen Nachfolgers von Hugo Candidus) Rainerius, der
den Namen Paschalis II. annahm K Damit war auch in diesem
dritten Interregnum Wiberts Sache aussichtslos geworden. Der neue
Paj^st liefs es sich sehr angelegen sein, seinen Widersacher von Rom
zu verdrängen, wozu ihm eine Geldhülfe des Grafen Roger von Sici-
lien im Betrage von 1000 Unzen Goldes sehr gelegen kam ".
Wibert befand sich in Albano ^, wohl infolge von Bestechungen
fiel es von ihm ab, er mufste weichen. Er wandte sich nach Norden
und setzte sich in Sutri fest *. Auch von hier vertrieben, warf er
sich schliefslich nach Castellum , d. i. Civitä - Castellana (Herbst
1099) ^, wo er seitdem ein wenig beachtetes Dasein führte : Paschalis
war Sieger. Indes suchte Wibert von Sutri und Civitä-Castellana
aus den Gegnern noch möglichst Abbruch zu thun und sie zu reizen,
indem er die nach Rom Pilgernden anhalten und berauben *^ , be-
deutendere Persönlichkeiten einfach gefangen setzen liefs. Unter
den vielen, denen es nach Hugo von Flavigny so ergangen sein soll,
war z. B. Bischof Berard von Mäcon ', der auf dem Rückwege von
Rom war und so verhindert wurde, dem Konzil von Valence (30. Sep-
tember 1100) anzuwohnend Ferner der Karthäuser-Prior Landuin
von Lucca; dieser war auf einer Reise zu Ordensbrüdern in Cala-
brien begriffen, fiel in Wiberts Hände, widerstand aber allen Ver-
lockungen desselben trotz Drohungen und Versprechungen und wurde
in einem Kastell am Fufse des Monte-Soratte in der Nachbarschaft
von Civitä-Castellana interniert^. Dagegen waren im Frühjahr er-
1 Jaffe-L. I, 703.
^ Ausführliche Erzählung bei Petrus Pis., Vita Pasch. II. bei Watterich II, 4.
Cfr. Jaffe-L. HP. I, 655 u. 703.
^ Alba steht bei Petrus Pis., jedenfalls ist Albano, das alte Albalonga, zu
verstehen.
* Donizo 2, 884 ff. SS. XII, 397. Ordericus Vitalis, Hist. eccl. lib. 10
SS. XX, 66 und Watterich II, 20.
^ Petrus Pis. nennt die civitas Castellana gelegentlich ihrer Eroberung durch
Paschalis II. im September 1105 einen locus natura satis munitus.
« Donizo 2, 888 f. SS. XII, 397. In Vers 886 könnte übrigens Romanos
seducere caepit vielleicht bedeuten, dafs Wibert in Rom Zettelungen gegen
Paschalis anzustiften suchte.
' Hugo Flav. SS. VIII, 475.
8 Hugo Flav. SS. VIII, 488. Mansi XX, 1115.
^ Brevis historia ordinis Carthusiensis bei Martene, Collectio amplissima
VI, 162.
Köhncke, Wibert v. K. 7
98 Vom Abzüge Heinrichs IV. aus Italien im Jahre 1097 bis zu Wiberts Tod.
neute Versuche, Anselm von Canterbury auf seiner am 1. Mai 1099
angetretenen Rückreise von Rom nach Lyon gefangen zu nehmen,
fehlgeschlagen ^. Von den grofsen Gefahren der Reise weifs Wilhelm
von Malmesbury Näheres ^. Anselm habe den direkten Weg nach
Lyon gar nicht einschlagen können, sondern sei auf Umwegen durch
Berg und Wald gezogen. Es habe nämlich geheifsen, Wibert habe
einen Maler nach Rom geschickt, der Anselms Bildnis angefertigt
habe, damit er in jeder Verkleidung erkannt werden könne.
Unterdes hatte Wibert in einem Leben voll Thätigkeit, Auf-
regung und Enttäuschungen ein hohes Alter erreicht, er zählte viel-
leicht 70 bis 80 Jahre ^, seine körperlichen Kräfte waren erschöpft,
und er verfiel in Krankheit *, bis ihn am 8. September 1100 in Civitä-
Castellana der Tod aus einem freudelosen Dasein abrieft Dieses
Ereignis melden im allgemeinen fast alle zeitgenössischen Annalen
und Schriftsteller ^, die näheren Daten ergeben sich aus folgenden
Nachrichten.
Den Ort nennen Ordericus Vitalis und Peter von Pisa ', den
Tag des Todes näher zu bezeichnen hält letzterer bei diesem Ketzer-
führer für nicht der Mühe wert, indes läfst sich das Datum noch
ermitteln. Die Annales Besuenses ^ wissen: Hoc anno (1101) obiit
Wibertus, successit .... et conciliabulum .... con .... II. Kai.
Octbr., also endete AVibert vor dem 30. September. Dazu stimmt
Hugo von Flavigny ^, der ihn in der Zeit des Konzils von Valence
sterben läfst, das nach seiner eigenen Angabe um den 30. September
1100 versammelt war. Genau endlich ergiebt sich der Tag aus den
Angaben über den Tod des Karthäuser-Priors Landuin, der sieben
^ Eadmeri hist. novorum in Anglia lib, 2 SS. XIII, 144.
2 Will. Malmesb., Gesta pont. Angl. 1, 55 SS. XIII, 187.
^ Donizo 2, 896 SS. XII, 397 bezeichnet ihn als lenex hebes.
* Donizo a. a. 0. 899: dolore gravi tactus.
^ Vgl. Giesebrecht III, 697 u. 1182. Angeblich hat er kurz vor seinem
Tode alle Gefangenen freigegeben und den Bischof von Macon beauftragt, sich in
Rom bei Paschalis pro sua ereptione zu verwenden, Hugo Flav. SS. VIII, 490.
Ich bin wenig geneigt, dieser Nachricht Glauben zu schenken.
6 Ann. Wirzib. 1100 SS. II, 246. Ann. August. 1100 SS. III, 135. Ann.
Benevent. 1100 SS. III, 183. Ann. Laub. 1099 SS. IV, 21. Die Lütticher
Annalen in den Ann. Leod. 1100 SS. IV, 29 und den Ann. S. Jacobi Leod.
1100 SS. XVI, 639. Ann. Ottenbur. 1100 SS. V, 8. Flor. Wigorn. 1122 (1100)
SS. V, 565. Ekkeh. 1100 SS. VI, 218 u. 219. Sigeb. 1100 SS. VI, 368. Ann.
Casin. 1100 SS. XIX, 308 (danach Petrus Casin. 4, 20 SS. VII, 771). Donizo
2, 890 ff. SS. XII, 397.
' Verse des Petrus Leo bei Ordericus Vit., Hist. eccl. lib. 10 SS. XX, 66
und Watterich II, 20. Petrus Pis., Vita Pasch. II. bei AVatterich II, 4.
8 Ann. Besuenses 1101 SS. II, 250. » Hugo Flav. SS. VIII, 488 u. 490.
Vom Abzüge Heinrichs IV. aus Italien im Jahre 1097 bis zu Wiberts Tod. 99
Tage nacli dem Wiberts erfolgte ^. Als dessen Todestag wird der
14. September genannt-, also ist Wibert am 8. September 1100
gestorben.
Selbst im Grabe sollte ihm Ruhe nicht beschieden sein. Man
hatte ihn bestattet, wo er gestorben war, in Civita-Castellana '^ Bald
entdeckten seine Anhänger, dafs, wie es damals bei l)edeutenden
Kirchenfürsten sich einzustellen pflegte, auch am Grabe Clemens' III.
Zeichen und Wunder geschähen ; wir haben darüber einen Bericht
des Bischofs Petrus von Padua an Kaiser Heinrich IV., der seine
Angaben auf ein Schreiben des kompetentesten Zeugen, des Bischofs
Johannes von Civita-Castellana, stützt *. Das mufste natürlich die
nach Wiberts Tode stetig im Aufblühen begriffene kirchliche Partei
stark erbittern, und dies geschah in dem Mafse, dafs im Jahre 1106
Paschalis II. sich zu dem unschönen Befehl hinreifsen liefs, man
solle Wiberts Leichnam ausgraben und dem Tiber überliefern. Der
Befehl wurde ausgeführt ; gleichzeitig erfolgte die Annullierung aller
Dekrete Wiberts ^
^ Brevis bist, ord, Carthus. bei Marlene , Coli. ampl. VI. 162; s. o. S. 97.
2 Cfr. Mabillon, Ann. ordinis Benedicti (Paris 1713) V, 417. Ja£fe-L. I, 655.
Die bei Mabillon citierte Stelle Labbe, Nova bibl. manuscr. I, 639 war mir
nicht möglich einzusehen.
3 Ordericus Vit., Hist. eccl. lib. 10 SS. XX, 66 und Watterich II, 20.
Ekkeh. 1106 SS. VI, 233 irrt, wenn er angiebt, Wibert sei in Ravenna begraben
gewesen. Wo er den Tod erzählt (S. 219), sagt er selber: nee Roma tunc nee
Ravenna bene usus. S. das gleich im Text über die Wunder am Grabe Wiberts
Mitgeteilte.
* Im cod. Udalr. 108 bei Jaffe, Bibl. V, 194 — 196. Da von einem anniver-
sarius von Wiberts Tode die Rede ist, ist der Bericht mindestens nach dem
8. September 1101 abgefafst. Nach Gams, Series episc. 798 wurde Petrus 1106
vom bischöflichen Stuhl von Padua entfernt, also fällt der Bericht zwischen
1101 u. 1106, wohl näher an 1101 als an 1106. Cfr. Ann. S. Disibodi 1099 SS.
XVII, 17.
'- Ekkeh. 1106 SS. VI, 233 f. cfr. Ann. S. Disibodi 1099 SS. XVII, 17.
Ekkehard berichtet noch, dafs auch in Deutschland die Leichen der im Banne
gestorbenen schismatischen Bischöfe aus den Gräbern in Kirchen entfernt wurden.
Diese Vorgänge waren Folge päpstlicher Anordnung, wie aus Jaffe-L. 6252 her-
vorgeht (Paschalis II. au Bischof Gebhard von Konstanz) : u. a. excommuni-
catorum cadavera de sanctorum basilicis proiicienda esse.
Am Schlüsse dieses Kapitels will ich eine Bemerkung zu Jaffe-L. 5340 an-
fügen, die ich sonst nicht unterbringen kann. Es ist No. 5340 eine Verordnung
an alle Bischöfe gegen den Mifsbrauch des zur Taufe geweihten Wassers. Kein
Getaufter soll es berühren, abgesehen natürlich von den taufenden Priestern.
Die Geistlichen sollen streng auf die Beobachtung dieses Gebotes halten, Löwen-
feld hat in den Regesten seinem Zweifel Ausdruck gegeben, ob diese Verord-
nung Wibert wirklich gehöre. Abgedruckt ist sie bei Sudendorf, Registrura
II, 36 No. 30,, und wird dort Wibert zugeteilt. In den dem 2. Bande vorge-
7*
100 Wiberts Stellung in Italien und Deutschland.
Zehntes Kapitel.
Wiberts Stellung' in Italien und Deutschland.
Was Wibert in Italien galt, und wie weit dort seine Macht
reichte, geht im wesentlichen aus unserer bisherigen Erzählung her-
vor. Es erübrigt nur, einige Beziehungen zu erörtern, die bisher
nicht berücksichtigt werden konnten und im Zusammenhange nach-
geholt werden sollen.
AViberts Hauptstützpunkt war Oberitalien, sein eigenes Erzbistum
und die Lombardei besonders. Von einem der angesehensten kirch-
lichen Würdenträger Oberitaliens wird ausdrücklich berichtet, dafs
er die Verleihung des Palliums von Wibert nachgesucht habe, von
dem er auch ordiniert worden sei : es ist der Patriarch Udalrich von
Aquileja, Abt von St. Gallen, der 1086 von Heinrich zum Patriarchen
ernannt wurde ^ ; die Verleihung des Palliums wird noch in dasselbe
Jahr fallen -.
Von Beziehungen zu Mittel- und Unteritalien haben wir nur
geringe Spuren.
In Mittelitalien beschränkte sich AViberts Einflufs wesentlich
auf Rom und dessen Umgebung. In letzterer scheint einer der ihm
sichersten Punkte Sutri gewesen zu sein. Hier hatte er bald nach
seiner Inthronisation, aber erst nach dem Abzüge Robert Guiscärds •'
druckten Addenda aber sagt derselbe Sudendorf, unser Schreiben sei schon von
Clemens II. in der Zeit vom 25. Dezember 1046 bis 9. Oktober 1047 erlassen,
und beruft sich dafür auf Berthold 1077 SS. V, 293. Hier nun wird erzählt:
König- Rudolf feierte Ostern 1077 in Augsburg; da erlassen die anwesenden
päpstlichen Legaten eine Verordnung: ne ultra omnino usurpatio haec in aec-
clesia fieret, quae a nonnullis simplicioribus fratribus temere et praesumptuose
contra decreta Clementis papae actitatur. Solent namque in sabbatho sancto
paschae ante infusum chrisma in aquam baptismi, omnes circumstantes ex ipsa
aspergere, et ea in vasis suis accepta, sie per totam quinquagesimam huius
modi tantum abutuntur usurpativa et inordinata aspersione etc. Unter den
angezogenen decreta Clementis papae ist zweifellos die bei Sudendorf veröffent-
lichte Verordnung (Jaffe-L. 5340) zu verstehen, die demnach einzig und allein
Pa]3st Clemens II. zugeschrieben werden kann.
1 Cfr. Casuum S. Galli cont. II. c. 7 SS. II, 159.
^ Casus monast. Petrishus. 3, 29 SS. XX, 656. Uodalscalcus de Eginone et
Herimanno c. 12 SS. XII, 437. Bestes Zeugnis aber Jaffe-L. 6626 (Ewald.
Neues Archiv III, 172), ein Brief Paschalis' II. an Bischof Wido von Chur:
Aquileiensis preter concessionem nostram pallio utitur Guibertino.
^ In dem Schreiben der Gräfin Mathilde nach Deutschland bei Hugo Flav.
SS. VIII, 463, welches zwischen Heinrichs und Robert Guiscards Abzüge aus
Rom im Jahre 1084 geschrieben ist, heilst es, dafs Sutri und Nepi wieder in
Gregors Gewalt seien; was also nur vorübergehend der Fall gewesen sein kann.
Dafs die Ernennung Odos überhaupt in das Jahr 1084 fällt, geht aus dem Zu-
sammeuliaüÄ-iijaiLErzählung bei Order. Vit., Hist. eccl. lib. 7 SS. XX, 59 hervor.
Wiberts Stellung in Italien und Deutschland. 101
einen seiner Neffen, Odo, als Grafen eingesetzt, der auf das eifrigste
für das Interesse seiner Partei thätig war und vor Gewalt nicht
zurückscheute, wenigstens nach dem Zeugnis des Ordericus Vitalis.
Noch in den ersten Jahren Urbans wird er erwähnt und wie eben
geschildert \ Bald nach Urbans Ende 1096 erfolgter Rückkehr nach
Rom scheint er gestorben zu sein^, doch blieb Sutri wibertistisch
gesinnt ^ In Velletri hatte Wibert „pravas constitutiones vel ex-
actiones" eingetrieben, die Paschalis II. schon am 6. April 1101
wieder aufhebt, indem er die alten Steuerprivilegien der Leute von
Yelletri wiederherstellt ^. In Palestrina fungierte Hugo Candidus (der
AYeifse) als Kardinalbischof und erhielt die Stadt der wibertistischen
Sache ^. Des eifrig kaiserlich gesinnten Klosters Farfa Gunst hätte
Wibert bald verscherzt, da er zur Zeit des Abtes Rainald (November
1 Order. Vit., Hist. eccl. lib. 8 SS. XXVI, 22. Donizo 2, 318 ff. SS. XII,
386, wo er de Tuliore genannt wird. Wahrscheinlich ist er der in einer Ur-
kunde Urbans IL vom 8. Juli 1089 ( Jaffe-L. 5403) erwähnte Otto , es heifst
dort: Nee ignotum vobis esse cognoscimus , qua immani crudelitate Guibertus
heresiarcha, sedis apostolicae Invasor, per apostatas et tiramnos s. ecclesiae,
Hugonem album et Johannem Portuensem antyepiscopos , et Petrum quondam
cancellarium (vgl. unten S. 104), Wezelonem et Otonem tiramnum membra
diaboli seduxerit filios Dei. Freilich ist die Echtheit dieser Urkunde von Pflugk-
Harttung bestritten, s. die Regesten I, 663 u. II, 713 und neuerdings Pflugk
im Histor. Jahrbuch der Görres-Gesellschaft VII, 234 — 237. Aber der eben
citierte Teil geht jedenfalls auf eine echte Vorlage zurück, die auch bei Bern.
1085 SS. V, 443 benutzt ist. Denn dafs ein Fälscher in Velletri sollte Bernold
ausgeschrieben haben, wie Pfl.-Hartt. auch für möglich zu halten scheint, daran
ist doch gar nicht zu denken.
2 Donizo 2, 832 SS. XII, 396. Vgl. Giesebrecht III, 563, 692, 1164, 1181.
Gregorovius, Gesch. der Stadt Rom"^ IV, 260.
3 S. oben S. 97. ^ Jaffe-L. 5865 bei üghelli, Italia sacra I, 46.
^ Siehe den jedenfalls verwendbaren ersten Teil der Urkunde Urbans vom
8. Juli 1089, s. o. Anm. 1. Nur in ihr wird Hugo albus als antyepiscopus
bezeichnet, zugleich zum ersten Male. 1085 anläfslich seiner Legation nach
Deutschland (s. u. S. 104) finden wir von einem solchen Titel nichts
(Bern. 1085 SS. V, 443). Ist nachher von dem Bischof von Palestrina die Rede,
so heifst er stets nur Hugo. Das erste sichere Zeugnis ist aus dem Jahre 1093,
ein Altar in Cava aus diesem Jahre trägt die Inschrift: anno domin. ine. 1093
Ind. I., III. Nonas Aprilis Romano Pontifice IIL demente ab Ugone Prae-
nestino Ep. dedicatum. Cfr. Cecconi, Storia di Palestrina 241. Gregorovius,
Gesch. der Stadt Rom^ IV, 260. Giesebrecht III, 563 u. 1164. Da Hugo
Kardinal sein mufs, da nur noch ein anderer Kardinal Hugo bekannt ist, der
an ihn als Bischof von Palestrina ein Schreiben richtet (Sudendorf, Registrum
II, 91 No. 35), laut welchem er erst unter Urban IL zu Wibert abgefallen ist,
so ist höchst wahrscheinlich allerdings Hugo der Weifse Kardinalbischof von
Palestrina gewesen. Noch bei der Augustzusammenkunft 1098 ist er beteiligt
(Sudendorf a. a. 0. II, 97 u. 111).
102 Wiberts Stellung in Italien und Deutscliland.
1089 bis Juni 1090) sich in die den Mönchen zustehende Abtswahl
einzumischen versuchte. Aber die Mönche verteidigten ihre Frei-
heiten und Rechte kraftvoll, er mufste nachgeben und suchte sie dann
nur um so eifriger an sich zu ketten \
Einen überraschenden Ausblick auf bisher ganz unbekannte Be-
ziehungen Wiberts zu Unteritalien und dem Patriarchen von Kon-
stantinopel bietet ein von ihm an den Metropoliten von Calabrien.
Basilius, gerichtetes Schreiben -. Dieser Basilius wird ein Erzbischof
von Beggio in Calabrien sein, von dem ich aber bei Garns nichts
finde '■^. Der Brief ist undatiert, aber spätestens 1090 geschrieben,
nach einer vor nicht zu langer Zeit vollzogenen Neuwahl eines Gegen-
papstes (12. März 1088), kurz vor der Ankunft Kaiser Heinrichs IV.
in Italien (April 1090); beide Ereignisse werden im Briefe angeführt.
Auf diese Zeit passen auch die Anspielungen, dafs das Schisma für
ihn (Wibert) viele Verwirrung im Gefolge gehabt habe , und dafs
Basilius eine Weile das Unrecht tragen möge, das man ihm zufüge,
gleich wie auch er, Wibert, es thue : denn im Herbst 1089 war Wibert
aus Born vertrieben worden ; der Brief ist wohl aus Ravenna ge-
schrieben.
Sein Inhalt betrifft zunächst Basilius. Dieser konnte seinen
Bischofsstuhl nicht einnehmen und hatte in auffallender Unkenntnis
der Verhältnisse Wibert gebeten, er möge sich für ihn bei Herzog
Roger von Apulien, Robert Guiscards Sohn, brieflich verwenden *.
Nun macht ihn Wibert aufmerksam, dafs doch seit kurzem wieder
ein Schisma in der Kirche bestehe; er bezweifle keinen Augenblick,
dafs seine Gegner den kürzeren ziehen würden, aber er könne des
Basilius Bitte nicht erfüllen, weil ihm bekannt sei, dafs der Herzog
und die Normannen zu den Gegnern zählten •'. Doch möge Basilius.
^ Näheres in Grregorii Catinensis chronica c. 10 SS. XI, 562.
2 Pitra, Analecta novissima spicilegii Solesmensis I, 479 f. Auf dieses
Schreiben hat mich Herr Dr. Löwenfeld aufmerksam gemacht, noch bevor es
in die RP. II, 752 No. 5326« Aufnahme gefunden hatte.
•^ Gams, Series episc. 916. 1092 ist ein Rangerius nachweisbar, ein Anhänger
Urbans, anwesend bei der Weihe der Trinitatiskirche zu Kloster Cava (5. Sep-
tember 1092). Muratori, Script, rerum Ital. VI, 238. Jaffe-L. I, 670. Am
7. September 1086 findet sich nach Ughelli, Italia sacra IX, 324 ein Erzbischof U.
Der Arnoldus, den Ughelli zwischen beide stellt, ist 1081 konsekriert, mufs aber
mindestens 1086 tot sein, da ü. begegnet; woher Ughelli seine Nachricht hat,
weifs ich nicht. Man wird annehmen können, dafs 1090 in Reggio ein Schisma
zwischen dem Urbanisten Rangerius und dem Wibertisten Basilius bestand.
^ dia yQatfTjs tzqos rbv dov/av xal vlov rov 'Poifi7t€?.rov = Roberti , nämlich
Robert Guiscards. Unter (podyy.oi sind die Normannen zu verstehen.
^ Dies stimmt durchaus mit den anderen uns bekannten Thatsachen überein ;
Herzog Roger nahm z. B. im September 1089 an Urbans Sj'node zu Melfi teil.
"Wiberts Stellung in Italien und Deutschland. 103
auch wenn er Unrecht leiden müsse, noch eine Weile ausharren.
Wenn die Dinge erst wieder ins alte Geleise gebracht worden seien,
werde er gewifs seinen Sitz wiedererhalten , das sei sein Recht,
welches ihm auch bleiben solle. Bessere Zeiten seien nahe, da
Kaiser Heinrich nächstens in Italien eintreffen und dann alles ordnen
werde. Wenn es ßasilius möglich sei, so solle er zu ihm kommen,
doch seien ja die unruhigen Zustände in den Gebieten zwischen
Reggio und Ravenna ein grofses Hindernis. Indes möge er ihm
seine günstigen Gesinnungen weiter erhalten.
Ohne ein solches Zeugnis würde man schwerlich daran gedacht
haben, dass Wibert in Unteritalien Anhänger gehabt haben könne,
da die Macht der Normannen ganz auf der Seite seiner Gegner stand.
Und man sieht ja aus diesem Schreiben, dafs es einem Wibertisten
dort unten übel erging, er mufste aufserhalb seines Bischofssitzes
weilen, den er nicht erlangen konnte.
Aber noch eine andere merkwürdige Thatsache ergiebt sich aus
diesem Schreiben: eine Verbindung Wiberts und des Patriarchen
Nikolaus Grammatikus von Konstantinopel (1084 — 1111) ^. Freilich
nur diese Thatsache ; so interessant nähere Nachrichten wären, wir
müssen uns hierbei bescheiden. Der Patriarch hatte mehrere Briefe
an Basilius gerichtet, die sich über eine uns unbekannte streitige
Angelegenheit verbreitet haben müssen. Dessen hatte Basilius gegen
Wibert Erwähnung gethan, und dieser bittet nun, falls Basilius nicht
selber zu ihm kommen könne, um Zusendung der Briefe. Er habe
nämlich Anlafs zu antworten und sei geneigt, die Wünsche, welche
der Patriarch ausgesprochen habe, zu erfüllen ^. Danach wird an-
zunehmen sein, dafs Wibert es war, der sich zuerst brieflich an den
Patriarchen wendete, vielleicht mit der Hoffnung im Hintergrunde,
dafs allmählich bei dem oströmischen Kaiser dann etwas zu erreichen
sei; es ist fraglich, ob sein Schritt irgendwelche Folgen gehabt habe,
bekannt ist uns weiter nichts. Von Kaiser Alexius I. aber wissen
wir, dafs er zwar Heinrich IV. auf seinem Romzuge in den achtziger
Jahren mit Geld gegen Gregor VII. unterstützt hatte — es war
damals sein eigenstes Interesse , er mufste darauf hinwirken , dafs
Robert Guiscard den Osten verliefs — , dafs er aber etwa 1088 mit
Urban in Verbindung trat und in freundlichem Verhältnis zu ihm
blieb 3.
Jaffe-L. I, 664. Romualdi Salernit. Ann. 1090 SS. XIX, 412. Cfr. Coli. Brit.
Urb. ep. 47, Ewald, Neues Archiv V, 366.
^ Vgl. Muralt, Chronographie ßyzantine I, 54 u. 109.
^ So scheint der betreffende Satz verstanden werden zu müssen, er ist im
griechischen Text recht dunkel.
3 Giesebrecht III, 551, 598. Er giebt die Quellen Seite 1161, 1168. Gre-
104 Wiberts Stellung in Italien und Deutschland.
Näheres Eingehen erfordern WibertsBeziehungen zu Deutschland.
Auf den Gang der deutschen Dinge im grofsen wirkte er na-
mentlich im Jahre 1085 ein. Im Oktober 1084 hatte Heinrich
Wezilo zum Erzbischof von Mainz ernannt, er wurde sogleich ge-
weiht und von einem Legaten Wiberts mit dem Pallium versehen ^
Die Verleihung des letzteren, das ja erst erbeten werden mufste -,
möchte ich als auf dem Konzil zu Mainz von 1085 oder kurz vorher
geschehen erachten.
Als nämlich Heinrich im Jahre 1084 aus Italien nach Deutsch-
land als Kaiser zurückkehrte, mufste er, gestützt auf seine Erfolge,
wünschen und konnte hoffen durchzusetzen, dafs die Spaltung der
Kirche in Deutschland dadurch beseitigt werde, dafs seine Anhänger
überall eingesetzt würden und die Oberhand erhielten. AYibert wird
bei seiner energischen Art wesentlich darauf hingewirkt haben, dafs
Heinrich in diesem Sinne kräftig auftrete. Um dem Nachdruck zu
geben, sandte er im Anfang des Jahres 1085 Legaten nach Deutsch-
land, welche die kaiserliche Macht durch die päpstliche Autorität
unterstützen sollten ^. Es waren drei Männer : Kardinal Hugo der
Weifse, Wiberts vertrauter Freund seit Jahren und mit den deut-
schen Verhältnissen nicht unbekannt, da er ja schon 1076 das Konzil
von Worms besucht hatte *. Dann der Kardinalbischof Johann von
Porto und der ehemalige Kanzler Gregors, Kardinal Petrus, beide
aus Gregorianern Wibertisten geworden ^. Dafs diese drei Männer
die Legaten waren, ist nicht ausdrücklich überliefert, folgende Er-
wägung legt es aber nahe. Bernold ^ zählt die auf der Synode der
päpstlichen Partei in Quedlinburg im April 1085 Gebannten auf
und nennt Wibert, unsere drei Kardinäle und eine grofse Reihe
deutscher Erzbischöfe und Bischöfe. Dann fährt er fort: Sed hi
sandte des Kaisers forderten auf der Synode von Piacenza zur Hülfe gegen die
Seldschucken auf. Giesebrecht III, 663 nach Bern. 1095 SS. V, 462.
1 Ann. August. 1084 SS. III, 131. Cfr. Bern. 1084 SS. V, 441. Giese-
brecht III, 604. Böhmer- Will, Reg. archiep. Mag. I, 217.
^ Hinschius, Kirchenrecht II, 8 u. 28.
3 Die Zeugnisse s. u. S. 105 Anm. 3. ^ Giesebrecht III, 353 ; s. o. S. 27.
^ Beide werden von Beno de vita et gestis Hiltebrandi bei Goldast, Apo-
logiae S, 1 in dem Verzeichnis der von Gregor Abgefallenen genannt, Petrus
ganz sicher, der andere ist wohl unter Joannes cardinalis zu suchen. — Hugo
Flav. SS. VIII, 463 berichtet, gestützt auf ein Schreiben der Gräfin Mathilde
nach Deutschland, dafs Heinrich bei seinem Abzüge von Rom im Mai 1084 den
Bischof von Porto, der einst Vertrauter Gregors gewesen sei, als seinen An-
hänger mitgeführt habe. — Alle drei Gesandten werden in Jaffe-L. 5403 vom
8. Juli 1089 als solche genannt, die besonders für AVibert gewirkt hätten; s. o.
S. 101 Anm. 1.
ö Bern. 1085 SS. V, 443.
Wiberts Stellung in Italien und Deutschland. 105
omnes adversarii aeclesiae Dei in tercia epdomada post finitam
sinodum, suam Mogontiae collegerunt non sinodum set conciliabu-
lum. Wozu sollten nun die drei Kardinäle in Deutschland partikulär
exkommuniziert worden sein, wenn sie nicht gerade für die deut-
schen Zustände eine besondere Bedeutung gehabt hätten, d. h. in
Deutschland zu irgendwelchen Entscheidungen anwesend gewesen
wären, wie denn Bernold sie mit unter die Teilnehmer der Mainzer
Synode von 1085 begreift. Wo Walram ^ von den drei Gesandten
spricht, bestätigt er durch einen Irrtum diese Vermutung: er nennt
Petrus scilicet episcopus Portuensis ecclesiae et duo cardinales Po-
manae ecclesiae : er hat den Namen eines der Kardinäle mit dem
Titel des Kardinalbischofs zusammengebracht.
Diesen seinen Legaten hatte Wibert noch dazu das Schreiben
mitgegeben — so wird man wohl annehmen können — , dessen In-
halt Walram mitteilt ", und das an die deutschen Bischöfe gerichtet
war. Es sei sein Wille, erklärte er, dafs die verlassenen Diöcesen
wieder Hirten erhielten, wenn die bestellten trotz an sie ergangener
Aufforderungen nicht zur einigen Kirche zurückkehren wollten. Er
befehle deshalb den deutschen Bischöfen, auf einer allgemeinen Sy-
node über die Angelegenheit der widerspenstigen Bischöfe zu ver-
handeln, die sich selbst schon verurteilt hätten, was durch eine Auf-
zählung ihrer Vergehen des näheren erwiesen wird.
Während nun die Gegner in der ersten Woche nach Ostern in
Quedlinburg ihre Synode hielten, war der von Wibert gegebenen
Anregung entsprechend von Heinrich im Verein mit den drei Kardi-
nälen als päpstlichen Legaten und dem Erzbischof Wezilo von Mainz
(der sich so für das Pallium bedankte) als erstem Geistlichen Deutsch-
lands und anderen Bischöfen ^ nach Mainz noch vor Beginn der
Fastenzeit * zur Herstellung der kirchlichen Einheit in Deutschland
eine Synode berufen worden, welche in der dritten Woche '^ nach
^ Walram de unit. eccl. 2, 19 ed. Schwenkeubecher S. 76.
^ Walrara de unit. eccl. 2, 18 ed. Schwenkenbecher S. 73 f. Es wäre in
den Regesten nachzutragen. Die Inhaltsangabe beginnt bei den Worten decrevit
desertis ecclesiis und geht bis usi fuissent manibus impiorum ad occisionem mul-
torum hominum. Vielleicht sind die Worte in 2, 22 S. 81 von cupiens bis re-
ducere ein Stück der Arenga des päpstlichen Schreibens. Cfr. Ana. Ratisbon.
fragm. 1085 SS. XIII, 49.
^ Diese geben als Einberufer an die Ann. August. 1085 SS. III, 131. Für
die Teilnahme der Legaten haben wir noch Zeugnisse bei Ekkeh. 1085 SS. VI,
205; Ann. Ratisbon. fragm. 1085 SS. XIII, 49; Ann. S. Disibodi 1085 SS. XVII,
9; Walram de unit. eccl. 2, 19 ed. Schwenkenbecher S. 76 (Bern. 1085 SS.
V, 443).
* Ann. Ratisbon. fragm. 1085 SS. XIII, 49.
^ So Bern. 1085 SS. V, 443 und Ann. Ratisbon. fragm. 1085 SS. XIII, 49,
106 Wiberts Stellung in Italien und Deutschland.
Ostern, Anfang (4. bis 10.) Mai, 1085 in der St. Albanskirche zu-
sammentrat ^. Sie war zahlreicher besucht, als vielleicht die eif-
rigsten Anhänger der kaiserlichen Partei hatten hoffen können -.
Persönlich anwesend waren die Erzbischöfe von Mainz, Köln, Trier
und 16 Bischöfe; durch Gesandte waren vertreten Erzbischof Lie-
mar von Bremen und 3 Bischöfe. Aus Italien und Frankreich waren
Zustimmungserklärungen eingegangen. Heinrich liefs die Anwesen-
den noch einmal Gregors Absetzung und Wiberts Inthronisierung feier-
lich durch Unterschrift anerkennen ^ Die übrigen Beschlüsse inter-
essieren uns hier weniger, sie gehören in die Beichsgeschichte. Sie
verdienen hier nur insofern Beachtung und Erwähnung, als aus ihnen
hervorgeht, dafs Heinrichs Wunsch, Wiberts Mahnung und die Teil-
nahme der Legaten in ihrem Zusammenwirken das erreichten, was
sie wollten, indem sie die Versammlung zu nachdrücklichen Be-
schlüssen gegen die Gregorianer vermochten, denen die Ausführung
auf dem Fufse folgte. 2 Erzbischöfe (Gebhard von Salzburg und
Hart wich von Magdeburg) und 13 Bischöfe wurden abgesetzt und
exkommuniziert, einigen alsbald Nachfolger gegeben. AVeiter wurde
der Gegenkönig Hermann von Luxemburg gebannt '*, endlich ein
Gottesfriede für das ganze Reich festgesetzt •'.
Von Beziehungen Wiberts zu einzelnen deutschen geistlichen
und weltlichen Fürsten haben wir folgende Nachrichten.
Ein burgundischer Bischof ist unseres Wissens von Wibert
ordiniert worden, Lambert von Lausanne nämlich, der Sohn Lam-
berts, Grafen von Grandson und Nachfolger des Bischofs Burchard
(■f 24. Dezember 1088) ^. Dies geht hervor aus einem Privileg
Papst Eugens HL vom 13. April 1146 an Bischof xlmadeus von
Lausanne (1145 — 59) ^, durch welches alle Vergabungen an Kirchen-
gut, welche Lambert vorgenommen hatte, für ungültig erklärt werdend
während die Ann. August. 1085 SS. III, 131 und Walram de unit. eccl. 2, 19
a. a. 0. S. 76 die zweite Woche nach Ostern als Zeitpunkt des Zusammentrittes
angeben.
1 Vgl. Giesebrecht III, 609 f. u. 1169 f. Böhmer-Will, Keg. archiep. Ma-
gunt. I, 220, wo sich eine Zusammenstellung der Quellenstellen findet. Nach-
zutragen wären: Ann. Ratisbon. fragm. 1085 SS. XIII, 49; Rodulfi gesta abb.
Trudon. 3, l SS. X, 240.
" Cfr. Walram de unit. eccl. 2, 19 ed. Schwenkenbecher S. 76 — 78.
3 Sigeb. 1085 SS. VI, 365. Cfr. Ann. S. Disibodi 1085 SS. XVII, 9.
* Walram de unit. eccl. 2, 28 ed. Schwenkenbecher S. 97.
5 Ekkeh. 1085 SS. VI, 205 f. und MG. LL. II, 55. Im übrigen s. die
Quellennachweise nach Anm. 1 dieser Seite.
6 Bern. 1089 SS. V, 448. ' Gams, Series episc. 283.
8 Jaffe-L. 8899. Hidber, Schweizer. Urkundenregister II, 23 f. Vgl. Stumpf
Wiberts Stellung in Italien und Deutschland. 107
Was die eigentlichen deutschen Bischöfe betrifft, so stand Wi-
bert längere Zeit in freundlichen Beziehungen zu Eigilbert von
Trier. Am 13. November 1078 war Erzbischof Udo gestorben^;
zum Nachfolger hatte Heinrich den Propst Eigilbert von Passau,
der dort von seinem Bischof Altmann exkommuniziert worden war.
ernannt und am 6. Januar 1079 trotz des eben erst (19. November
1078) auf einer römischen Synode erneuerten Verbotes - investiert 'l
Die Wahl war unter grofsem Widerspruch vor sich gegangen, und
6 Jahre lang fand sich kein Bischof, der Eigilbert konsekrieren
wollte. Im Juni 1080 z. B. lehnte Dietrich von Verdun, sein
Suffragan und sonst Anhänger, wegen der Ungunst der Zeitverhält-
nisse ab, diesen Schritt zu thun *. Offenbar aber lag König Hein-
rich die Sache sehr am Herzen, denn es war doch wichtig und er-
wünscht, einen der vornehmsten Erzstühle des Beiches, den ein er-
gebener Anhänger einnahm, endgültig und ordnungsmäfsig zu be-
setzen; dafür wufste er naturgemäfs auch Wibert zu interessieren.
Und sobald AViberts Inthronisation und seine eigene Krönung voll-
zogen war, nahm Heinrich diese günstige Gelegenheit wahr; und
der Schlufs seines oben (Kapitel 6) des öfteren citierten Briefes
an Dietrich von Yerdun, den er auf der Bückkehr nach Deutsch-
land 1084 schrieb, enthält die bestimmte Aufforderung^: Insuper
mandat tibi apostolicus Clemens et Imperator Heinricus, ut sicut
nos diligas , ita archiepiscopum Treverensem velociter consecrare
3491. Gallia christ. XV, 343, wo irrtümlich von einer Bestätigung Alexanders III.
die Rede ist. Cfr. Cononis gesta episcop. Lausannensium c. 11 u. 15 SS. XXIV,
800 u. 801.
Im Neuen Archiv III, 198 hat Waitz die Obedienzerklärung Lamberts ver-
öffentlicht; er leistet sie als schon ordinierter Bischof dem Erzbischof Hugo III.
von Besangon, der somit auch der kaiserlich -wibertistischen Partei damals an-
gehört haben wird, wenigstens kein Ärgernis an dem bei Lambert vorliegenden
Faktum einer Ordination durch Wibert genommen zu haben scheint. Nach
allem, was wir sonst von ihm wissen, gehört er später zu Urbans Partei, cfr.
Grallia christ, XV, 38 und instr. 15. So war er im Juli 1096 auf dem Konzil
zu Nimes anwesend: Mansi XX, 937 f. Der Verfasser der Altercatio (s. o.
S. 84 f.) läfst auch Hugo von Urban zu jener Versammlung berufen werden,
die über die Rechtmäfsigkeit Urbans und Wiberts entscheiden sollte. Diese
Versammlung wird merkwürdigerweise ernst genommen und dazu noch Wibert
als der Einberufer bezeichnet in der Gallia christ. XV, 38 und bei Richard,
Hist. de Besannen I, 289, der sonst zu vergleichen ist.
1 Gesta Trever. SS. VIII, 183 und Anm. 81.
2 Greg. VII. Registrum 6, 5 bei Jaffe, Bibl. II, 332 f.
3 Gesta Trever. SS. VIII, 184. Berth. 1078 SS. V, 314.
* Cod. Udalr. 63 bei Jaffe, Bibl. V, 130.
5 Stumpf 2859. Gesta Trever. SS. VIII, 185 f.
108 Wiberts Stellung in Italien und Deutschland.
properes. Das half endlich ; Dietrich zögerte zwar, als aber die Zeit
herannahte, zu der Heinrich in Deutschland sein v/ollte (29. Juni),
und Dietrich, Heinrichs Willen entsprechend, nach Augsburg auf-
brach, sprach er zunächst in Mainz vor, wo er noch andere Bischöfe
traf, die zu Heinrich reisen wollten. Unter Assistenz dieser — der
Mainzer Erzstuhl war durch Siegfrieds Tod (16. Februar 1084) er-
ledigt — weihte er im Juni 1084 Eigilbert, da die anderen Suffra-
gane (Hermann von Metz, Pibo von Toul) dazu nicht mitwirken
wollten ^.
Auch weiterhin zeigte sich Wibert dem Erzbischof geneigt.
Eigilbert begegnete nämlich einer starken Opposition in seiner Diö-
cese ; als das ieiunium quattuor temporum nahte, Aveigerten sich die,
welche zu Geistlichen ordiniert werden sollten — w^as in den Tagen
zu geschehen pflegt — , die Weihen von ihm zu empfangen, da er
das Pallium nicht besitze. Das müsse er notwendig von Gregor
haben und sich daher vor diesem demütigen -. Dieser Vorgang
veranlafste ihn zu einem entscheidenden Schritte. Er sandte wenige
Tage darauf einen Mönch, Theoderich mit Namen, an Wibert, der
für ihn um das Pallium bitten sollte. Natürlich antwortete der
Papst mit der sofortigen Übersendung des erbetenen Abzeichens
und schrieb dazu einen Brief, der eine Anweisung enthielt, wann
es zu verwenden sei, einen Brief, den die Gesta Treverorum mit-
zuteilen nicht für der Mühe wert erachtet haben. Diese Gescheh-
nisse spielten also Ende 1084 und Anfang 1085 und enthalten eine
bedeutsame Anerkennung Wiberts durch einen der ersten Kirchen-
fürsten Deutschlands.
Auch in die Verhältnisse des Bistums Konstanz einzugreifen,
hatte Wibert Gelegenheit. Hier war Bischof Otto, ein Anhänger
der kaiserlichen Sache, im Jahre 1086 gestorben ^; ihm stand schon
seit Ende 1084 ein gregorianischer Bischof in der Person Gebhards,
eines Sohnes des Herzogs Berthold von Zähringen, gegenüber^,
dessen Stellung sich zusehends befestigte , zumal er am 18. April
1089 zum ständigen päpstlichen Legaten ernannt wurde ^ Heinrich
1 Gesta Trever. SS. VIII, 186 f.
- Gesta Trever. SS. VIII, 187. Nach dem Bericht daselbst fällt dieser
Vorgang noch in das Jahr 1084. Da Eigilbert erst im Juni geweiht wurde,
sind entweder die Fasten nach Kreuzes Erhöhung (14. September) oder die
nach Lucia (13. Dezember) zu verstehen. — Jafie-L. 5321.
^ Ladewig, Regesta episcoporum Constantiensium I, 67 No. 518.
^ Ladewig a. a. 0. I, 67 f. No. 520. Giesebrecht III, 639 u. 1175. Hen-
king, Gebhard III. von Konstanz S. 19 ff,
^ Ladewig a. a. O. I, 71 No. 546. Jaffe-L. 5393. Bern. 1089 SS. V, 448.
Henking a. a. O. 35 ff. S. o. S. 76.
Wiberts Stellung in Italien und Deutschland. 109
ersetzte den verstorbenen Otto seinerseits durch einen Mönch aus
St. Gallen, Namens Arnold, einen Grafen von Heiligenberg, aber
erst nach einem Zwischenraum von 6 Jahren ^ Ostern (28. März)
1092; eher scheinen für einen kaiserlichen Bischof keine Aussichten
gewesen zu sein. Und auch jetzt liefs sich Heinrich auf die Sache
nur ein, weil der Abt von St. Gallen und Patriarch von Aquileja,
Udalrich , ihm versprach, für die Einsetzung in das Bistum wolle
er sorgen ; sein Versuch dazu mifslang aber -. Post aliqua inter-
sticia temporum erhielt nun dieser Arnold von Wibert in Ravenna
die Bischofsweihe auf Verwendung seines Metropolitans, des Erz-
bischofs Ruthard von Mainz ^. Diese Weihe wird nach dem Ver-
such, in Konstanz einzudringen, erzählt, kann auch nicht eher, d. h.
nicht vor 1093 stattgefunden haben, da Arnold vorher noch die
Priesterweihe erhalten mufste ^ Da Wibert vor 1097 nicht wieder
in Ravenna weilte, müfste Arnold erst dann geweiht worden sein,
wobei aber die Schwierigkeit entsteht, dafs seit Anfang 1097 die
Mifshelligkeiten zwischen Wibert und Ruthard von Mainz, die wir
gleich berühren werden, begannen. Vielleicht liegt in der Ortsan-
gabe ein Fehler, und wir müssen uns begnügen, die Weihe als
zwischen 1093 und 1097 erfolgt anzusetzen ■^.
Was aber die Gesta der Erzbischöfe von Magdeburg ^ über einen
Konsens Wiberts zu der Ernennung eines Paderborner Bischofs be-
richten, wird zu eliminieren sein. Es wird dort erzählt: Hartwichs
von Magdedurg Nachfolger wurde 1103 Heinrich. Dieser war einst
zum Bischof von Paderborn designiert gewesen. Zu der Zeit be-
lagerten gerade Heinrich und AVibert Rom und Gregor. Da kam
Graf Heinrich von Werla mit seinem Bruder Konrad ins Lager,
und ersterer erkaufte das Bistum durch Vermittelung des letzteren.
^ Dies geht hervor aus Casuum S. Galli cont. II. c. 7 SS. II, 160: Impe-
rator Heinricus cum Mantue pascha perageret etc. und aus Casus monast.
Petrishus. 3, 31 SS. XX, 657, verglichen mit Bern. 1092 SS. V, 455. Vgl. Hen-
king a. a. 0. 46 ff., ferner hierzu wde zum Folgenden Meyer von Knonau in den
St. Galler Mitteilungen XVII, 85 ff., namentlich die Anmerkungen 227, 230,
231, 235.
2 Ladewig a. a. 0. I, 72 No. 557 u. 82 f. No. 665, 666. Casuum S. Galli
cont. II. c. 7 SS. II, 160 und Casus monast. Petrishus. 3, 29 u. 31 SS. XX.
656 u. 657. Ann. August. 1084 SS. III, 131. Bern. 1092 SS. V, 455. Giese-
brecht III, 647, 1176.
3 Ladewig a. a. 0. I, 83 No. 669. Casuum S. Galli cont. IL c. 7 SS. II,
160. Ann. August. 1084 SS. III, 131. Cfr. Casus monast. Petrishus. 3, 31 SS.
XX, 657, die sich in Zeit und Ort (1103 und Rom) irren,
4 Ladewig a. a. 0. I, 83 No. 667.
5 Ladewig a. a. 0. I, 83 No. 669. Henking a. a. 0. 48.
6 Gesta archiepisc. Magdeburg, c. 23 SS. XIV, 407.
110 "Wiberts Stellung in Italien und Deutschland.
wurde von Heinrich zum Bischof ernannt und fand auch Wiberts
Zustimmung. Diesem Heinrich gelang es , sich zu behaupten und
jenen anderen Heinrich zu nötigen, in Magdeburg seine ZuÜucht
zu suchen. Nun aber starb der Vorgänger der beiden Heinriche,
Bischof Poppo von Paderborn , erst am 28. November 1084 ^, als
Kaiser Heinrich längst wieder in Deutschland war; damit fällt wohl
diese Erzählung, soweit sie Vorgänge in Italien und Wibert be-
trifft ■^.
In den letzten Jahren seines Pontifikats beschäftigte Wibert
lebhaft die Angelegenheit des Erzbischofs Buthard von Mainz, die
teilweise ihren Ursprung in den Judenverfolgungen der Kreuzfahrer
hatte, mit denen bekanntlich diese ihr frommes Werk 1096 in Deutsch-
land begannen '^. In der Not und gezwungen waren viele Juden
zum Christentum übergetreten ; als nun Heinrich, aus Italien zurück-
kehrend, seit dem 24. Mai 1097 * längere Zeit in Begensburg weilte,
wandte man sich an ihn , und er gestattete den zwangsweise Be-
kehrten den Bücktritt zum Judentum'^. Anders Wibert, der mit
dieser unkirchlichen Handlungsweise gar nicht einverstanden war
und zwar nicht direkt an den Kaiser, aber an Bischof Bupert von
Bamberg schrieb ^ : Belatum est nobis a quibusdam , quod Judeis
baptizatis nescio qua ratione permissum sit apostatare ritumque Ju-
daismi excolere. Quod quia inauditum est et prorsus nefarium, te
et omnes fratres nostros verbo Dei constringimus : quatinus id se-
cundum canonicam sanctionem et iuxta patrum exempla corrigere
festinetis; ne sacramentum baptismi et salutifera invocatio nominis
Domini videatur annullari. Indes hört man nicht, dafs Heinrich
^ Necrol. Abdinghov. bei Schalen, Ann. Paderborn. I, 612. Erhard, Re-
gesta historiae Westfaliae I, 201.
^ Über die beiden Heinriche haben wir in der Zeit, wo es sich um die
Neubesetzung des Stuhles von Paderborn handelt, folgende Notizen : Der kirch-
lich gesinnte Heinrich erscheint als Teilnehmer am Kolloquium von Gerstungen
(20. Januar 1085) [Giesebrecht III, 605] beim Annal. Saxo 1085 SS. VI, 723
und in den Ann. Magdeburg. 1085 SS. XVI, 176: Heinricus Patherbrunnensis
designatus et adhuc tantum subdiaconus. In Mainz (Mai 1085) war der kaiser-
lich gesinnte Heinrich (Henrichus Paderbrunnensis episcopus) anwesend, während
der andere exkommuniziert wurde: Henrichus alter Paderbrunnensis episcopus,
per studia partium subintroductus , sed ne adhuc [1092, wo AValram schreibt]
quidem initiatus : Walram de unit. eccl. 2, 19 ed. Schwenkenbecher S. 77 u. 78.
^ Vgl. Giesebrecht III, 677 f. '' Ann. August. 1097 SS. III, 135.
" Ekkeh. 1097 SS. VI, 208. Ann. Rosenveld. 1097 SS. XVI, 102. Ann.
S. Disibodi 1097 SS. XVII, 16 (s. Watterich I, 607 Anm. 1). Giesebrecht III,
687. Waitz, Verfassungsgesch. V, 373. Buchholz, Würzb. Clironik 53 und
Ekkehard 105 f., 106, 131.
^ Jafie-L. 5336 im cod. Udalr. 90 bei Jaffe, Bibl. V, 175.
Wiberts Stellung in Italien und Deutschland. 111
seine Erlaubnis zurückgenommen habe, die ich mit Buchholz (S. 107)
freilich auch lieber mit finanziellen Erwägungen als mit Humanitäts-
ideen in Verbindung bringen möchte.
In Mainz war die Judenverfolgung besonders heftig gewesen,
der Erzbischof selber hatte sich an ihr beteiligt und bereichert. Als
Heinrich zurückgekehrt war, liefs er auch die Mainzer Vorgänge
untersuchen, ohne sich an Einwendungen Ruthards zu kehren. Es
scheint sich aber lediglich um die Hinterlassenschaft der gemordeten
Juden gehandelt zu haben, nicht um die Bestrafung der verübten
Morde ^ Der Erzbischof, selbst schuldig, entfloh nach Thüringen,
wo er 8 Jahre im Exil zubringen mufste, und war seitdem erklär-
licherweise ein unversöhnlicher Gegner Heinrichs IV. -
Schon vorher war Buthard von Bischof Rupert von Bamberg
und anderen schwerer Vergehen bei Wibert angeklagt worden und
hatte von diesem durch die Kardinäle Warinus, Anastasius und Adal-
marius den 29. September 1097 als Termin für seine Verantwortung
erhalten ^ Auf demselben sollten auch Rupert und die übrigen
Ankläger erscheinen , um die Beschuldigungen , die sie gegen
den Abwesenden erhoben hatten , dem Anwesenden gegenüber zu
wiederholen. Ruthard kam nicht, denn eine zweite Ladung wurde
nötig, welche durch die Bischöfe Dietrich von Albano und Robert
von Faenza erfolgte*, wohl im Anfang 1098, als Ruthard noch in
Mainz war; er solle auf einer Synode erscheinen, wurde ihm auf-
gegeben. Er versprach zu folgen ; als aber die Gesandten sich ent-
fernt hatten, handelte er in einer anderen schwebenden Angelegen-
heit nach seinem Kopfe, der Legat kehrte zurück und gebot ihm
aufrichtigen Gehorsam , wie ihn auch die übrigen leisten müfsten.
Da behauptete Ruthard , er habe einen Gesandten an Wibert ge-
schickt und sei von diesem von dem Besuche der Synode entbunden
worden. Als man hiervon Wibert in Kenntnis setzte, war er sehr
erzürnt, weil die Synode damit in Frage gestellt wurde, denn auch
die Suffragane von Mainz wären gewifs ferngeblieben. Jenen Ge-
sandten Ruthards forderte er unter scharfen Drohungen mit schwerer
Exkommunikation auf den 29. September 1098 zur Verantwortung
vor sich ; an Ruthard aber erging iterum atque iterum die dringende
^ Worüber ßuchholz, Ekkehard 107.
2 Vgl. Giesebrecht III, 678 u. 687 f., Quellen S. 1179, 1181, 1182. Böhmer-
Will, Reg. archiep. Mag. I, 227 u. 228.
^ Das ergiebt Jaffe-L. 5336 im cod. Udalr. 90 bei Jaffe , Bibl. V, 175 zu-
sammengehalten mit Ja£fe-L. 5339 bei Jaffe, Bibl. III, 377. Vgl. Böhmer-Will,
Reg. archiep. Mag. I, 228.
* Jaffe-L. 5339 a. a. 0. In 5337 ist nur von Robert von Faenza die Rede.
112 Wiberts Stellung in Italien und Deutschland.
Aufforderung, am 9. Oktober 1098 auf der geplanten Synode von
Vercelli ^ zu erscheinen und alle seine Suffragane zum Kommen
ebenfalls anzuhalten -. Dieses Schreiben — die dritte Ladung —
wird der Kardinaldiakon Hugo überbracht haben ^. Seine Ankunft
mag gerade in die Zeit gefallen sein, wo auch der Streit zwischen
Heinrich und Ruthard ausgebrochen war. Die Stellung, die nun
Ruthard einnahm, machte ihm ein Nachgeben unmöglich, er erschien
auch auf die dritte Aufforderung nicht.
Und so erliefs Wibert am 29. Juli 1099 sein letztes Schreiben
in dieser Sache an den Propst Godebold und den gesamten clerus
und populus von Mainz '^. Er beklagt zunächst das Unglück und die
Leiden der Mainzer Kirche und zählt dann noch einmal auf, wie
Ruthard, der Simonie beschuldigt^ dreimal durch zuständige Per-
sonen vor ihn citiert worden sei. Dennoch sei er ungehorsam ge-
blieben, habe nur noch neue Verbrechen den alten hinzugefügt, Treu-
bruch und Nachstellungen gegen den Kaiser, Verbindung mit dessen
und der Kirche Gegnern, Diebstahl. Nach all diesem habe ihn die
römische Kirche verurteilt, und es sei ihm ein Nachfolger zu setzen.
Stelle er sich innerhalb eines Jahres nicht, so sei er endgültig ver-
dajnmt. Ihm sei vor Kaiser und römischen Legaten Ort und Zeit
unter Gewährleistung von Sicherheit zur Verantwortung gesetzt ge-
wesen, aus Schuldbewufstsein habe er diese Gelegenheit nicht be-
nutzt. Demnach werden die Mainzer des Gehorsams gegen Ruthard
entbunden, jeglicher Verkehr mit ihm wird bei Strafe des Anathems
untersagt. Dabei blieb es zunächst und so lange Wibert noch lebte ;
einen Nachfolger erhielt Ruthard von Heinrich überhaupt nicht.
Nur von zwei weltlichen Fürsten wissen wir, dafs sie mit Wibert
in Verbindung getreten sind. Der eine ist Herzog Liutold von Kärnten,
ein langjähriger treuer Anhänger des Kaisers, der im Jahre 1090
starb ^. Nicht lange vor seinem Tode hatte er seine Frau verstofsen
und eine andere genommen, wozu er von Wibert besondere Erlaubnis
erhalten hatte; wurde der Papst in dieser Weise angegangen, so
konnte er sich aus politischen Rücksichten kaum versagen, mochte
1 S. 0. S. 92.
- Jaffe-L. 5337 im cod. Udalr. 89 bei Jaffe, Bibl. Y, 174. Vgl. Böhmer-
Will, Reg. archiep. Mag. I, 227.
^ Jaft'e-L. 5339 a. a. 0.
* Ja£fe-L. 5339 a. a. 0. Vgl. ßöhmer-Will, Reg. archiep. Mag. I, 228 f.
^ Bern. 1090 SS. V, 450. — Im Jahre 1096 transsumiert Kaiser Heinrich
eine Urkunde des Herzogs Heinrich II. von Kärnten, durch welche das Kloster
Lambrecht dem Papst unmittelbar unterstellt wird, doch ist die Urkunde nach
Stumpf verdächtig. Stumpf 2933. S. Tangl, Archiv für österr. Geschichts-
quellen XII, 138 ff.
Wiberts Stellung in Italien und Deutschland. 113
ihm die Gewälirung solcher Wünsche, vom rein kirchlichen Stand-
punkte aus gesehen, noch so unliebsam sein.
Mit Böhmen dagegen hat Wibert dauernde Beziehungen unter-
halten.
Kaiser Heinrich hielt während der Fastenzeit 1086 wahrscheinlich
im März ^ eine Synode und einen Reichstag in Mainz, der von 4 Erz-
bischöfen (Mainz, Köln, Trier, Bremen), 12 Bischöfen und vielen
weltlichen Grofsen besucht war -. Auch päpstliche Legaten waren
wie auf dem Mainzer Reichstage von 1085 anwesend^; doch waren
es wohl andere Persönlichkeiten wie im Vorjahre, denn Hugo Candi-
dus, einer der drei vorjährigen Gesandten, war, wie ich oben (S. 70 f.)
wahrscheinlich zu machen gesucht habe , Ende 1085 schon wieder
in Italien. Hier erhielt der in mannigfacher Weise um Heinrich
verdiente Herzog Wratislaw von Böhmen den Königstitel *, während
seinem Bruder, dem bisherigen Kanzler für Deutschland, Bischof
Gebhard von Prag, die Vereinigung der Bistümer Prag und Olmütz
(Böhmen und Mähren) zugestanden wurde ^
Das war der Ausgangspunkt für Verhandlungen mit Wibert, da
die anwesenden Legaten mit Vollmachten für diese Angelegenheiten
wohl nicht versehen waren. Man hatte beide Akte vorgenommen,
ohne nach Wibert sonderlich auszusehen ; und war auch seine Zu-
stimmung wünschenswert, so war doch Heinrich ohne Zweifel be-
rechtigt, allein zu handeln, rücksichtlich der Standeserhöhung jeden-
falls. Konnte sich Wibert durch dies Vorgehen schon verletzt fühlen,
so kam hinzu, dafs Wratislaw sich nicht sehr bemüht hatte, sein
Wohlgefallen zu erwerben; wir werden gleich sehen, worüber er sich
bei dem Herzog zu beklagen hatte.
Kosmas berichtet®: Similiter eodem anno (1086) Heinrico impe-
ratore demandante etMaguntino archiepiscopo Wezlone interveniente,
^ Nicht im April, da Heinrich am 3., 9. u. 29. in Regensburg war. Stumpf
2880, 2881, 2882.
2 Cosmas Prag. 2, 37 SS. IX, 91. Vgl. Giesebrecht III, 615 f. u. 1170.
Böhmer- Will, Reg. archiep. Mag. I, 222.
^ Stumpf 2882 in dessen Acta imperii No. 76 S. 79. Cosmas Prag, 2, 38
SS. IX, 93.
^ Er wurde am St. Veitstage (15. Juni) von Erzbischof Eigilbert von Trier
in Prag gekrönt.
5 Cosmas Prag. 2, 37, 38 SS. IX, 91—93. Die Urkunde für Gebhard ist
am 29. April in Regensburg ausgestellt (Stumpf 2882, bester Druck: Stumpf,
Acta imp. No. 76 S. 79). Aus Kosmas hat Ann. Saxo 1086 SS. VI, 724 falsch
geschlossen: Acta sunt hec Mogontie III. Kai. Mai.
« Cosmas Prag. 2, 38 SS. IX, 93; cfr. 2, 41 S. 95. Vgl. Giesebrecht III,
617. Böhmer-Will, Reg. archiep. Mag. I, 222.
Köbncke, Wibert v. R. 8
114 Wiberts Stellung in Italien und Deutschland.
perlegatos apostolicij qui eidem interfuerunt concilio, domnus Clemens
papa secundum praedictos terminos suo privilegio corroborat Pra-
gensem episcopatum, id efflagitante et suggerente Gebehardo episcopo
per suum capellanum nomine Albinum, quem cum legatis apostolici
exMaguntia hac de eadem causa miserat Romam. Am 15. Mai 1086
war nun Wibert noch in ßavenna ^, wo ihn die Legaten wohl noch
erreicht haben, da die Mainzer Synode schon im März gehalten worden
war. Auf alle Fälle glaube ich nicht, dafs man aus dieser Kosmas-
Stelle auf einen Aufenthalt Wiberts in Rom im Jahre 1086 schliefsen
darf; es liegt zu nahe, bei einer Gresandtschaft an den Papst nur
an Rom zu denken.
Ein grofser Apparat wurde also für die Erreichung des Zieles
in Bewegung gesetzt. Der Kaiser und der Erzbischof von Mainz
bitten, ihnen schliefsen sich die päpstlichen Legaten an, der Bischof
schickt noch einen Spezialgesandten in seinem Kaplan Albinus. Dazu
war das Diplom vom 29. April 1086 - vorsichtig so abgefafst, dafs
es Wiberts Empfindlichkeit nicht erregen konnte. Obwohl Wratislaw
schon seit dem März König war, heifst es in der Urkunde da, wo
die in Mainz Anwesenden aufgezählt werden : cum assensu laicorum,
ducis Boemiorum AVratizlai. Diese Schwierigkeit hat Dobner mit
Glück so gelöst, dafs er annahm, dieser Titel sei mit Rücksicht auf
Wibert gewählt, dessen Anerkennung der Königswürde eben noch
ausstand; man wollte der zu bestätigenden Urkunde kein Hindernis
anhängen '^. Den vereinten Bemühungen gelang es, die Bestätigung
der Verfügung Heinrichs über die Vereinigung der Sprengel Prag
und Olmütz von Wibert zu erreichen, was im Sommer 1086 geschehen
sein mag.
Von einer Bestätigung der Königswürde sagt Kosmas nichts.
Indes hatte Wezilo, als er der Bitte um Bestätigung des Bistums
Prag in seiner neuen Ausdehnung seine Unterstützung lieh, gleich-
zeitig auch ein Schreiben an Wibert gericlitet, das die Frage der
Königswürde betraf*. Wratislaw that es nicht selber, weil sein Ver-
1 Jaffe-L. 5323. ^ stum])f 2882.
^ Hagecii Ann. Bohemiae ed. Dobner V, 517. Gfr. SS. IX, 92 Anm. 87.
* Pez, Thesaurus anecdot. VI, 1, 288 No. 73. Vgl. Böhmer-Will, Reg. ar-
chiep. Mag. I, 222 f. Giesebrecht III, 1171. Giesebrecht hat zuerst darauf auf-
merksam gemacht , dafs der Brief von Wezilo von Mainz herrühre. Übrigens
stimme ich Böhmer und Giesebrecht nicht zu, wenn sie ihn in die zweite Hälfte
1086 nach der feierlichen Krönung vom 15. Juni setzen, denn nicht diese, son-
dern der Vorgang von Mainz ist das Entscheidende, auch erhielt schon hier
Wratislaw einen circulus regalis von Heinrich aufgesetzt. Die Legaten werden
AVezilos Brief mitgenommen haben, der also schon im März oder Ai)ril 1086
«•eschrieben ist.
Wiberts Stellung in Italien und Deutschland. 115
liältnis zu Wibert getrübt, AVezilo aber persona grata war. Die
Anrede und die Einleitung des Briefes bilden eine captatio bene-
volentiae im höchsten Grade, die Schmeicheleien, die Wibert gesagt
werden, berühren fast unangenehm. Wratislaw, Wezilos Auftrag-
geber, wird salva vestri (sc. Clementis) reverentia rex Boloniorum ^
genannt. Wezilo bittet um Nachsicht wegen der Annahme des Königs-
titels, denn der Kaiser und das ganze Reich seien einverstanden ge-
wesen. Eindringlich wird an die grofsen Verdienste Wratislaws um
Kaiser und Papst erinnert, ohne ihn Aväre alles aus den Fugen ge-
gangen. Es wird versichert, dafs Wibert des Gehorsams Wratislaws
sich versehen könne, der ihm von grofsem Nutzen sein werde. Des-
halb möge er mit dem König nicht ins Gericht gehen und seiner,
Wezilos, Vermittelung diese Sache anvertrauen. Der Brief hat die
gewünschte Wirkung nicht gehabt, die Ursachen dürften im Folgenden
zu finden sein.
Einmal hatte Wratislaw von Alexander II. als eine Art Aus-
zeichnung den Gebrauch der Mitra zugestanden erhalten, den ihm
Gregor bestätigte -. Dafür zahlte er einen Zins von 100 Mark Silbers,
für dessen Entrichtung ihm beispielsweise Gregor noch am 22. Sep-
tember 1074 dankt ^. Ob er ihn noch Ende der 70 er Jahre geleistet
hat, weifs man nicht, jedenfalls hat er die Kirchenspaltung als will-
kommenen Anlafs ergriffen, seine Zahlungen trotz wiederholter Mah-
nungen Wiberts einzustellen *. Dann schwebte noch eine zweite Ange-
legenheit zwischen beiden, die das Bistum Meifsen betraft Der
dortige Bischof Benno befand sich unter denen, die auf der Synode
von Mainz 1085 abgesetzt und exkommuniziert wurden ^ Ihm ward
wohl zu Anfang 1086 ' ein Nachfolger bestellt in der Person eines
^ Statt Boloniorum ist wohl ßoemiorum zu lesen, denn dafs Polen durch
diese Vorgänge in keiner Weise berührt wurde, hat neuerdings erwiesen Wersche,
Das staatsrechtliche Verhältnis Polens zum deutschen Reich, Zeitschrift des
Vereins für die Greschichte des Grofsherzogtums Posen. 1887. S. 270 — 273.
2 Greg. VlI. Reg. 1, 38 bei Jaöe, Bibl. II, 56; Jaffe-L. 4812. Dabei ist
nicht an eine ßischofsmitra zu denken, wie Ducange V, 427 s. v. mitra lehrt,
sondern an eine Bedeckung des Hauptes unter der Krone nach Art der Mitra.
3 Greg. VII. Reg. 2, 7 bei Jaffe, Bibl. II, 119; Jaffe-L. 4880. Vgl. Giese-
brecht III, 226 u. 1119.
* Jaffe-L. 5324; s. u. S. 116 Anm. 5.
^ Vgl. cod. dipl. Saxoniae regiae, I. Hauptteil, 1. Band, Einleitung S. 103,
105, 108 f.
^ Walram de unit. eccl. 2, 19 ed. Schwenkenbecher S. 78.
' Dafs dies erst nach dem April, bezw. 15. Juni 1086 geschehen sei, wie im
cod. dipl. Sax. reg. I, 1, Einltg. S. 105 Anm. 126 behauptet wird, ergeben die
dort angeführten Briefe (Pez , Thes, VI , 1 No. 72 u. 74) nicht ; sie sind aller-
dings erst geschrieben, nachdem Wratislaw König geworden ist, sprechen aber
8*
116 AViberts Stellung in Italien und Deutschland.
gewissen Felix ^, wie am deutlichsten aus einem Briefe des kaiser-
lichen Gegenerzbischofs Hartwich von Magdeburg an Wratislaw her-
vorgeht '^. Dafür, dafs Felix in den Besitz seines Bistums gelange,
sollte Wratislaw, der auf die thüringischen Marken Einflufs hatte '^,
seine Macht geltend machen ; es mufs ihm aber nicht recht gewesen
sein, denn er that nichts und liefs einen durch einen Gesandten über-
mittelten Brief Wiberts unberücksichtigt ^.
Statt nun Wratislaws Königswürde anzuerkennen oder einen
Schritt zu thun, den man so hätte auslegen können, erliefs Wibert
vielmehr wohl ziemlich gleichzeitig mit der Bestätigung des Prager
Bistums ein Schreiben an den König, das die Adresse führt : Clemens
episcopus, servus servorum Dei, W. glorioso principi Boemiorum etc.*''
In diesem ist ausschliefslich von den beiden zwischen dem Papst und
dem König schwebenden Angelegenheiten die Rede. AVibert beklagt
sich, dafs Wratislaw so lange schon die Zahlungen an den heiligen
Petrus nicht geleistet habe, wiewohl er dazu schon oft väterlich er-
mahnt worden sei, eine Ermahnung, die in dringender Form wieder-
holt wird. AVas den designierten Meifsener Bischof Felix angehe —
weder dieser Name noch das Bistum werden genannt, aber nach der
von Felix nicht als von einem erst neu eingesetzten, sondern beklagen nur, dafs
der König seinerseits noch keine Hand für ihn gerührt habe (in novo episcopo
eligendo [auch seinerseits] et constituendo), sonst iam foret locatus. Auch war
in dieser Sache schon vorher ein Brief abgegangen. Vgl. zu diesen Vorgängen
auch cod. dipl. Sax. reg., 2. Hauptteil I, Vorrede S. XVI f.
^ Felix war ein Günstling Wratislaws. Giesebrecht III, 612. Hartwich von
Magdeburg nennt ihn in seinem Briefe an Wratislaw Felicem tuum. AVahr-
scheinlich war er Ende 1079 Gesandter seines Herzogs an Gregor. Greg. VII.
Reg. 7, 11 bei Jaffe, Bibl. II, 394; Jaffe-L. 5151. Hagecii Ann. Bohemiae ed.
Dobner V, 481.
2 Pez, Thes. anecd. VI, 1, 289 No. 74 und cod. dipl. Sax. regiae 1. Haupt-
teil I, 347; 2. Hauptteil I, 40.
^ Er hatte sie bis 1081 besessen und besetzte sie 1087 wieder. Giesebrecht
III, 526 u. 623. Codex dipl. Sax. regiae, 1. Hauptteil I, Einltg. S. 110 f.
■* Jaffe-L. 5324, s. folgende Anm.
•^ Jaffe-L. 5324 bei Pez , Thes. anecd. VI, 1 , 286 No. 72 und im cod. dipl.
Sax. regiae, 2. Hauptteil I, 39; 1. Hauptteil I, 346. Gänzlich undatiert. Giese-
brecht III, 1171 setzt das Schreiben in 1084 oder 1085, Jafte-L. in 1086 nach
dem 15. Juni. Dafs es nach dem 15. Juni fallen müsse , wird sich bindend
kaum behaupten lassen; aber 1086 ist Giesebrechts Annahme vorzuziehen, und
zwar ist die Zeit nach der Mainzer Versammlung anzunehmen wegen der Adresse.
Wratislaw war schon König, darum sagt Wibert nicht dux, um ihn nicht zu
verletzen, aber auch nicht rex, was er nicht anerkennen wollte, sondern wählt
den indifferenten Titel princeps. — Am Schlüsse wird hervorgehoben, dafs ein
neues Siegel zur Anwendung gekommen ist.
Wiberts Stellung in Italien und Deutschland. 117
ganzen Lage der Dinge kann gar kein anderes gemeint sein ^ — , so
sei keiner treuer als dieser. Wiederholt bitte er daher^ ihm zu seinem
Bistum zu verhelfen ; noch habe er sich darüber mit dem Kaiser
nicht ins Benehmen gesetzt, und wenn Wratislaw nur seinen Bitten
schon willfahre, so werde er es ihm hoch anrechnen. Jedenfalls
möge er eine Antwort senden.
Ob Wratislaw gezahlt hat, wissen wir nicht, unwahrscheinlich
ist es. Die Meifsener Angelegenheit aber nahm einen eigenen Ver-
lauf, durch den sie aufhörte, zu Streit zwischen Wibert und Wratislaw
Anlafs zu geben. Bischof Benno nämlich fand es geraten einzulenken ;
denn Ekbert, der Markgraf von Meifsen, hielt es bald mit Heinrich,
bald mit dessen Gegnern, auf ihn war kein Verlafs, und die Nähe
Wratislaws war immerhin bedrohlich. Benno — der deshalb von
Walram von Naumburg sehr gelobt wird — begab sich im Laufe
des Jahres 1086 zu Wibert und erlangte Verzeihung, wurde von
diesem mit einem Schreiben an Kaiser Heinrich gesendetj auch von
ihm zu Gnaden angenommen und seinem Bistum wiedergegeben -.
Damit war die Sache aus der Welt geschafft, Felix aufgegeben. Zwar
richtete der kaiserliche Gegenerzbischof Hartwich von Magdeburg
wohl noch in der zweiten Hälfte des Jahres 1086 — er spricht näm-
lich zuerst seine Glückwünsche wegen der Königswürde aus — ein
Schreiben an Wratislaw des Inhalts '^: der in Mainz abgesetzte Bischof
Benno von Meifsen sei aus Italien zurückgekehrt, angeblich mit dem
Papste versöhnt ; seinen Wünschen sei aber unmöglich zu willfahren,
weil er kein sicheres Zeichen der Versöhnung habe, und wegen des
Felix, der ihm schon in kanonischer Weise nachgefolgt sei. Benno
wolle durch Überraschung seinen Sitz wiedergewinnen, Wratislaw
möge sich vorsehen und es nicht zulassen. Aber das nützte natürlich
nichts mehr, Benno wufste sich aufs beste mit Wratislaw zu stellen,
wie wir durch Kosmas wissen ^.
Als Wratislaw, in seiner Stellung zu Heinrich schwankend ge-
worden, im Jahre 1088 in Streitigkeiten mit seinem Bruder Gebhard
geriet und trotz der Privilegien Heinrichs und Wiberts die Sprengel
Prag und Olmütz wieder trennte, wollte sich Gebhard um Schutz
zu Wibert begeben, starb aber am 26. Juni 1089, ehe er seinen Ent-
^ Jedenfalls nicht das Bistum Olmütz, wie Boczek, Cod. dipl. Moraviae I,
174 meint.
^ Walram de unit. eccl. 2, 25 ed. Schwenkenbecher S. 89. Vgl. Giesebrecht
III, 624.
^ Pez, Thes. anecd. VI, 1, 289 No. 74 und cod. dipl. Sax. regiae, 1. Haupt-
teü I, 347; 2. Hauptteü I, 40.
* Cosmas Prag. 2, 40 SS. IX, 94.
118 Wiberts Stellung in Italien und Deutschland.
sclilufs zur Ausführung gebracht hatte ^ Wie Wibert sich zu Wratis-
laws Vorgehen verhielt, ist unbekannt, doch mufste er die Dinge
gehen lassen^ wie sie gingen.
Dabei dauerten seine freundlichen Beziehungen zu Böhmen fort,
auch nach Wratislaws am 14. Januar 1092 erfolgten Tode -, in diesem
Lande wurde er bis an sein Ende als Papst angesehen. Gegen den
Schlufs des Jahres 1092 z. B. wurde von Herzog Bretislaw und
Bischof Kosmas von Prag ein gewisser Robert aus Cavaillon in der
Provence, der sich für einen langjährigen Bischof dieser Stadt aus-
gab, es aber nie gewesen war, auf Grund der Aussage eines gewissen
Ozel, der seine Angaben bestätigte, zu bischöflichen Amtshandlungen
zugelassen, deren er auch viele verrichtete. Um Ostern 1093 er-
schien nun ein Geistlicher , der wufste , wie es mit Robert stand.
Dieser mufste seine Entlarvung befürchten und ging schleunigst zum
grofsen Erstaunen des Herzogs und des Bischofs nach Sachsen. Als
dann die Sache ruchbar wurde, vergewisserten sich beide bei dem
Bischof Desiderius von Cavaillon und erhielten die Auskunft, dafs
es dort niemals einen Bischof Robert gegeben habe. Da sandte man
denn auch an AVibert, wie es mit den Amtshandlungen dieses Mannes
gehalten werden solle. Wibert traf eine durchaus angemessene und
vernünftige Entscheidung '^ : ecclesias ex integro reconsecrare, bap-
tizatos crismate pseudoepiscopi non rebaptizari, sed tantum confir-
mare, similiter ordinatos non reordinari, sed solummodo inter ordi-
nandos stare ad ordinationem , et per solam manus inpositionem
recipere benedictionem.
Und noch in seinem letzten Lebensjahre stand er mit Böhmen
in Verbindung. Sein Legat nämlich, Kardinal Robert, konsekrierte
in Vertretung seiner am 8. April 1100 in Mainz den als Nachfolger
des Kosmas erwählten Bischof Hermann von Prag ^. Dies hätte zu-
nächst dem Erzbischof Ruthard von Mainz zugestanden, der aber ja
mit dem Kaiser zerfallen war und sich flüchtig in Thüringen auf-
hielt; Robert that es auf Befehl des Kaisers und mit Zustimmung
der Mainzer Suffragane.
Solches wird uns über die Verbindungen Wiberts mit einzelnen
deutschen Bischöfen und Fürsten überliefert. Es kann nicht meine
Aufgabe sein, nachzuweisen, wer sonst zu seinen Anhängern gehörte
^ Cosmas Prag. 2, 41 SS. IX, 95 f. Oiesebrecht III, 624, 631, 1171 f. Cod.
dipl. Sax. regiae, 1. Hauptteil I, Einltg. S. 110. Böhmer- Will , Reg. archiep.
Mag. I, 223.
2 Cosmas Prag. 2, 50 SS. IX, 100. ^ Cosmas Prag. 2, 51 SS. IX, 101.
* Cosmas Prag. 3, 10 SS. IX, 106. Vgl. Giesebrecht III, 684. Böhmer-
Will, Reg. archiep. Mag. I, 229.
Wiberts Stellung- zu den übrigen Ländern Europas. 119
und wer nicht. Im allgemeinen läfst sich sagen, dafs in Deutsch-
land bei geistlichen und weltlichen Fürsten Kaiser Heinrich stets
in erster Linie stand. Hinter ihm kam Wibert. Wer Heinrich als
Kaiser anerkannte, sah dann in Wibert seinen Papst, aber auch nur
darum, nicht aus Begeisterung für Wiberts Person oder Sache. Mufste
man sich an den Papst wenden, so ging man eben an ihn, aber er
blieb in Deutschland fremd. Und gern entzog man sich seinen Ver-
pflichtungen ihm gegenüber, er hatte nicht die Macht und das An-
sehen, um dagegen wirksam einschreiten zu können. Bei Wratislaw
von Böhmen haben wir dies schon gesehen. Ebenso aber mufste
sich Wibert im Jahre 1097 bei Bischof Rupert von Bamberg, einem
erprobten Anhänger der kaiserlichen Sache, den er auch wegen seines
Eifers für ihn selber lobt, beklagen, dafs er so lange der römischen
Kirche vorenthalten habe, was ihr gebühre. Er mahnt ihn und be-
fiehlt ihm energisch: ut, quod debes, solvas ablatumque temere re-
stituere non differas. Eventuell droht er mit einer Beschwerde beim
Kaiser ^ Wo Heinrich und Wibert anerkannt wurden, war die welt-
liche der geistlichen Macht übergeordnet.
Elftes Kapitel.
Wiberts Stellung zu den übrigen Ländern Europas.
Um es gleich vorweg zu sagen: zu keinem anderen Lande Europas
hat Wibert irgend nennenswerte Beziehungen unterhalten.
Vom Norden Europas, mit dem Gregor in lebhafter Verbindung
stand^ hören wir gar nichts. In Ungarn gab es zahlreiche Anhänger
der wibertistischen Sache, denn Papst Urban nimmt am 27. Juli 1096
Anlafs ^, den König Koloman eindringlich zu ermahnen, die Partei
der Ketzer zu verlassen und die Fahne des wahren katholischen
Glaubens aufzurichten ; indes erfahren wir nichts von einem Verkehr
mit Wibert.
In England regierte nach Wilhelm I. dem Eroberer (1066 — 1087)
dessen sehr gewaltthätiger Sohn Wilhelm II., der nicht lange vor
Wibert am 2. August 1100 starb. An der Spitze der Geistlichkeit
stand der Erzbischof von Canterbury, seit 1070 der bekannte Lanfrank
von Bec (f 24. Mai 1089). Sein Nachfolger wurde erst 1093 der
ebenso berühmte Anselm (-|- 21. April 1109). Solange Lanfrank
lebte und noch manches Jahr nach seinem Tode kümmerte man sich
in England um die Kämpfe Gregors und Wiberts nicht, der König,
1 Jaffe-L. 5336 im cod. Udalr. 90 bei Jaffe, Bibl. V, 175.
2 Jaffe-L. 5662 bei Migne CLI, 480.
120 Wiberts Stellung zu den übrigen Ländern Europas.
im ganzen Gregor ergeben, wollte doch völlig freie Hand behalten ^.
Man entschied sich demzufolge auch nicht für einen der beiden, wofür
wir ein klassisches Zeugnis von Erzbischof Lanfrank selbst in einem
Briefe haben ^, der an einen sonst unbekannten Hugo gerichtet ist.
Zwar mifsbilligt er an diesem, dafs er Gregor tadle und Clemens
lobe, man könne nicht wissen, wie beide vor Gott daständen ; gewifs
aber habe der Kaiser nicht ohne wichtige Gründe gehandelt, habe
auch nicht ohne grofse Hülfe Gottes einen solchen Sieg erringen
können. Welch milde Beurteilung einer Thatsache, die sonst ent-
weder mit grofsem Jubel oder mit Wutgeschrei aufgenommen wurde.
Weiter geht aus dem Briefe hervor, dafs Hugo die Absicht gehabt
hatte, nach England zu kommen; Lanfrank rät, vorher die Erlaubnis
des Königs einzuholen, und nun folgt der entscheidende Satz : Nondum
insula nostra priorem (sc. Greg. VII.) refutavit, nee, utrum huic
(sc. Clementi III.) obedire debeat, sententiam promulgavit.
So geben versclnedene englische Annalen zum Jahre 1084 an,
dafs AVibert Papst geworden sei ^.
Auch späterhin lassen die Nachrichten, die wir haben, deutlich
erkennen, mit wie wenig Teilnahme man den Kämpfen der Päpste
in Italien gegenüberstand. Durchgängig heifst es: Man sprach in
England davon, dafs es zwei Päpste gäbe und ähnliches. Eadmer
z. B. sagt an einer Stelle, die zu Ende 1094, Anfang 1095 gehört "*:
Erant quippe illo tempore duo^ ut in Anglia ferebatur, qui dicebantur
Romani pontifices, a se invicem discordantes et ecclesiam Dei inter
se divisam post se trahentes: Urbanus .... et Clemens .... Que
res, ut de aliis mundi partibus sileam, per plures annos ecclesiam
Anglie in tantum occupavit, ut, ex quo venerande memorie Gregorius,
qui antea vocabatur Hildebrandus , defunctus fuit, nulli loco pape
usque ad hoc tempus subdi vel obedire voluerit ; und an einer anderen
Stelle zum Jahre 1095*'^: Erant . . . namque Romae in Ulis diebus,
i^äheres giebt Giesebrecht III, 222 ff., 514, 545, 594.
- Lanfranci epist. 59 ad Hugonem Wibertinum directa bei Migne CL, 548,
geschrieben nach dem 24. März 1084 (Inthronisation Wiberts) vor dem 25. Mai
1085 (Tod Gregors VII.).
3 Chron. Anglo-Scoticum SS. XXVII, 60 : Wibertus papa sedem accepit. —
Annales de Margan SS. XXVII, 428: Withbertus papa sedem accepit.
^ Eadmeri bist, novorum in Anglia lib. 1 SS. XIII, 139. Nach ihm Flor.
Wigorn. 1113 (1091) SS. V, 564. Will. Malmesb., Gesta pont. Angl. 1, 49 SS.
XIII, 136.
5 Eadmeri bist. nov. in AngHa lib. 2 SS. XIII, 139 Anm. 3. Allen diesen
Nachrichten gegenüber bedarf Ordericus Vitalis, Hist. eccl. lib. 8 SS. XXVI, 22
sehr der Einschränkung, wenn er im Hinblick auf England etwa zum Jahre
1089 meint: Galli vero et Angli aliaeque gentes pene omnes per orbem Urbano
pie obsecundabant.
Wiberts Stellung zu den übrigen Ländern Europas. 121
sicut praediximus, duo pontifices, qui a diversis apostolici nuncupa-
bantur ; sed quis eorum canonice, quis secus fuerit institutus, ab Anglis
usque id temporis ignorabatur ^.
Freilich safs in Anselm von Bec seit 1093 ein entschiedener
Anhänger Urbans auf dem Stuhl von Oanterbury, der, bevor er die
erzbischöfliche Würde annahm , sich offen darüber erklärt hatte -.
Doch König Wilhelm II. hielt ihm zunächst das Gegengewicht, er
beabsichtigte, keine Entscheidung zu treffen, war aber Wibert ge-
neigter, ohne dafs dieser irgendwelchen Nutzen davon hatte ^. Es
dauerte denn auch nicht lange, so traten Zerwürfnisse zwischen dem
König und dem Erzbischof ein, die, mit Mühe beschwichtigt, bald
von neuem ausbrachen und Anselm 1097 veranlafsten, England zu
verlassen, da er den Zorn des Königs zu sehr erregt hatte ; erst nach
dessen Tode (1100) kehrte er dahin zurück^.
Was Frankreich betrifft, so trat Wibert mit Erzbischof Manasse
von Rheims in Berührung. Dieser beteiligte sich nämlich wie Wibert
an Heinrichs IV. erstem Romzuge im Jahre 1081, nach Benzo an-
geblich als Gesandter König Philipps I. ^ Das ist aber eine Er-
findung Benzos. Manasses Anwesenheit wird freilich auch sonst be-
stätigt ^, sie hatte aber einen ganz anderen Grund : seine Diöcesanen
hatten ihn vertrieben, nachdem Gregor VII. ihn verworfen hatte "'.
Eine andere Spur von Beziehungen Wiberts zu Frankreich wird
sich als sehr trügerisch erweisen. Der Bischof Frotardus von Alby
am Tarn in Südfrankreich hatte sein Bistum vom Bischof Froterius von
Nimes und dessen Bruder Bernhard gekauft ^ und war deshalb wegen
^ Vgl. über dieses Schwanken in England auch Anselmi Cantuar. epist. 3, 36
bei Migne CLIX, 67—70 (68).
^ Anselmi Cant. ep. 3, 24 bei Migne CLIX, 53, an Erzbischof Hugo von
Lyon anfangs 1094 geschrieben: Raptus ad archiepiscopatum , antequam prae-
berem assensum, palam dixi , me favere domino papae Urbano et Guiberto ad-
versari.
3 Eadmeri hist. nov. in Anglia lib. 1 SS. XIII, 139. Wül. Malmesb., Gesta
pont. Angl. 1, 49 SS. XIII, 136.
* Die unmittelbare Veranlassung und die Geschichte des Streites erzählt
Anselm selbst epist. 3, 40 bei Migne CLIX, 74. Cfr. Eadmeri hist. nov. in
Anglia lib. 1 u. 2 und vita Anselmi 2 SS. XIII, 139—144, ausführlich die hist.
nov. bei Migne CLIX, 379 ff. u. 898 ff., die vita Ans. 2, 23 ff. bei Migne CLVIII,
90 ff. _ Will, Malmesb., Gesta pont. Angl. 1, 49—51 ed. Hamilton S. 86—95.
5 Benzo lib. 6 praef. SS. XI, 657.
^ Guibertus de Novigento de vita sua 1, 11 bei Migne CLVI, 853 f. und
Gallia christiana X, 74.
' Cfr. Greg. VII. Registrum 7, 12, 20; 8, 17—20 bei Jaffe, Bibl. II, 394.
411, 447—452. Hugo Flav. SS. VIII, 421 f.
^ Zu dem Einflufs dieser auf die Besetzung des Stuhles von Alby vgl. die
Urkunde Gallia christ. I, instr. S. 4.
122 Wiberts Stellung zu den übrigen Ländern Europas.
Simonie von Gregor nach Rom citiert worden, auch erschienen und
bestraft (repulsus). Nun begab er sich zu Wibert nach Eavenna
und bat um dessen Unterstützung, die er erhielt, indem ihm Wibert
ein Schreiben mitgab. Dieses verheimlichte er nach seiner Rückkehr
und zeigte statt dessen ein angeblich von Gregor herrührendes vor,
welches so lautete, dafs er von seiner Diöcese wieder aufgenommen
wurde. Nach wenigen Tagen aber kam die Sache durch seinen Be-
gleiter Hugo, einen Schreiber (grammaticus), ans Licht, der das als
Schweigegeld versprochene Maultier nicht erhielt und den wahren
Sachverhalt verriet. Frotard wurde von dem päpstlichen Legaten,
Erzbischof Hugo von Lyon , vor eine Synode zu Toulouse geladen
und dort exkommuniziert, zumal er nicht erschienen war. So weit
die wenig scharf gefafste Erzählung ^ , die zu schweren Zweifeln
Veranlassung giebt.
Ihr anonymer Autor, offenbar ein Kanoniker von Alby. hat erst
gegen die Mitte des 12. Jahrhunderts geschrieben -, zahlreiche Irr-
tümer zeigen, dafs er über eine ziemlich weit hinter ihm liegende
Zeit berichtet. Er erzählt die Wibert betreffende Geschichte und
die Exkommunikation, die er an sie knüpft, vor einem längeren
Bericht darüber, wie das Kloster Vieux in die Gewalt des Klosters
Orillac gekommen sei ^. Letzteres wird aber im Besitze des ersteren
von Gregor VII. schon am 12. April 1080 bestätigt, wobei auf den
Konsens des Bischofs Frotard hingewiesen wird ^. Danach müfste
die Exkommunikation Erotards mitsamt dem , was von Wibert er-
zählt wird, vor 1080 fallen. Die notitia berichtet weiter (Bouquet
S. 51), dafs auf derselben Synode von Toulouse, auf welcher Frotard
exkommuniziert worden sei, Bischof Pontius von Rodez die Kon-
sekration erhalten habe. Dieser w^ar Bischof seit 1076 und begegnet
sicher 1079 ^ Sonach wäre diese Synode vor 1080 anzusetzen, wie
es auch Mansi thut, der sie, auf unsere Notiz und auf ein Zeugnis
über Urkunden von Rodez fufsend, 1075 einreihte''. Ein fernerer
1 Notitia de ecclesia de Viancio (Vieux) bei Baluze, Mise. VI, 432 der 1.,
I, 124 der 2. Ausgabe und bei Bouquet, Recueü XIV, 49. Jaffe-L. .5316.
2 Bouquet, Recueil XIV, 49 Anm. a. Cfr. Gallia christ. I, 11 u. 12.
^ Die Aktion dafür setzte angeblich 2 Jahre nach der Exkommunikation
Frotards ein. Aber es treten während derselben Kanoniker auf (Bouq. S. 51),
die nach einer Urkunde von 1072 (Gallia christ. I, instr. S. 5 f.) damals ihrer
Würden entsagt haben. Schon dies läfst eine grofse chronologische Verwirrung
befürchten.
* Greg. VII. Reg. 7, 19 bei Jaffe, Bibl. II, 409 f.; Jaöe-L. 5162.
^ Gallia christ. I, 204 f. und instr. 49 f. Gams, Series episc. 612.
*^ Mansi XX, 457. Er will sie nachträglich in 1079 setzen, da die Heraus-
geber der Gallia christiana als Anfangsjahr des Pontius 1079 annähmen. Dies
Wiberts Stellung zu den übrigen Ländern Europas. 123
Anstofs findet sich (Bouquet S. 50) : es wird erzählt, wie Romanae
ecclesiae legatus, Amatus nomine, missus ad partes Aquitanicas et
Hispanicas , Chrisma (Salböl) auf den Boden gegossen habe, als er
erfuhr, dafs es von dem exkommunizierten Frotard geweiht worden
sei. Die Gesandtschaft des Amatus nach Spanien fällt aber in das
Jahr 10771.
Nach diesem steht fest; dafs Frotard überhaupt exkommuniziert
worden ist, und zwar um das Jahr 1076 '-; der Grund wird Simonie
gewesen sein^; aber die Geschichte der Veranlassung der Exkom-
munikation ist, abgesehen höchstens von der Reise nach Rom, nicht
haltbar, leidet auch an inneren Unwahrscheinlichkeiten. Wie sollte
Frotard seinem Begleiter, der um den ganzen Handel wufste, die
versprochene, so geringe Belohnung nicht geleistet haben! Und
wozu brauchte er noch Briefe Wiberts , wenn er solche Gregors
fälschte !
Mit Wibert kann also Frotard nichts zu thun gehal)t haben ;
wie aber konnte die Erzählung entstehen? Aus der notitia geht
hervor, dafs Vieux früher den Kanonikern von Alby gehörte; nach
Gregors Aussage ^ war es an Orillac gekommen a principibus ipsius
terrae consensu episcopi et clericorum, zu denen aber die Kano-
niker gewifs nicht gehörten. Denn auch nach Frotards Tode (dessen
Jahr nicht bekannt ist) blieb es in den Händen der Mönche von
Orillac nur sub continua Albiensium canonicorum querela. Unter
Bischof Bertrand endlich (1115 — 1125)^ ward es ihnen zurückge-
ist, wie ich mich überzeugt habe, ein Irrtum Mansis. Grallia christ. I, 205 steht :
Hinc consequens est, Pontium iam infulis donatum fuisse an. 1076. Ebenso irrt
Bouquet S. 51. Hefele, Konziliengesch. ^ V, 55.
Eine synodus Tolosana wird erwähnt Jaffe-L. 5192 bei Jaffe, Bibl. II, 563
in der Narbonnensischen Angelegenheit (1080). In diesem Schreiben fordert
Grregor den vicecomes, clerus und populus von Narbonne zur Unterstützung des
rechtmäfsigen Erzbischofs Dalmatius gegen Petrus auf. Die Narbonnensische
Verwickelung spielte freilich schon 1076 (Jaffe, ßibl. II, 223), war aber noch
lange nicht so weit gediehen, dafs unter der synodus Tolosana, auf die Gregor
anspielt, eine solche von 1076 verstanden werden könnte; spätestens 1076 mufs
aber die uns hier angehende fallen, wie wir gleich sehen werden,
1 Jaffe-L. 5041 u. 5042 bei Jaffe, Bibl. II, 283 (Reg. 4, 28) und II, 547
(Ep. coli. 21).
^ Dafs Hugo, damals noch Bischof von Die, als Lugdunensis episcopus be-
zeichnet wird, ist einer jener oben (S. 122) erwähnten Irrtümer.
^ Frotard wird sich später gefügt haben, denn noch 1083 begegnet er als
Bischof. Gallia christ. I, 11. d'Auriac, Hist. des eveques d'Alby 46 bringt für
unsere Zwecke nichts bei.
^ Greg. VII. Reg. 7, 19 bei Jaffe, Bibl. II, 410; Jaffe-L. 5162.
•^ Gallia christ. I, 13.
124 Wiberts Stellung zu den übrigen Ländern Europas.
stellt, wofür dieser von unserem den Kreisen der Kanoniker offenbar
angehörenden Anonymus, der bald darauf schrieb, grofses Lob er-
hält. Frotard hatte der Abtretung an Orillac zugestimmt, der Hafs
gegen diesen leuchtet aus vielen Stellen unseres Berichtes hervor.
Unter diesem Gesichtspunkte wird man ihn aufzufassen haben. Was
von JFrotard Schlechtes zu sagen war, übertrieb der Autor und er-
sann Eigenes hinzu ; um aber das Andenken des Bischofs zu schmä-
lern, konnte es kein besseres Mittel geben, als seinen Namen mit
dem des berüchtigten Ketzerführers Wibert zusammenzubringen.
In Hinsicht auf Frankreich erhalten wir somit ein völlig nega-
tives Ergebnis. Es ist vollkommen richtig, was Ernaldus im Leben
des heiligen Bernhard von Clairvaux von diesem Lande aussagt ^ :
Neque enim Francia, caeteris regionibus proclivibus ad scismata.
aliquando Guiberti vel Burdini susceptione fedata est, nee maligno-
rum acquievit erroribus, nee fabricata est ydolum in aecclesia nee
venerata in Petri kathedra monstrum. Nee enim talibus in causis
principalia aliquando eos terruerunt edicta, aut generalibus utili-
tatibus privata commoda pretulerunt, nee declinantes in partem, per-
sonis detulere, sed causis. Sed, si quid oportuit, fortiter persecu-
tionibus obviarunt, nee dampna nee exilia formidarunt -. Gerade
in Frankreich fanden Gregor YII. und Urban IL ibre eifrigsten
Anhänger, das bezeugen Gregors Registrum und Urbans Heise. Eine
anfängliche Opposition gegen Gregor VII. war 1080 bereits über-
wunden und konnte Wibert nichts mehr nützen.
Dagegen haben wir merkwürdigerweise eine vereinzelte Spur
von Beziehungen Wiberts zur Iberischen Halbinsel, mit der aber
nicht viel anzufangen ist. In dem Leben des Erzbischofs Gerald
von Braga wird gelegentlich erwähnt, dafs dessen Vorgänger vor
vielen Jahren, der Bischof Petrus, das Pallium und ein Privileg
von Papst Clemens erhalten habe und deshalb von dem Legaten
Urbans, dem Erzbischof von Toledo, abgesetzt worden sei ^. Es ist
mir nicht möglich gewesen, etwas aufzufinden, was zur Kontrolle
dieser Notiz dienen könnte '*. Ich beschränke mich deshalb darauf,
zu bemerken, (Ulfs am 15. Oktober 1088 Erzbischof Bernhard von
' Ex vitae S. ßernardi Claraevall. lib. 2 auct. Ernaldo SS. XXVI, 101.
■' Unter den Anhängern Urbans wird Frankreich besonders betont bei Ead-
mer, Hist. nov. in Anglia lib. 1 SS. XIII, 139; Will. Malmesb., Gesta pont.
Angl. 1, 49 SS. XIII, 136; Order. Vitalis, Hist. eccl. lib. 8 SS. XXVI, 22.
^ Bernaldi vita Geraldi archiepiscopi Bracarensis c. 6 bei Baluze, Mise. III,
182 der 1., I, 132 der 2. Ausgabe. Jaffe-L. 5331.
* Auch Florez, Espana sagrada, bot die erhoffte Ausbeute, soweit icli sehen
konnte, nicht.
Schlufs. 125
Toledo das Pallium von Urban II. erhielt und Primas von Spanien
wurde ^ ; seitdem erst bestanden nähere Beziehungen zum römischen
Stuhl -. Demnach läfst sich nicht viel mehr thun. als mit Löwen-
feld die Thatsache auf etwa 1090 zu fixieren ^.
Zwölftes Kapitel.
Sehlufs.
Am Schlüsse unserer Untersuchungen angelangt, müssen wir
uns fragen, wie wir Wibert zu beurteilen haben ^. Das ist . wie
stets in so sehr zurückliegenden Zeiten , von denen eine wirklich
lebendige Anschauung zu erhalten mir kaum möglich scheint, eine
mifsliche Sache. Denn erstens ist das Material mangel- und lücken-
haft; zweitens werden uns wohl die Thatsachen mitgeteilt, die Mo-
tive aber, aus denen die Menschen so und so gehandelt haben, er-
fahren wir entweder gar nicht, oder wir erhalten entstellte und er-
fundene Angaben, denen gegenüber grofse Vorsicht nötig ist. Im
ganzen müssen wir^ wenn wir die Thatsachen nach Möglichkeit er-
gründet haben , auf die wahrscheinlichen Motive zurückschliefsen,
und wenn ich im Folgenden mitteile, wie ich mir das Bild Wiberts
denke, so kann es nicht fehlen, dafs viel Subjektives ihm anhaftet.
Dafs die Anhänger ihren Meister mit Lob bedenken, ist kein
Wunder, könnte uns aber nur bedenklich machen, wenn nicht in
gewissen Dingen die Gegner deren Urteil beistimmten. So sind
Freund'^ und Feind ^ darin einig, dafs sie Wibert, der ja sehr vor-
1 Jaffe-L. 5366. ^ Giesebrecht III, 218 u. 597 f.
^ Garns, Series episc. 94, kennt: Erzbischof Petrus, 16, Oktober 1049 — 1084;
Erzbischof' Gerald, B. Juli 1095 bis 5. Dezember 1109. — Burdinus, der Gegen-
papst von 1118, war bekanntlich Erzbischof von Braga. Es ist, als ob eine ge-
wisse Tradition hier gewirkt hätte.
* Vgl, Giesebrecht III, 504 ff. u. 1154, Lehmann-Danzig, Das Buch Widos
von Ferrara 82. Martens, Besetzung des päpstlichen Stuhls 200—203.
•^ Schrift de papatu bei Floto, Heinrich IV., 1, 438. Vgl. Scheffer-Boichorst,
Die Neuordnung der Papstwahl 136 u, 140: Die Charakteristik findet sich nur
im Brüsseler, nicht auch im Pariser Kodex, während der Wiener am Ende ver-
stümmelt ist, — Wido Ferr, 1, 20 SS. XII, 165. Auch Ekkeh. 1100 SS, VI, 219.
« Hugo Flav. SS. VIII, 460. Donizo 2, 119 f, SS. XII, 382:
Maior erat cunctis (sc. pontificibus malignis) Guibertus, episcopus urbis
Ravennae, doctus, sajiiens, et nobilis ortus.
Zu beachten ist, dafs bei Donizo Wibert als Verwandter Mathildes gelegentlich
Lobsprüche erhält, während sich im allgemeinen lange Schmähreden finden,
z. B. lib. 2, 153 &. S. 382 f., 218 ff. S. 384 u. 890 ff, S. 397. Hier ist Vorsicht
am Platze. Vgl, Pannenborg, Studien zur Geschichte der Herzogin Mathilde
von Canossa. Göttingen 1872 (Gymn.-Progr.) S. 5.
126 * Schlufs.
nehmer Abkunft war, als einen Mann bezeichnen, dessen Person
ehrwürdig, dessen von Natur sehr bedeutende geistige Schärfe, Leb-
haftigkeit und Klugheit durch eine umfassende Bildung gesteigert
war, die sich nicht nur auf die kirchlichen Wissenschaften be-
schränkte, dessen Beredsamkeit namentlich eine hervorragende ge-
nannt werden mufste. Ein gegnerischer Autor sagt sogar ^ : (Gui-
bertus) homo literatus et nobilis et qui Deo forsitan placuisset, nisi
hoc piaculum (sc, schisma) fieret; ein anderer-, ebenfalls Gegner:
Erat litteris adprime eruditus et lingua facundissimus et, si iustus,
huic officio satis erat idoneus ^. Gregor selber urteilt in den Briefen
aus der Zeit, da das Verhältnis zwischen ihm und Wibert noch
ein leidliches war, über dessen geistige Begabung ebenso, wiewohl
man seine Höflichkeiten nicht zu ernst nehmen darf^.
Sein Wille war kräftig, er handelte energisch, aber ohne Über-
eilung. Man betrachte nur seine Kanzler- und seine erzbischöfliche
Zeit. Auch später hat er noch viel erreicht, es ist wahrhaftig zu
bewundern, dafs er sich nach dem Jammer der Jahre 1093 — 1097
in dem Mafse wieder aufraffte, wie es geschah. Und an seinem
Wollen und Können lag es nicht, wenn sich im ganzen seine Lage
als Papst trüb gestaltete , die Machtmittel , über die er verfügte,
standen nicht im Verhältnis zu seiner Stellung.
Was seinen moralischen Charakter angeht, so hat keiner der
Gegner ihm das geringste Unsittliche nachgewiesen. Gregor hätte
es in seinen späteren heftigen Briefen sicher nicht unterlassen, wäre
er dazu in der Lage gewesen. Es will nicht viel sagen, wenn Wido '"*
ihn virum nobilem non moribus minus quam genere nennt, aber
um so bedeutsamer ist Gregors Zeugnis ^ Am 25. November 1078,
am 21. Juli und am 15. Oktober 1080 macht er ihm ausdrücklich
nur den Ruin des Erzbistums Ravenna und sein schismatisches Ge-
baren zum Vorwurf. Zwar schreibt er noch am 25. November
1078: bis malis aliisque quam pluribus flagitiis irretitus atque pol-
lutus und nennt Wibert am 21. Juli 1080 hominem per Universum
* Pandulfi vita Gelasii II. bei Watterich II, 92.
2 Casus monast. Petrishus. 2, 30 SS. XX. 645.
•^ Ob aus dem sfriechischen Briefe erschlossen werden darf, dafs Wibert
selber griechisch verstand, bezweifle ich; vielleicht darf man behaupten, dafs es
wahrscheinlich ist.
^ S. 0. S. 23 (Jafie-L. 4781). Am 4. Januar 1075 erhofft Gregor zu der
bevorstehenden Synode den Beistand auch von Wiberts prudentia et spiritualis
tam fortitudo quam sapientia. Vgl. oben S. 27, Jaöe-L. 4919.
"> Wido Ferr. 1, 20 SS. XII, 165.
"> Jaöe-L. 5091, 5177, 5186, 5187 bezw. R^g. 6, 10; 8, 5, 12, 13 bei Jaffo.
Bibl. II, 339, 432, 441, 443.
Schlufs. 127
Romanum orbem nefandissimis sceleribus denotatum. Aber ich
kann mich hier einmal mit Martens ^ durchaus einverstanden er-
klären, wenn er schreibt: „Da Gregor VII. in seinen Sentenzen
die flagitia und scelera Wiberts nicht weiter spezialisiert, so wird
man annehmen dürfen , dafs er nur das ihm absolut verwerflich
erscheinende schismatische Treiben des Gegners urgieren wollte,
ohne demselben gemeine sittliche Verbrechen zuzuschreiben" ^.
Persönlich stand er den grofsen Fragen der Kirchenreform
durchaus nicht feindlich gegenüber. Er war ein Gegner der Simo-
nie, wie sein sehr energisch gehaltenes Verbot derselben durch das
Rundschreiben von 1089 und sein Vorgehen gegen Ruthard von Mainz
beweisen'^. Dem Nikolaitismus, dem er auch persönlich abgeneigt
war, konnte er nur aus politischen Rücksichten nicht scharf ent-
gegentreten ^. Und nur das eine trennte ihn auch persönlich ent-
schieden von seinen Gegnern, dafs er am Investiturrecht des Kaisers
streng festhielt ^.
Soweit sich Wiberts Persönlichkeit bis hierher erkennen läfst,
scheint sie mir durchaus die oben (S. 126) berührte Bemerkung der
Chronik von Petershausen zu bestätigen, Wibert wäre wohl geeignet
gewesen für den päpstlichen Stuhl, wenn er gerecht, d. h. nicht
Schismatiker gewesen wäre. Und so erschien seine Person auch
Fernstehenden ^ ; ihre Macht und ihr Ruf war so stark, dafs noch
30 bis 40 Jahre nach Wiberts Tode der Kanonikus von Alby "
ihn als Schreckbild verwenden konnte.
Eine Eigenschaft indes besafs Wibert vielleicht in höherem
Grade, als gut war, den Ehrgeiz ; ein äufserliches Symptom desselben
ist seine mehrfach bestätigte Prachtliebe, schon als Erzbischof pflegte
er sich mit dem Glänze eines Herrschers zu umgeben ^. Hat ihn
^ Martens. Besetzung des päpstlichen Stuhls 203.
^ Was Bonizo 660 ff. über Wiberts Treiben in Rom 1074 erzählt, ist der-
mafsen vom Hafs diktiert, dafs man seine Behauptungen über Wiberts sittlichen
Charakter nur ablehnen kann ; die Thatsachen , die er berichtet , bleiben be-
stehen, sie waren eben nur die Einleitung zum späteren Schisma, daher der
Zorn und die Verleumdungen Bonizos. S. Martens a. a. 0. 202 f. S. o. S. 25. —
Nicht weniger dürfte eine Nachricht des späten Paul von Bernried, Vita
Grreg. VII. c. 108 bei Watterich I, 538 einfach abzuweisen sein: (Guibertum)
iam pridem a Grregorio nostro propter incestum et alia flagitia sua synodali sen-
tentia damnatum.
5 S. o. S. 80 u. 111 f. ^ S. o. S. 44 f. u. 80. "^ S. o. S. 66.
« Will. Malmesb., Gesta pont. Angl. 1, 49 SS. XIII, 136: Erant his diebus
duo competitores Romani praesulatus, Guibertus et Urbanus, summi ambo et
praestantes viri, neuterque alteri pro persona cedebat,
' S. o. S. 124.
^ Bonizo 655: Guibertus Ravennam intravit in multitudine gravi et in magno,
128 Sclilufs.
aber der Ehrgeiz bewogen, seine Hand nach der päpstlichen Würde
auszustrecken, und ihn so auf die abschüssige Bahn geführt? Ich
glaube, nein.
Vielmehr wiesen ihn schon seine Antecedenzien auf die kaiser-
liche Seite ; durch der Kaiserin Agnes Gunst war er Kanzler, nach-
her Erzbischof von Ravenna geworden. Und von da an ist das der
Grundzug, der durch sein ganzes Auftreten von Anfang bis zu Ende
geht: unentwegte Treue gegen den Kaiser, seinen Herrn.
Als Erzbischof mufs er eine gute Verwaltung geführt haben,
trotz Gregors gegenteiliger Behauptung (s. o. S. 42, 44 f., 70) ; in
all den zwanzig Jahren steter Kämpfe fand auch nicht der ge-
ringste Versuch statt, von ihm abzufallen.
Nun bedurfte Heinrich eines Papstes der Kaiserkrone halber;
während Thedald von Mailand diese ihm zugedachte Würde ab-
lehnte, nahm Wibert sie an. Kaum aus Ehrgeiz, der durch die
angesehene erzbischöfliche Stellung befriedigt worden sein wird.
Schwerlich kann er gewünscht haben, sie mit dem dornenvollen
Posten eines kaiserlichen Papstes zu vertauschen. Ein kluger
Mann, wie Wibert war, mufste sehen, dafs er einen schlechten Tausch
machte.
Denn das Papsttum beanspruchte jetzt, über der weltlichen
Macht zu stehen, diesem Anspruch konnte sich kein Inhaber der
Würde mehr entziehen. Ein von der weltlichen Macht erhobener
und gehaltener, von ihr abhängiger Papst litt darum sofort an einem
inneren Widerspruch in seiner Stellung und mufste daran scheitern.
Nahm Wibert doch an, so that er es innerlich widerstrebend;
aber treu dem Kaiser, der kaum noch einen anderen geeigneten
Kandidaten für den päpstlichen Stuhl gehabt hätte. Und so ge-
winnt sein mehrfach berichtetes Wort (S. 51 , 66) , er habe seine
Stellung invitus auf sich genommen, um den Kaiser in seiner Würde
zu erhalten, eine gewisse Bedeutung. Wibert war ein Opfer der
Politik Heinrichs.
Als er die Würde nun besafs, suchte er sich natürlich auch in
ihr zu behaupten. Durch 20 Jahre hielt er sich, oft nicht ohne
Glück dank seiner Begabung und seinem Geschick. Seine Person
hielt die Partei zusammen und aufrecht, denn nach seinem Tode
sank sie in Ohnmacht zurück, nach wenigen bald mifslungenen Ver-
suchen, sich aufzuraffen. Aber er konnte es zu keiner ganzen Stel-
lung bringen und hatte infolgedessen wenig Ansehen. Er war eben
ut sui moris est, potentatu. Cfr, 673 (Leichenbegängnis des Cencius). Donizo
2, 155 SS. XII, 382: Pompam mundanam plus ipso nullus amabat.
ScMufs. 129
nur das Instrument Heinrichs zur Erlangung cTer Kaiserwürde, das
vor 1084 leicht beiseite geschoben werden konnte, wenn es schien,
als bedürfe man seiner nicht mehr (S. 48 f.). Heinrich kümmerte
sich um Wiberts Interessen nur, wenn sie zugleich die seinen waren.
Wohin Heinrichs Arm nicht reichte, dort bedeutete auch Wibert
nichts ^ Er mufste seine Ansichten verleugnen und zu halben
Mafsregeln greifen, um dies nicht ganz zu thun und doch seine An-
hänger nicht vor den Kopf zu stofsen. Um dieser unbefriedigenden
Stellung willen mufste er die heftigsten und giftigsten Vorwürfe
der Gegner, namentlich den des Eidbruchs, aber- und abermals
über sich ergehen lassen ^. Und so verdient er im ganzen, wenn
auch nicht unsere Bewunderung, so doch unser Mitleid.
^ Cfr. Deusdedit contra invas. 2, 12 bei Mai, Nova patrum bibl. VlI, 3, 94
(danach Petrus Casin. 3, 70 SS. VII, 751). Will. Malmesb., Gesta pont. Angl.
1, 49 SS. XIII, 136. Ordericus Vitalis, Eist. eccl. lib. 8 SS. XXVI, 22.
2 Gregor VII. in Ja£fe-L. 5177, 5186, 5187. Bonizo 676. Gebhard von
Salzburg bei Hugo Flav. SS. VIII, 459 und im cod. Udalr. 69 bei Jaffe, Bibl.
V, 141 f. Vita Anselmi Luc. auct. Bardone c. 18 SS. XII, 19. Deusdedit
contra invas. 2, 11 u. 12 bei Mai, Nova patrum bibl. VII, 3, 93 f. (Danach
Petrus Casin. 3, 70 SS. VII, 750 f.) Bern. 1083, 1084 SS. V, 438, 440. Cfr.
Bern, opusc. 6, 7 S. 358 (Ussermann, prodr. Germ, sacrae IL).
Köhncke, Wibert v. R.
Erster Exkurs.
Zu der Urkunde Wiberts yom 8. Juni 1087 (Jaffe-L. 5826).
Die Urkunde Wiberts vom 8. Juni 1087 hat ihre Schicksale
gehabt. Cfr. Jafie-L. 5326 und Addenda II, 713. Der beste Druck
ist der von Ewald im Neuen Archiv II, 219, das Original befindet
sich in Karlsruhe.
Es ist eine Konfirmationsurkunde , eine Bulle , durch welche
Wibert auf Bitten des Abtes Libo von Selz im Elsafs eine Fest-
setzung desselben bestätigt, nach welcher der Abt die Einkünfte ge-
wisser Besitzungen zu Gunsten der Fremden und Armen anweist.
Über die Datierung haben viele Zweifel bestanden. Grandidier,
Hist. d'Alsace II, 147 druckte in der Datumzeile statt anno nostri
pontificatus IV irrtümlich VI, wodurch Jaffe verleitet wurde, auch
auf diese Urkunde gestützt, eine Synode Wiberts für das Jahr 1089
in Anspruch zu nehmen (s. o. S. 78). Diesem stehen gegenüber die
Drucke bei Würdtwein, Monast. Palat. VI, 172, und Mone, Zeit-
schrift für die Geschichte des Oberrheins XIV, 184, und die Zeug-
nisse Ewalds und Löwenfelds.
Ewald aber dachte an Clemens III. (1187 — 1191) und hielt die
Urkunde, da nach seinen eigenen Angaben ihre innere Form und
Datierung damit in unlöslichem Widerspruche standen, für eine
Fälschung ; beide Annahmen sind irrtümlich. Gegen den 8. Juni 1087
ist nichts einzuwenden \ Ewald hält freilich auch noch Neues Archiv
VIII, 420 an seiner Ansicht fest wegen der Datierung : Datum Bome
ad S. Petrum VI. Idus Junii anno nostri pontificatus quarto, diese
Art der Datierung von Bullen komme erst lange nach dem 11. Jahr-
hundert auf.
^ Pflugk-Harttimgs Datierimo- NA. YIII, 243 u. 246 beruht auf Flüchtig-
keitsfehlern, wie Ewald schon im NA. VIII, 420 f. gezeigt hat.
Zu der Urkunde Wiberts vom 8. Juni 1087 (Jaffe-L. 5326). 131
Hier möge nun eine Zusammenstellung der Datierungen sämt-
licher erhaltenen Bullen Wiberts Platz finden (die Nummern nach
Jaffe-Löwenfeld) :
5319. Actum Ravennae anno domin. incarn. 1084. ind. VII.
Datum per manum Roberti card. presbyt. anno III. ordinat. dom.
Clementis III. pp. VI. Non. Martii feliciter.
5322. Acta sunt haec Havennae in plenaria synodo in matrice
ecclesia, quae dicitur Agiae Anastaseos, anno domin. ine. 1086, imper.
Henrico III. Rom. Augusto, anno imp. eins II. ind. IX. tertio KaL
Martis.
5332. Anno domin. incarn. 1091 ind. XIV. anno autem ponti-
ficatus domni Clementis III. papae VII., XIV. Kai. Februarii.
Datum per manum Bernerii vice cancellarii Petri in urbe Pa-
duana, actum feliciter.
5332«. Ist ohne jegliche Datierung überliefert.
5333. Datum apud Cesenam per manum Bernerii vice Petri
cancellarii anno domin. incarn. 1092 ind. XV. anno autem ponti-
ficatus domni Clementis III. papae IX. Idibus Junii.
5334. Datum V. Idus Augusti apud Montem veterem, qui alio
nomine Mons Belli dicitur, per manus Roberti Faventini episcopi
vice cancellarii Petri anno domin. incarn. 1092 ind. XV.
Man sieht^ das ist ein ganzes Kaleidoskop von Datierungen, keine
gleicht der anderen ganz, in irgend einem Punkte weicht jede von
jeder ab, so dafs die Bezeichnung „zerfahren", die Stumpf der Kanzlei
Wiberts gegeben hat (NA. VIII, 420 nach Ewalds Mitteilung), wohl
verdient erscheint.
Allerdings ist unsere Bulle die einzige, welche weder Inkarna-
tionsjahr noch Indiktion hat; dafs ersteres fehlt, braucht keinen
Anstofs zu erregen, man vergleiche z. B. Jaffe-L. 4865, eine Bulle
Gregors VII. : Datum Lateranis in Kai. Maii per manus Petri sanctae
Romanae ecclesiae presbiteri cardinalis ac bibliothecarii, anno primo
pontificatus domini Gregorii VII. papae, ind. XI., ebenso No. 4957.
Ungewöhnlich ist allein das Fehlen der Indiktion, aber ein mildernder
Umstand ist, dafs die Urkunde aus Wiberts Kanzlei kommt.
Ganz auffallend ist in einer päpstlichen Urkunde, die nicht auf
einer Synode erlassen ist, die verbale Invokation: In nomine sanctae
et individuae trinitatis; weiter das Fehlen des päpstlichen Namens,
der dann allerdings mitten in der Urkunde steht, und jeglicher in-
scriptio. Diese Abweichungen berechtigen, glaube ich, zu dem Schlüsse,
dafs die Urkunde von einem aus der kaiserlichen Kanzlei übernom-
menen Schreiber verfafst ist, der die Formeln der kaiserlichen mit
denen der päpstlichen Urkunden vermischte; vgl. S. 87 Anm. 6 zu
9*
132 2u der Urkunde Heinrichs IV. vom 12. August 1092 (Stumpf 2915).
Jaffe-L. 5334. Man beachte z. B. auch die Worte : proprioque sigillo
munivi, namentlich aber die eben mitgeteilten Datierungen : während
die päpstliche Datierung aus zwei Formeln besteht, welche durch die
Worte scriptum und datum eingeleitet und bezeichnet werden, finden
sich bei Wibert bald zwei Formeln, bald eine, aber nie die scriptum-
Zeile, sondern entsprechend dem Gebrauche der kaiserlichen Kanzlei
datum und actum.
Schliefslich bemerke ich, dafs Pflugk-Harttung unsere Urkunde
für eine Original-Nachbildung (NA. VIII, 246) hält, während sie
nach Löwenfeld (Jaffe-L. I, 652) ein Original ist.
Zweiter Exkurs.
Zu der Urkunde Heinrielis IT. rom 13. August 1092
(Stumpf 3915).
Stumpf hielt die Urkunde Heinrichs TV. vom 12. August 1092
für die Abtei zu St. Die (No. 2915 bei Duhamel, Documents de l'hist.
des Yosges II, 154) für eine Fälschung; wenn ich seine Andeutungen
in den Regesten recht verstehe, weil die Datierung ungewöhnlich sei,
im Text der Kanzler für Italien, Bischof Burchard von Lausanne,
als mediator vorkomme, obwohl er schon am 24. Dezember 1088
(Bern. 1089, SS. V, 448) umgekommen sei ; weil endlich der Ausstell-
ort: apud Montem veterem, qui alio nomine Mons Belli dicitur, wohl
mit Bezugnahme auf die Bulle Wiberts vom 9. August (Jaffe-L. 5334)
gemacht sei. Was Burchard angeht, so irrt sich Stumpf; die be?
treffende Stelle lautet: Heinrich nimmt die Kirche St. Deodati in
Schutz, confirmantes ei . . . familiam quoque eiusdem ecclesiae, quam
tertio anno secundi ingressus nostri in Italiam integre illi restitui
iussimus , mediante Burchardo Losanensi episcopo , nostro Italiae
cancellario, concedentibus etiamduceTlieoderico, praedictae ecclesiae
defensore et advocato, et Oduino post ducem prelibati loci similiter
advocatö et Tullensis ecclesiae Pibone episcopo. Diese Stelle bezieht
sich also auf eine frühere Verleihung im 3. Jahre des 2. Zuges nach
Italien, d. i. 1083; es liegt somit kein Anachronismus vor. Der Vor-
gang wird auch in der Urkunde Wiberts erwähnt, hier lautet es:
sive familia ecclesiae, quae iussu Henrici quarti dilectissimi iilii nostri
imperatoris tertii integre illi restituta sunt, mediante Burchardo Lau-
sanensi episcopo Italiae cancellario, concedentibus etiam duce Theo-
derico eiusdem ecclesiae defensore et advocato et Tullensis ecclesiae
Pibone episcopo.
Zu der Urkunde Heinrichs IV. vom 12. August 1092 (Stumpf 2915). 133
Aber allerdings ist bis zu dieser Zeit niemals eine Kaiserurkuncle
so datiert worden, wie die unsere, nämlich : Data II. Idus Augusti
apud Montem veterem, qui alio nomine Mons Belli dicitur, per manus
Ogerii Iporiensis episcopi, Italiae cancellarii, anno dominicae incarn.
1092 ind. XV. epacta IX. Daneben stelle ich die Datierung der
Urkunde Wiberts vom 9. August: Datum V. Idus Augusti apud
Montem veterem, qui alio nomine Mons Belli dicitur, per manus
Koberti Faventini episcopi vice cancellarii Petri anno domin. incarn.
1092 indict. XV. Offenbar ist die Datierung der Kaiserurkunde
nach der der Papsturkunde angefertigt; die Formel „datum per manus"
kommt aber in späterer Zeit in Kaiserurkunden vor, z. B. Stumpf
4736 vom 17. Februar 1192; 5080 vom 27. September 1197; der
vorliegende Fall wäre der erste.
Inhaltlich sind beide Urkunden ganz gleich, dazu sind ganze
Sätze von Anfang bis zu Ende gleichlautend, so die corroboratio
(s. S. 87 Anm. 6) ; man vergleiche noch die Stelle über Burchard
von Lausanne (S. 132) und folgende Worte aus der Strafan-
drohung: Wiberts Urkunde: si quis . . . contra hoc nostrum decretum
consenserit, fecerit, consiliatus fuerit, vel quocunque modo infringere
illud et violare temptaverit, in praesenti seculo iram omnipotentis
Dei incurrat etc. Heinrichs Urkunde: si quis . . . contra hoc nostrum
decretum consiliatus fuerit, consenserit, fecerit vel quocunque modo
infringere illud vel violare tentaverit, iram imperialis nostri vigoris
incurrat, et centum libras etc.
Ferner ist zu beachten, dafs die Invokation durchaus selten ist :
In nomine patris et filii et Spiritus sancti. Jede promulgatio fehlt.
In der Straffestsetzung ist einmal das in Wiberts Urkunde fehlende
Wort gastaldio neu hinzugefügt ; weiter findet sich die auffallende
Wendung: et centum libras auri probatissimi proculdubio se com-
positurum sciat, medietatem camerae sacri scrinii nostri, reli-
quam partem praedictae ecclesiae eiusque congregationi.
Auch bei den nicht gleichlautenden Sätzen sieht man indes deut-
lich, dafs sie durch Umarbeitung entstanden sind, abgesehen höch-
stens von der meist neu gemachten sehr redseligen Arenga.
Gleichwohl ist es nicht nötig, die Urkunde für eine Fälschung
zu halten; denn Benutzung der Urkunde Wiberts als Vorlage in
der Reichskanzlei reicht aus, die Unregelmäfsigkeiten zu erklären.
Dazu ist in der Kaiserurkunde aufser Bischof Burchard von Lau-
sanne, Bischof Pibo von Toul und Herzog Theoderich von Ober-
lothringen noch ein mediator Oduinus genannt, den freilich ein
etwaiger Fälscher aus der Verleihung Heinrichs von 1083 entnehmen
134 Zu der Urkunde Heinrichs IV. vom 12. August 1092 (Stumpf 2915).
konnte, ebenso, wie die zeitliche Fixierung der letzteren, die wir auch
nur der Urkunde Heinrichs vom 12. August 1092 verdanken. Woher
endlich hätte ein Fälscher den Namen des Kanzlers Oger von Ivrea
wissen sollen? Da ferner nicht der geringste sachliche Anstofs vor-
liegt, so glaube ich die Urkunde für echt erklären zu dürfen.
Gr. Pätz'sche Buoluir. (.Lippert & Co.), Naumburg a,S.
M
■
m
'1
ö
vO
^
»A
S
cv
(D
ON
rH
H
Ü
-P
IQ
e^
t
«s
^
0)
I
PÜNTIFICAL INSTIIUTE OF MEDIAtVAL STUÜIES
59 QUEEN'S PARK CRESCENT
TORONTO— 5, CANADA
19256 '
G. H. NEWLANDS
Bookbinder
Caledon East, Ont.